Ein Mensch stirbt. Er kann sich selbst das Leben genommen haben, vielleicht ist er auch einer verborgenen Krankheit erlegen. Oder hat ein anderer nachgeholfen und ihn umgebracht? Für die Freunde und die Verwandten ist es oft wichtig zu erfahren, wie ein geliebter Mensch gestorben ist. Oft, aber auch nicht immer.
Im neuen Stuttgarter "Tatort" bringt ein kleiner Junge die Sinnfrage auf den Punkt. Während Gerichtsmediziner Daniel Vogt aus seiner TV-Nebenrolle herausschlüpft und dem Kind ein Frühstück macht, erklärt er dem Jungen seinen Job: "Ich kann herausfinden, warum sie gestorben sind", sagt er über Tote auf seinem Seziertisch. "Das ist manchmal wichtig für ihre Verwandten und Freunde." Die Antwort des Jungen macht ihn sprachlos: "Was ändert das, wenn man das weiß?"
Ist der biedere Pathologe ins Verbrechen verstrickt?
Die Frage nach dem Sinn versucht der Stuttgarter Ableger des ARD-Sonntagskrimis in seiner neuen Folge "Vergebung" auf den Grund zu gehen. Da gibt es Menschen wie Vogt (Jürgen Hartmann), dem es aus der eigenen Biografie heraus wichtig ist, zu wissen, ob sein schwer krebskranker angeschwemmter Jugendfreund Suizid begangen und sich in den Neckar gestürzt hat oder ob er getötet wurde. Die Witwe hingegen, auch sie ein erotisch aufgeladenes Relikt aus Vogts frühen Jahren, will sich lösen, sie will frei sein und setzt sich unmittelbar nach dem Tod ihres Mannes neue Ziele. Oder hat sie als Altenpflegerin die Spritzen gegen den Krebs mit Absicht zu hoch dosiert?
Für die Kommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) scheint ihr 31. Einsatz zunächst wie ein ganz normaler Kriminalfall. Lange wägen sie ab zwischen Mord und Suizid, bauen auf Vogts Expertise - aber als sie von seiner besonderen Beziehung zum Toten erfahren und Zweifel an den Obduktionsergebnissen aufkommen, zerbricht auch ihr Vertrauen in den Rechtsmediziner. Oder ist der eigentlich so biedere Pathologe selbst in ein Verbrechen an seinen früheren Freund aus der unbeschwerten Jugend in der schwäbischen Provinz verstrickt?
Getrieben von den Dämonen seiner Vergangenheit recherchiert Vogt selbst und seziert seine Vergangenheit wie einen der leblosen Körper im Kellerlabor. Er sucht schwelgend die Orte seiner Kindheit und Jugend auf, das Elternhaus des Toten, die Badestelle am Fluss und immer wieder auch die Witwe des Freundes. Und hinter all den geschickt eingeflochtenen Rückblenden und der melancholischen Schwere, hinter den Bildern eines scheinbar unbeschwerten Sommers am Wasser scheint doch ein dunkles Geheimnis verborgen. Langsam tastet sich das Drehbuch von Katharina Adler und Rudi Gaul zum Kern der Geschichte vor. Wenig überraschend liegt dieser in jenen 1980er Jahren verborgen und schält sich langsam heraus.
In der spannenden, facettenreichen Story mit wenigen verzeihbaren Längen, aber deutlich zu vielen Zeitlupen tritt die klassische Who-dun-it-Dramaturgie zurück und lässt Raum für andere Fragen und Charakter. So hat im neuen "Tatort" vor allem der stets schwäbelnde Rechtsmediziner Vogt seinen großen Auftritt abseits der Leichenschau.
Schauspieler Hartmann hatte die Idee dazu, weil er seiner Figur des stets souveränen Pathologen neue Facetten abgewinnen wollte. "Der Gedanke, dass es ein verdrängtes 'dunkles Geheimnis' um die Figur Vogt gibt, das plötzlich wieder in sein Leben tritt, hat mich fasziniert", sagte er dem produzierenden Südwestrundfunk.
Als Kind hätten ihn die Sagen und Heldenmythen aus der griechischen Mythologie gefesselt. "Deshalb ist es wahrscheinlich nicht verwunderlich, dass "Vergebung" eine Odyssee beschreibt, die seinen Protagonisten in die Untiefen der eigenen Seele führt."