Tatort: Murot und das Paradies - So. 22.10. - ARD: 20.15 Uhr

Durch die mittlerweile zwölf "Tatorte" mit dem Wiesbadener Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) zieht sich ein roter Faden. Gemeint sind nicht die Leichen des hessischen Krimi-Sonderlings, das wäre zu profan. Vielmehr gilt es festzuhalten: Seit seinem ersten Fall aus dem Jahr 2010 versucht Lebens-Melancholiker Murot aka Tukur immer wieder, die größten aller Menschheits-Fragen zu klären: Was ist Glück? Wozu leben wir? Wie findet man die Liebe und hält sie fest? Im "Tatort: Murot und das Paradies" geraten diese im Subtext der Filme stets präsenten Fragen nun ins Zentrum des Geschehens.

Der Ermittler macht eine depressive Phase durch. Mit seinem Analytiker Dr. Wimmer (Martin Wuttke) diskutiert er über den Sinn des Lebens. Doch dann klingelt das Handy des Couch-Patienten im Bereitschaftsdienst. Murot wird zu einer Leiche gerufen, die eine obskure Besonderheit aufweist: Der jungen Investment-Bankerin wurde der Bauchnabel entfernt, stattdessen wurde eine Art "Bioport" eingesetzt. Nur woran sollte das Opfer "angeschlossen" werden?

Als ein zweiter Banker mit ähnlichem "Problem" auftaucht, finden Murot sowie seine Kollegen Magda Wächter (Barbara Philipp), Thorben Pohlmann (Jan Krauter) und Detlev Nübel (Alex Kapl) Zugang zu einer Underground-Party, bei der sich Hochfinanz-Junkies dem Exzess hingeben. Felix Murot lernt die seltsame Performance Künstlerin Ruby Kortus (Ioana Bugarin) sowie die nicht minder geheimnisvolle Eva Lisinska (Brigitte Hobmeier) kennen. Die beiden Frauen machen dem psychisch schwankenden Ermittler ein unfassbares Glücksangebot - über dessen Annahme Murot in einer Mischung aus Ermittlung, Selbstversuch und Verzweiflung am eigenen Leben nachdenkt. Dabei gleitet er in eine Parallelwelt, die sich sehr viel bunter und aufregender anfühlt als sein Wiesbadener Kommissariat. Doch wie man sich denken kann: Murot spielt mal wieder mit dem Feuer.

HR/Bettina Müller

Ulrich Tukur sucht das Glück … notfalls auch im All.

Weltraum-Ausflug und eine Reise ins Dritte Reich

Neben der Sinnsuche des Ermittlers gibt es noch etwas, das fast alle Murot-Filme eint: das filmische Zitat. In "Murot und das Paradies" finden Kino-Kenner die vielleicht üppigsten Referenzen seit dem vielfach preisgekrönten "Tatort: Im Schmerz geboren" von 2014, der mit seiner Zitat-Hölle und irrem Bodycount Fernsehgeschichte schrieb. Diesmal gibt es Querverweise zur legendären Italo-Zeichentrickserie "Herr Rossi sucht das Glück", Stanley Kubricks Filmen "2001 - Odyssee im Weltraum" und "Eyes Wide Shut" sowie zum Körper-Horror-Kino eines David Cronenberg. Per Glücks-Fantasiereise schafft es Florian Gallenberger (Drehbuch und Regie), seinem Helden Murot diverse Ausflüge aus der Realität zu ermöglichen. So darf man sich auf einen Schwebezustand im Weltraum und eine Reise ins Dritte Reich freuen, in dem - welch ungewöhnliches Setting! - tatsächlich auch das Glück gesucht wird.

Ob sich im 14. Jahr des wohl merkwürdigsten deutschen Fernseh-Ermittlers noch ein Krimi-Traditionalist in einen Murot-Fall verirrt, darf bezweifelt werden. Einmal pro Jahr, meist im Herbst, spendiert der in Sachen Filmkunst stets ambitionierte Hessische Rundfunk Ulrich Tukur ein (Gedanken)freispiel. Und was hat man mit ihm nicht alles schon erlebt? Im "Tatort: Wer bin ich?" von 2015 traf der Schauspieler auf seine Rolle, es gab den doppelten Tukur/Murot. Und im Zeitschleifenfilm "Tatort: Murot und das Murmeltier" (2019)? Da wurde der Held einfach Tag für Tag erschossen. Ein klassischer Krimi wollte die Reihe nie sein, aber davon gibt es ja auch schon genug im Programm.

Neuer "Tatort" legt Murot auf die Couch

Filmemacher Florian Gallenberger, der seinen ersten "Tatort" inszenierte, ist dem Schauspieler Ulrich Tukur seit langem verbunden. Gemeinsam arbeitete man am mit dem Deutschen Filmpreis gekrönten Werk "John Rabe" (2009). Auch wenn Felix Murots neuester Trip hier und da vielleicht ein paar philosophische Merksätze zu viel bietet: Originell, kreativ und äußerst unterhaltsam bleibt die neuste und vielleicht bislang extremste Weltenflucht des Ermittlers allemal. Im Film "melancholisiert" Murot auf der Couch ein bisschen über die nahe Rente und eine überschaubare Lebensbilanz. Tatsächlich vollendete Schauspieler Ulrich Tukur im letzten Sommer sein 66. Lebensjahr. Bleibt zu hoffen, dass Murot noch ein paar - wohl wenige - Film-Pfeile im Köcher hat. Sein Abgang würde eine große Leerstelle im deutschen "Tatort" und Krimifernsehen hinterlassen. So irre, kreativ und verliebt ins Genre Film war nämlich kein Kommissar zuvor.