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Die Weibchen

BRD, FR, IT | 1970 | 90 Min. | FSK: 16
Bewertung:
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So werden Highlights gekennzeichnet, wenn sie von der TVSpielfilm-Redaktion einen und eine IMDb-Bewertung von über 7,0 erhalten haben.
Meinung der Redaktion:
Bewertung durch unabhängige Film- und Serienexperten von TVSpielfilm.
IMDb:
Bewertung von Nutzern der Film- und Seriendatenbank IMDb auf einer Skala von 1 bis 10. Sie gilt als Indikator für die Beliebtheit und Qualität.
Meinung der Redaktion
  • Humor
  • Anspruch
  • Action
  • Spannung
  • Erotik

Mehr Kult geht nicht!

IMDb-Bewertung:
5,7
/10

Gaga-Emanzipation aus deutschen Landen.

„Der Kannibalenfilm mit Uschi Glas“ prangt verheißungsvoll auf dem Cover der deutschen Heimkinopremiere einer Genreperle, die das Kultfilmlabel Bildstörung just als Teil 28 seiner großartigen „Drop Out“-Edition auf Blu-ray und DVD dem popkulturellen Vergessen entrissen hat. Und in der Tat: Der 1970 um das spätere Fernsehdarling der Nation gestrickte Knaller des tschechischen Regisseurs Zbynek Brynych ist nicht nur im Hinblick auf seinen reißerischen Plot einmalig.
Zwei Jahre nachdem das aus Edgar-Wallace- und Pauker-Filmen bekannte Starlet Uschi Glas mit „Zur Sache, Schätzchen“ zum Pin-Up-Girl des Neuen Deutschen Films avanciert war, schlüpfte die damals 26-Jährige in die atemberaubend gut aussehende Rolle der ausgebrannten Sekretärin Eve, die im Sanatorium von Dr. Barbara (Gisela Fischer) ihre strapazierten Nerven schonen soll. Aber in Bad Marein angekommen, merkt Eve schnell, dass es im beschaulichen Kurort nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Von Männern fehlt im frauengeführten Städtchen fast jede Spur. Und ihre verführerischen Mitpatientinnen in der von Schwester Anna (Irina Demick) geleiteten Klinik scheinen ein düsteres Geheimnis zu teilen. Als Eve am Ende einer fiebrigen Nacht über eine Männerleiche stolpert, sucht sie zunächst Hilfe beim daueralkoholisierten Kommissar (Hans Korte). Als ihr die machtlose Staatsmacht eine Abfuhr erteilt, wendet sie sich an den feschen Durchreisenden Johnny (Alain Noury), der aber letztendlich auch den tödlichen Reizen der „Weibchen“ verfällt und Eve erkennen lässt: Männer haben es nicht besser verdient!
Was sich wie schlüpfrige Sexploitationkost auf den Sleaze-Spuren von Jess Franco liest, entpuppt sich als erfrischend enthemmte Kunstfilm-Reaktion auf die Ende der 60er Jahre radikalere Züge annehmende Emanzipationsbewegung, in der – wie auch im Film – dem „S.C.U.M.-Manifest“ von Valerie Solanas eine Schlüsselrolle zukommt. „Die Weibchen“ nehmen das 1967 veröffentlichte Postulat der späteren Andy-Warhol-Attentäterin einer „Gesellschaft zur Vernichtung der Männer“ wörtlich und zelebrieren einen Gottesanbeterinnen-Kult als ultimative Stufe des Feminismus. Das leitmotivisch verwendete Bild des männliche Sexualpartner vertilgenden Insekts ist aber nicht die einzige Symbolik, die sich im Drehbuch des zunächst unter Pseudonym aktiven und später auf eigenen Wunsch gänzlich aus den Credits entfernten Autoren Manfred Purzer finden lässt. So lautet der Name des von Fred Coplan gespielten Klinik-Gärtners Adam, der mit seiner triebgesteuerten Monstrosität im Kontrast zur so aufgeweckten wie unschuldigen Eve kurzerhand die biblische Rollenzuschreibungen der Schöpfungsgeschichte auf den Kopf stellt.
Maßgeblichen Anteil daran, dass Zbynek Brynychs „Die Weibchen“ die Anmutung einer spielerisch entrückten Utopie entfaltet, hat die entfesselte Kamera von Charly Steinberger. Mit Zooms, Weitwinkel-Aufnahmen, Schärfenwechseln, extremer Farbdramaturgie und 360-Grad-Schwenks holt der Handkamera-Pionier alles Erdenkliche aus seinem Arbeitsgerät heraus und beschenkt uns in der orgiastischen Szene einer öffentlichen BH-Verbrennung im Kreise barbusiger Demonstrantinnen sogar mit der Erfindung des psychedelisch anmutenden Titten-Karussells. Angesichts solch optischer Experimentierfreude überrascht es kaum, dass die damalige Filmrezension für den Flop des Films auch die „aufdringliche Kamera“ verantwortlich macht, dabei aber engstirnig die metaphorische Kraft des filmischen Formalismus ignoriert. Wenn etwa Eves filmeröffnende Bahnfahrt durch eine Fischaugen-Linse gefilmt wird, spürt der Zuschauer unmittelbar, wohin die surreale Reise geht. Oder in den eigenen Worten von Kameramann Steinberger im 13-minütigen Interview-Feature „Charlys Weibchen“: „Ich habe immer versucht, die merkwürdigen Situationen adäquat darzustellen.“
Das exklusive Bonusmaterial der lobenswerten Bildstörung-Veröffentlichung erweist sich ohnehin als ebenso sehens-, lesens- und hörenswert wie „Die Weibchen“ selbst. Im 15-minütigen Interview-Feature „Vom Schätzchen zum Weibchen“ erinnert sich Hauptdarstellerin Uschi Glas wohlwollend und amüsiert an die überwiegend im tschechischen Franzensbad Dreharbeiten ihrer ersten großen internationalen Produktion zurück. Und in der 40-minütigen Dokumentation „Dieser wundersame fröhliche tschechische Herr“ analysieren die Filmgelehrten Olaf Möller und Rainer Knepperges und Regisseur Dominik Graf Werdegang und Werk des „großen Anti-Realisten“ Zbynek Brynych, der seine Karriere in Tschechiens surrealistischer Nouvelle Vague begann und seinem freigeistigen Stil auch in Deutschland als gefragter TV-Episodenregisseur bei „Der Kommissar“, „Polizeiinspektion 1“, „Derrick“ und „Der Alte“ treu blieb. Der 1995 verstorbene „größte unbekannte Regisseur der Nachkriegszeit“ kommt selber im Booklet-Abdruck eines seiner letzten Interviews zu Wort.
Im Booklet findet sich auch eine Erläuterung der fünfjährigen (!) Restaurationsarbeit, die nicht nur eine sensationelle Bildqualität, sondern auch eine sechs Minuten längere „Director’s Cut“-Fassung von „Die Weibchen“ zutage gefördert hat. Inwieweit sich diese ebenfalls restaurierte und als Bonus enthaltene Langfassung, die mit zusätzlichen Hinweisen auf eine weibliche Bedrohung und im frappierenden Kreissägen-Finale mit Extra-Splatter aufwartet, atmosphärisch von der im Kino gelaufenen Kurzfassung unterscheidet, wird im höchst analytischen Audiokommentar der Filmjournalisten Bodo Traber und Gerd Naumann sowie der Filmmusikexperten Christopher Klaese und Matthias Künnecke herausgearbeitet. Für die Kinofassung hat Brynychs Stammkomponist Peter „Raumpatrouille“ Thomas nämlich einen neuen und besonders schmissigen Easy-Listening-Beat-Schlager-Score aus dem Hut gezaubert, der vor einem Jahr mit den Soundtracks ihrer zeitgleich entstandenen Kino-Kolaborationen „Oh Happy Day“ und „Engel, die ihre Flügel verbrennen“ bei All Score Media als Doppel-CD erschienen ist und jetzt den 500 gelb umrandeten Bildstörung-Exemplaren der Limited Edition als Bonus-Soundtrack-CD beiliegt.

Cast und Crew von "Die Weibchen"

Cast

Eve
Uschi Glas
Anna
Irina Demick
Astrid
Francoise Fabian
Tommy
Giorgio (George) Ardisson
Miriam
Pascale Petit

Crew

Regie:
Zbynek Brynych