"Tatort" gehört neben der Übertragung großer Fußballspiele zu den letzten verbleibenden Fernsehlagerfeuern, das Millionen Deutsche unabhängig von geschlechtlicher Identität, Herkunft oder Gesellschaftsschicht vor dem TV-Bildschirm versammelt. Für viele gehört der Krimi um 20.15 Uhr zum Sonntag dazu – wie (früher) der Kirchgang.
Der erfolgreichste "Tatort" seit Deutschlands Wiedervereinigung lief 1991 unter dem Titel "Der Fall Schimanski". Dies war der letzte Fall der Duisburger Kommissare Horst Schimanski (Götz George, † 2016) und Christian Thanner (Eberhard Feik, † 1994), die anschließend abgelöst wurden. Darin wurde Kommissar Schimanski selbst zum Verdächtigen und quittierte am Ende seinen Dienst. Um die 16,68 Millionen Zuschauer:innen lockte der verzwickte Korruptionsfall vor die Bildschirme.
Den absoluten "Tatort"-Rekord hält allerdings eine Folge aus 1978: Herausragende 26,57 Millionen Menschen schalteten damals in die Folge "Rot – rot – tot" ein. Dies entsprach einem Marktanteil von 65 Prozent. In dieser Folge wurde die Mordreihe an zwei rothaarigen Frauen von Kommissar Lutz (Werner Schuhmacher, † 2004) untersucht. Die Spuren führten zu dem Mathematiker Konrad Pfandler (Curd Jürgens, † 1982). Jürgens, der zu den bekanntesten deutschen Schauspielern aller Zeiten zählt, kurbelte mit seinem Auftritt definitiv die Einschaltquoten an.
Zu den beliebtesten "Tatorten" des 21. Jahrhunderts zählen die Fälle der Münsteraner Ermittler Boerne (Jan Josef Liefers) und Thiel (Axel Prahl), die bereits stolze 14,56 Millionen Menschen vor die Geräte locken konnten (2017, mit dem Fall "Fangschuss").
Tatort: Über 1000 Fälle in 50 Jahren
Im Jahr 2020 feiert die Institution "Tatort" einen runden Geburtstag: Am 29. November 1970 ging der erste Fall in der ARD, die damals noch Deutsches Fernsehen hieß, auf Sendung. "Taxi nach Leipzig" hieß der erste Film, und genauso hieß als historische Reminiszenz auch der 1000. "Tatort" im Jahr 2016, in dem der Kieler Ermittler Borowski (Axel Milberg) auf die Kollegen Lindholm (Maria Furtwängler) aus Hannover trifft.
Am Anfang war die Idee einer regional vielseitigen Krimireihe, die den Föderalismus in Deutschland abbildet. Jede Sendeanstalt der ARD (die Dritten Programme) ist für ihren "Tatort" verantwortlich. Lokalkolorit war Pflicht, wiederkehrende Darsteller:innen nicht unbedingt. Dieses Schema, das heute das Markenzeichen der Reihe ist, kam erst später dazu.
Tatort: Die bekanntesten Ermittler:innen
In den 1970er-Jahren dominierten, neben vielen Eintagsfliegen, drei Ermittler die "Tatort"-Landschaft: Oberinspektor Veigl (Gustl Bayrhammer, † 1993) in München, Oberkommissar Haferkamp (Hansjörg Felmy, † 2007) in Essen und Kommissar Finke (Klaus Schwarzkopf, † 1991). Letzterer ermittelte in einer der berühmtesten "Tatort"-Folge aller Zeiten, "Reifezeugnis" (1977) mit Nastassja Kinski. Eine Ausnahmegestalt war auch Zollinspektor Kressin (Sieghardt Rupp, † 2015), der seinem Amt entsprechend in verschiedenen Städten unterwegs war. Auf seinen Einsätzen traf er auf andere "Tatort"-Ermittler. Das Prinzip der Amtshilfe war gerade in den frühen Jahren sehr ausgeprägt, wurde im Laufe der Zeit aber immer seltener – trotz Ausnahmen wie dem schon erwähnte 1000. "Tatort". Ein Novum 1978: Nicole Heesters war als Marianne Buchmüller die erste weibliche Ermittlerin der Krimireihe.
Die 1980er-Jahre standen ganz klar im Schatten von Horst Schimanski. Götz George brachte ab 1981 als fluchender, Türen eintretender Ruhrpottbulle einen ganz neuen Ton in den "Tatort", der sich von den spießigen Beamten der 70er-Jahre deutlich abhob. Auf 29 Folgen brachte es Schimanski, darunter waren zwei Kinofilme. 1997 ging es außerhalb des "Tatort"-Rahmens mit der eigenen Reihe "Schimanski" weiter.
Die frühen Kommissare waren Einzelkämpfer, ihre Assistenten gewannen erst im Laufe der Zeit an Profil dazu. Erst in den 1990er-Jahren begann die Zeit der Teams. Stilprägend waren die gleichberechtigten Teams in München, Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) sowie in Köln Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär).
Ab 2000 differenzierten sich die Teams immer mehr. Neben den bodenständigen, immer stärker für Sozialkritik zuständigen Städten wie Köln und München traten zum Beispiel die Münsteraner Boerne und Thiel (ab 2002) mit ihren Krimikomödien oder die Grotesken aus Weimar mit Christian Ulmen und Nora Tschirner (2013-2021).
Umstritten bei Fans sind die in den 2010er-Jahren verstärkt auftretenden Experimental-"Tatorte", wie der hochgelobte Western-trifft-Shakespeare-Fall "Im Schmerz geboren" mit Ulrich Tukur, Horrorkrimis aus Frankfurt und Bremen sowie zwei improvisierte Mundart-Fälle aus Ludwigshafen mit Ulrike Folkerts.