Fünf Uhr morgens in der Wüstenstadt Arad. Es wird nicht viel gesprochen im grell beleuchteten miefigen Hotel Inbar. Nur Regisseur Matthias Tiefenbacher und sein Kameramann Holly Fink gehen die Szenen des heutigen Drehtags durch. Es ist der erste von insgesamt 45 und der Auftakt für zwei neue Folgen der ARD-Reihe "Der Tel-Aviv-Krimi", die komplett in Israel gedreht werden.

Die Fälle: In "Masada" kommt der Sohn des berühmten Archäologen Avram Salzman (Michael Degen) ­unter mysteriösen Umständen ums Leben, in "Alte Freunde" (am 30.11.)müssen Kommissarin Sara Stein ­(Katharina Lorenz) und ihr Kollege Jakoov Blok (Samuel Finzi) einen Mord in Militärkreisen aufklären.

Eine ARD-Krimireihe mit einer ­jüdischen Kommissarin, die in Tel Aviv ermittelt, das ist in Zeiten von AfD und wachsendem Antisemi­tismus eine mutige Programmwahl. Degeto-Chefin Christine Strobl nennt es ein ambitioniertes Projekt, "auf das wir sehr stolz sind".

Auf dem Tagesplan, Fachjargon Dispo, steht: "Abfahrt Crew zum Set: 5.45 Uhr." Überpünktlich fährt der große Reisebus vor. Nur Regie, Kamera und Schauspieler werden jeder mit einem eigenen Wagen gefahren.
Die Fahrer kacheln die Serpen­tinen in halsbrecherischem Tempo bergauf und bergab. Ab und zu steht ein Kamel auf der Piste, dann kreischen die Bremsen. Die Landschaft ist karg und steinig. Unwirtliche Bergrücken prägen das Bild des Negev. Nach einer knappen Stunde ist das Basislager am Fuß der legen­dären Festung Masada erreicht, nur einen Steinwurf entfernt vom Toten Meer.

Dass ausgerechnet ein deutsches Filmteam an dieser historischen Stätte drehen darf, ist kein Hexenwerk, sagt der israelische Co-Produzent ­Eitan Evan. "Wir haben den entscheidenden Stellen das Drehbuch vorgelegt und die Erlaubnis bekommen. Hätte ich mir schwieriger vorgestellt."

Israel, ist das nicht zu gefährlich?

Professionelle Produktionen, bestens ausgebildete Teams und das meist gute Wetter machen Israel zum in­teressanten Standort auch für aus­ländische Filmproduktionen. Maria Schrader drehte hier 2007 ihr Regiedebüt "Liebesleben", und auch Natalie Portman kam 2015 für ihre erste Regiearbeit "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" ins Gelobte Land. Beide Frauen mussten in Interviews immer dieselbe Frage beantworten: Sie drehen in Israel, ist das denn nicht viel zu gefährlich?

Auch Katharina Lorenz hatte vor ihrem ersten Aufenthalt hier gehörig Schiss. "Bis dahin kannte ich den Nahostkonflikt nur aus den Nachrichten. Dann eskalierte im Juli 2014 kurz vor Drehbeginn der Gaza-Konflikt, und plötzlich war ich direkt damit konfrontiert", erzählt die aus dem Rheinland stammende und in Wien lebende Schauspielerin. Aus Sicherheitsgründen beschloss die Produktion, den ersten Teil der Reihe lieber in Berlin anzusiedeln. Teil zwei konnte wie geplant in Tel Aviv stattfinden.
Michael Degen (Vice-Questore Patta aus den Donna-Leon-Krimis) muss schmunzeln, als Lorenz ihm in einer Drehpause von ihren Ängsten erzählt. Seine Beziehung zu Israel ist ­eine ganz andere. Als Kind jüdischer Eltern musste er sich während der Nazizeit in Berlin verstecken. Fremde und Freunde halfen ihm und seiner Mutter, den Krieg im Untergrund zu überstehen.

Nach Kriegsende suchte Degen nach seinem älteren Bruder, der schon 1939 mit einer Kinder- und Jugend­organisation nach Palästina aufgebrochen war. Er fand ihn in der Nähe von Tel Aviv, und die Brüder blieben zwei Jahre gemeinsam dort. Degen lernte Hebräisch und spielte am Cameri Theater. "Seit dieser Zeit verbinde ich mit Israel einen speziellen Duft nach Orangen- und Zitronenbäumen, der damals über dem ganzen Land lag", erzählt er seiner jungen Kollegin. "Und was die Terrorgefahr angeht, für dich mag es ­paradox klingen, aber ich fühle mich in keinem Land der Welt so sicher wie hier."

Ähnlich geht es Samuel Finzi. Er hat große Teile seiner Verwandtschaft in ­Israel und für die zweimonatige Drehzeit seine Frau und die beiden Kinder mitgebracht. Sein Sohn spricht schon nach den ersten Schultagen ein paar Brocken Hebräisch.
Das ist auch die vorherrschende Sprache am Set, denn bis auf Regie, Kamera und wenige Schauspieler bestehen Team und Darsteller aus Israelis. "Das haben wir bewusst so entschieden", sagt der deutsche Produzent Andreas Bareiss. "Wir wollten, dass die Filme so authentisch wie möglich sind. Deutsche Schauspieler, die Israelis spielen - das muss nicht sein." Am Set herrscht babylonisches Sprachengewirr. Heute stehen die Folgen einer Explosion auf dem Drehplan. Degen und sein älterer Filmsohn Elia, gespielt vom israe­lischen Theaterstar Yigael Sachs, besprechen die Szene mit Regisseur Tiefenbacher. Als die Kamera läuft, kommt dessen Kommando auf Englisch: "Action!", Sachs spricht Hebräisch, Degen antwortet auf Deutsch.
Die israelische Crew hat den 85-Jährigen anfangs zwar höflich, aber mit Distanz behandelt. Ein Deutscher ­seines Alters weckt hier automatisch Erinnerungen an den Holocaust. Doch als sie von seiner Kindheit ­erfährt, weicht die Distanz beinahe für­sorg­lichem Respekt.

Ein Sänfte aus Stahl
Am letzten der vier Drehtage in Masada soll auf dem Plateau des ­Tafelbergs gefilmt werden. Die in den Fels gehauenen Stufen will man Michael Degen nicht zumuten, um die 100 Höhenmeter zu überwinden. Die Lösung der Ausstatter: Sie bauen eine Stahlkonstruktion, schweißen darauf einen Sitz, und dann tragen die vier stärksten Männer den Schauspieler die Treppen hinauf. Wie einst König Herodes sitzt er auf seinem Thron und genießt die Aussicht auf die Wüste, den mystischen Berg und das unter ihm in der Sonne glitzernde Tote Meer.

Die Drehtage in Israel sind lang und anstrengend. Außerdem muss Katharina Lorenz an beinahe jedem freien Tag nach Wien fliegen, um Vorstellungen am Burgtheater zu spielen. "Beim letzten Mal hat meine Kraft abends gerade noch bis zum Restaurant um die Ecke gereicht." Ein Italiener. Sie muss lachen. "Da saß ich nun als Deutsche in Israel vor einem Teller Spaghetti. Das war lecker, aber auch irgendwie absurd."