Ein Mann schiebt seinen Wagen durch den Baumarkt. Er trägt eine lächerlich kurze Hose, Ostfriesennerz, Gummistiefel und Kopfhörer. So sahen im Fernsehen einst Patienten aus, denen die Flucht aus der Anstalt geglückt war. Heute ist das der Look des neuen saarländischen "Tatort"-Ermittlers Jens Stellbrink, gespielt von Devid Striesow. Der Mann macht, was er will, und bricht mit allen Regeln ordentlicher Polizeiarbeit. Kommissar Bizarr erobert den Bildschirm.

Wirklichkeitstreue war einmal, heute gilt Realismus als langweilig. Den lässt auch das neue Weimarer Ermittlerduo Nora Tschirner und Christian Ulmen locker hinter sich, dessen erster Fall am 26. Dezember laufen soll.

Die 31-Jährige kündigte schon mal in einem People-Magazin an, ihr Ziel sei eine "Mischung aus Monty Python und Cindy aus Marzahn". Vielleicht wollte sie damit Kritikern wie ihrem Kollegen Jörg Hartmann ("Tatort" Dortmund) den Wind aus den Segeln nehmen, dem zu Ulmen/Tschirner nur "Die nackte Kanone" einfiel.

Witzig oder lächerlich - das ist die Frage. Der erfolgreichste "Tatort" stammt aus Münster. Jan Josef Liefers und Axel Prahl feuern in einer Folge mehr Gags ab, als die Polizei erlaubt. Klar, dass das Nachahmer auf den Plan ruft, zumal die von der ARD heftig umworbenen jungen Zuschauer sich als besonders empfänglich für Comedy und flotte Sprüche erweisen.

In diesem Jahr jagen 21 "Tatort"-Teams, darunter fünf neue, mit insgesamt 43 Ermittlern Verbrecher in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Kein Mensch könnte alle Kommissare auseinanderhalten, wenn sie nur Morde aufklären würden, zumal manche nur einmal pro Jahr dran sind. Also kriegen die Ermittler extreme Charakterzüge angedichtet, damit man sich nach zwölf Monaten überhaupt an etwas erinnert.

Dortmunds Peter Faber (Jörg Hartmann) ist ein depressiver Menschenfeind, der zum Baseballschläger greift. Professor Boerne (Jan Josef Liefers) gibt den Klugscheißer, LKA-Ermittler Murot (Ulrich Tukur) führt Zwiegespräche mit seinem Gehirntumor und ist nicht ganz von dieser Welt. Und Saarbrückens Jens Stellbrink (Devid Striesow) kettet schon mal eine Kollegin an und würde im echten Leben vermutlich eher im Irrenhaus als bei der Kriminalpolizei Karriere machen.

"Wir mussten als Produzenten für den Saarländischen Rundfunk schon immer in hohem Maße darauf achten, dass unser ,Tatort‘-Team als unverwechselbar wahrgenommen wird". So vornehm formuliert es Martin Hofmann, Geschäftsführer der ProSaar Medienproduktion und Mastermind hinter dem Striesow-"Tatort".
Doch manches spricht dafür, dass der Zwang zur Originalität inzwischen an Grenzen stößt. Ulrich Tukurs als "Tatort" gelabelte Experimentalfilme, in denen man wie bei David Lynch oft nicht mehr weiß, was Wirklichkeit und was Hirngespinst ist, stoßen bei vielen auf Unverständnis.

Beim letzten Auftritt von Kommissar Murot schalteten mehr als eine Million Zuschauer während der Sendung um oder aus. Auf Facebook protestierte eine Mehrheit gegen den "Schwachsinn", während eine Minderheit den Film "genial" fand.

Im Unterschied dazu lieben die meisten Zuschauer Axel Prahl und Jan Josef Liefers. Doch bei ihrem letzten Fall trieben die beiden Münsteraner die Klamaukisierung zu weit. "Dümmer geht es ümmer", ätzte die "Berliner Morgenpost" über den Mix aus platten Witzen und unmotivierten Handlungen, der stellenweise so trübe war wie die Darmwinde, die Prof. Boerne bei der Rektaluntersuchung eines Wiederkäuers ins Gesicht wehten.

Auch in den Social Networks machte sich der Unmut über den vergeigten und vergagten Krimi Luft. Im Ranking der von Fans betriebenen Website www.tatort-fundus.de landete die Jubiläumsfolge abgeschlagen auf Platz 832 und damit 816 Ränge hinter dem ersten Münsteraner "Tatort".

Aber die Reihe wird auch solche Ausrutscher verkraften. Kein zweiter Krimi ist so anpassungsfähig und so offen für Neues. Beispiel Gesangseinlage. Die Duette des Hamburger Duos Stoever/Brockmöller gelten heute als Markenzeichen des "Tatorts" der Neunzigerjahre, auch wenn das Geträller anfangs viele nervte. Und dann gibt es ja auch noch für Fans des klassischen Krimis die Fälle aus Köln, München und Bremen.

Auch die beiden neuen norddeutschen "Tatort"-Kommissare setzen eher auf bekannte Formen. "Viel Action" verspricht Til Schweiger für sein Debüt als Hamburger Ermittler am 10. März. Wotan Wilke Möhrings erster Fall "Feuer über Flottbek" nimmt dagegen in guter "Tatort"-Tradition den Konflikt zwischen Arm und Reich in den Blick. Spätestens, als eine Frau im Auto verbrennt, ist klar: Dies ist kein Fall, um Witze zu reißen.

Rainer Unruh

Tatort: Melinda
SO 27.1. ARD 20.15