Der Mauerschütze
MI, 3.8., ARD, 20.15 Uhr
MI, 3.8., ARD, 20.15 Uhr
Es lässt ihn nicht los. Auch wenn Stefan Kortmann (Benno Fürmann) als Krankenhausarzt noch so viele Schichten schiebt, immer wieder kreisen seine Gedanken um diese eine Nacht vor 20 Jahren. Als er als junger DDR-Grenzschutzsoldat auf ein flüchtendes Paar anlegte - und der jungen Frau den Mann und dem Kind in ihrem Bauch den Vater raubte. Irgendwann beschließt er, sein Gewissen zu erleichtern und sich der Witwe zu stellen. Im Interview erklärt Benno Fürmann seine diffizile Rolle im TV-Film Der Mauerschütze mithilfe des Philosophen Kant und spricht über seine Berliner Kindheit im Schatten der Mauer, hinter der die Tante lebte.
Sie haben sich schon in verschiedenen Filmen mit der deutschen Teilung beschäftigt. Ein Herzensthema?
BENNO FÜRMANN Das war eher Zufall, aber natürlich ist das Thema hochspannend und wirft auch heute noch viele Fragen auf.
Welche zum Beispiel?
BENNO FÜRMANN Was ist von dem Land DDR geblieben? Was ist mit den Träumen der Menschen geschehen, die an das System geglaubt haben? Darüber gibt es nur wenige Filme. Meine Tante beispielsweise war leidenschaftlich dabei.
Sie haben ihr als Westberliner Kind über die Mauer zugewunken.
BENNO FÜRMANN Genau. Sie war meine Achse zur DDR. Ich habe sie oft in Ostberlin besucht. Sie lebte nur einen Steinwurf entfernt, aber bei ihr war es so exotisch, als wäre ich ganz weit weg. Das Klopapier war härter, das Knäckebrot hat anders geschmeckt. Ich habe Bücher gekauft wie "Alfons Zitterbacke" oder später Karl Marx - es war eine andere Welt.
Ist Ihnen bewusst gewesen, was die Mauer und das Leben in der DDR an Härten für die Menschen bedeuten konnte?
BENNO FÜRMANN Als Kind mit zehn, elf Jahren habe ich vor allem das Exotische gesehen. Erst später habe ich angefangen, mich auch mit Politik auseinanderzusetzen. Als Kind war ich in der Friedensbewegung aktiv, als Jugendlicher in der Antifa, und später habe ich mich mit dem Mittleren Osten und China beschäftigt.
Aber die innerdeutsche Mauer war kein Thema für Sie?
BENNO FÜRMANN Die Mauer gehörte für mich einfach zum Stadtbild wie Häuser oder Parks. Das war kein politisches Statement für mich. Deutschland war geteilt in zwei Systeme. Das war der Status quo. Die Mauer hat dazugehört.
Haben Sie sich eine Meinung über die Schuldfrage der Mauerschützen gebildet?
BENNO FÜRMANN Es gibt die justiziarische Ebene, wo gefragt wird, wie mit Menschen umzugehen ist, die Befehlen gehorchen und auf Menschen schießen, von denen sie - das ist das Einzigartige an diesen Fällen - gar nicht angegriffen wurden, sondern die fliehen. Dafür gibt es keine Präzedenzfälle. Man hindert also Menschen daran, dahin zu gehen, wohin sie wollen. Das finde ich verwerflich.
Die Todesschützen dachten - fälschlicherweise -, nach geltendem DDR-Recht zu handeln.
BENNO FÜRMANN Schüsse auf fliehende Menschen sind nicht zu rechtfertigen. Viel schlimmer als die Soldaten, die geschossen haben, finde ich aber die Generäle, die dieses Konzept ausgearbeitet und die Leute am Gewehr dazu angestachelt haben, möglichst rigoros draufzuhalten.
Ihre Filmfigur hatte ihre eigenen Beweggründe, sich freiwillig zur NVA zu melden...
BENNO FÜRMANN Stefan hat einen Traum, er will Medizin studieren, deshalb dient er als Grenzschützer. Er will Menschen helfen und ist durch den Kompromiss, den er eingeht, für den Tod eines Menschen verantwortlich. Hat er Schuld? Ja. Ist er ein schlechter Mensch? Nein.
Es ist schwierig, sein Handeln zu bewerten...
BENNO FÜRMANN Wir müssen für unser Handeln Verantwortung übernehmen, egal, wo wir uns befinden. Das ist eine tiefe Wahrheit, und es gibt ein moralisches Gesetz. Ich halte es mit Kant: Wenn wir nicht extrem gefühlskalt sind, also etwas im Oberstübchen nicht in Ordnung ist, dann wissen wir, was Recht und was Unrecht ist...
Wir wissen das, aber...?
BENNO FÜRMANN Trotzdem gibt es eine gewisse Grauzone, in der wir aufgrund von Zwängen, Notwendigkeiten und Unsicherheiten Kompromisse eingehen. Ich finde an meiner Figur interessant, dass sie sich nicht hinter Gesetzen versteckt, sondern zu ihrer Schuld steht, wenn auch spät.
Ein Moraldenken, das Ihnen wahrscheinlich auch nicht ganz fremd ist. Sie setzen Ihre Popularität für Amnesty International ein oder das Projekt "Schule ohne Rassismus".
BENNO FÜRMANN Es wird oft gesagt, die Jugend sei entpolitisiert. Ich finde das nicht. Ich führe oft anregende Gespräche mit Jugendlichen. Im vergangenen Jahr habe ich mit Amnesty zusammen an meinem alten Gymnasium über Asylpolitik und Migration gesprochen. Das war sehr spannend. Die Schüler waren so begeistert, dass sie sich anschließend an einer Mahnwache vor dem Brandenburger Tor gegen die Todesstrafe beteiligt haben, damit in der UN eine Petition unterschrieben wird, die diese ächtet.
Können Sie mit dem Begriff Wutbürger etwas anfangen? Gehen Sie auch auf die Straße, um zu demonstrieren?
BENNO FÜRMANN Ja, es ist gut, die Wut, die aus Ungerechtigkeit entstehen kann, zu nutzen und eine Demokratie so zu leben, dass man nicht alles frisst, sondern auch anprangert und kritisiert.
Dass das hier möglich ist, unterscheidet uns von vielen anderen Ländern.
BENNO FÜRMANN Das stimmt. Aber wenn ich höre, dass Menschen aus restriktiven Ländern nicht mehr zu uns gelassen, sondern schon im Mittelmeer abgefangen werden, packt mich die Wut.
Wie sollte man verfahren?
BENNO FÜRMANN Ich frage mich, warum wir Millionen für den Grenzschutz im Mittelmeer ausgeben, statt dieses Geld in die Bekämpfung des Übels zu investieren. Deshalb habe ich auch die UN-Kampagne zur Verwirklichung der Millenniumsziele unterstützt, die bis 2015 die Armut halbieren will.
Versuchen Sie dieses Engagement auch Ihrer achtjährigen Tochter mitzugeben?
BENNO FÜRMANN Klar. So wie es meine Eltern mit mir gemacht haben. Meine Tochter ist argumentativ schon weit entwickelt, und ich lasse mich als Vater von ihren exzellenten Gegenargumenten gern überzeugen. Ich möchte sie dabei unterstützen, ihre eigene Persönlichkeit zu entwickeln und die Welt mit eigenen Augen zu sehen.
Sie sehen übrigens sehr erholt aus. Waren Sie im Urlaub?
BENNO FÜRMANN Nein. Ich fahre am Wochenende gerne mit meiner Tochter oder mit Freunden raus aufs Land. Auch das ist ein Vorteil des Mauerfalls, dass es für Westberliner wie mich auch andere Kurztripziele gibt als den Grunewald oder den Wannsee.
Sabine Weiß
Sie haben sich schon in verschiedenen Filmen mit der deutschen Teilung beschäftigt. Ein Herzensthema?
BENNO FÜRMANN Das war eher Zufall, aber natürlich ist das Thema hochspannend und wirft auch heute noch viele Fragen auf.
Welche zum Beispiel?
BENNO FÜRMANN Was ist von dem Land DDR geblieben? Was ist mit den Träumen der Menschen geschehen, die an das System geglaubt haben? Darüber gibt es nur wenige Filme. Meine Tante beispielsweise war leidenschaftlich dabei.
Sie haben ihr als Westberliner Kind über die Mauer zugewunken.
BENNO FÜRMANN Genau. Sie war meine Achse zur DDR. Ich habe sie oft in Ostberlin besucht. Sie lebte nur einen Steinwurf entfernt, aber bei ihr war es so exotisch, als wäre ich ganz weit weg. Das Klopapier war härter, das Knäckebrot hat anders geschmeckt. Ich habe Bücher gekauft wie "Alfons Zitterbacke" oder später Karl Marx - es war eine andere Welt.
Ist Ihnen bewusst gewesen, was die Mauer und das Leben in der DDR an Härten für die Menschen bedeuten konnte?
BENNO FÜRMANN Als Kind mit zehn, elf Jahren habe ich vor allem das Exotische gesehen. Erst später habe ich angefangen, mich auch mit Politik auseinanderzusetzen. Als Kind war ich in der Friedensbewegung aktiv, als Jugendlicher in der Antifa, und später habe ich mich mit dem Mittleren Osten und China beschäftigt.
Aber die innerdeutsche Mauer war kein Thema für Sie?
BENNO FÜRMANN Die Mauer gehörte für mich einfach zum Stadtbild wie Häuser oder Parks. Das war kein politisches Statement für mich. Deutschland war geteilt in zwei Systeme. Das war der Status quo. Die Mauer hat dazugehört.
Haben Sie sich eine Meinung über die Schuldfrage der Mauerschützen gebildet?
BENNO FÜRMANN Es gibt die justiziarische Ebene, wo gefragt wird, wie mit Menschen umzugehen ist, die Befehlen gehorchen und auf Menschen schießen, von denen sie - das ist das Einzigartige an diesen Fällen - gar nicht angegriffen wurden, sondern die fliehen. Dafür gibt es keine Präzedenzfälle. Man hindert also Menschen daran, dahin zu gehen, wohin sie wollen. Das finde ich verwerflich.
Die Todesschützen dachten - fälschlicherweise -, nach geltendem DDR-Recht zu handeln.
BENNO FÜRMANN Schüsse auf fliehende Menschen sind nicht zu rechtfertigen. Viel schlimmer als die Soldaten, die geschossen haben, finde ich aber die Generäle, die dieses Konzept ausgearbeitet und die Leute am Gewehr dazu angestachelt haben, möglichst rigoros draufzuhalten.
Ihre Filmfigur hatte ihre eigenen Beweggründe, sich freiwillig zur NVA zu melden...
BENNO FÜRMANN Stefan hat einen Traum, er will Medizin studieren, deshalb dient er als Grenzschützer. Er will Menschen helfen und ist durch den Kompromiss, den er eingeht, für den Tod eines Menschen verantwortlich. Hat er Schuld? Ja. Ist er ein schlechter Mensch? Nein.
Es ist schwierig, sein Handeln zu bewerten...
BENNO FÜRMANN Wir müssen für unser Handeln Verantwortung übernehmen, egal, wo wir uns befinden. Das ist eine tiefe Wahrheit, und es gibt ein moralisches Gesetz. Ich halte es mit Kant: Wenn wir nicht extrem gefühlskalt sind, also etwas im Oberstübchen nicht in Ordnung ist, dann wissen wir, was Recht und was Unrecht ist...
Wir wissen das, aber...?
BENNO FÜRMANN Trotzdem gibt es eine gewisse Grauzone, in der wir aufgrund von Zwängen, Notwendigkeiten und Unsicherheiten Kompromisse eingehen. Ich finde an meiner Figur interessant, dass sie sich nicht hinter Gesetzen versteckt, sondern zu ihrer Schuld steht, wenn auch spät.
Ein Moraldenken, das Ihnen wahrscheinlich auch nicht ganz fremd ist. Sie setzen Ihre Popularität für Amnesty International ein oder das Projekt "Schule ohne Rassismus".
BENNO FÜRMANN Es wird oft gesagt, die Jugend sei entpolitisiert. Ich finde das nicht. Ich führe oft anregende Gespräche mit Jugendlichen. Im vergangenen Jahr habe ich mit Amnesty zusammen an meinem alten Gymnasium über Asylpolitik und Migration gesprochen. Das war sehr spannend. Die Schüler waren so begeistert, dass sie sich anschließend an einer Mahnwache vor dem Brandenburger Tor gegen die Todesstrafe beteiligt haben, damit in der UN eine Petition unterschrieben wird, die diese ächtet.
Können Sie mit dem Begriff Wutbürger etwas anfangen? Gehen Sie auch auf die Straße, um zu demonstrieren?
BENNO FÜRMANN Ja, es ist gut, die Wut, die aus Ungerechtigkeit entstehen kann, zu nutzen und eine Demokratie so zu leben, dass man nicht alles frisst, sondern auch anprangert und kritisiert.
Dass das hier möglich ist, unterscheidet uns von vielen anderen Ländern.
BENNO FÜRMANN Das stimmt. Aber wenn ich höre, dass Menschen aus restriktiven Ländern nicht mehr zu uns gelassen, sondern schon im Mittelmeer abgefangen werden, packt mich die Wut.
Wie sollte man verfahren?
BENNO FÜRMANN Ich frage mich, warum wir Millionen für den Grenzschutz im Mittelmeer ausgeben, statt dieses Geld in die Bekämpfung des Übels zu investieren. Deshalb habe ich auch die UN-Kampagne zur Verwirklichung der Millenniumsziele unterstützt, die bis 2015 die Armut halbieren will.
Versuchen Sie dieses Engagement auch Ihrer achtjährigen Tochter mitzugeben?
BENNO FÜRMANN Klar. So wie es meine Eltern mit mir gemacht haben. Meine Tochter ist argumentativ schon weit entwickelt, und ich lasse mich als Vater von ihren exzellenten Gegenargumenten gern überzeugen. Ich möchte sie dabei unterstützen, ihre eigene Persönlichkeit zu entwickeln und die Welt mit eigenen Augen zu sehen.
Sie sehen übrigens sehr erholt aus. Waren Sie im Urlaub?
BENNO FÜRMANN Nein. Ich fahre am Wochenende gerne mit meiner Tochter oder mit Freunden raus aufs Land. Auch das ist ein Vorteil des Mauerfalls, dass es für Westberliner wie mich auch andere Kurztripziele gibt als den Grunewald oder den Wannsee.
Sabine Weiß
Mauerschützen - Nur jede zweite Tat wurde verurteilt
Nachdem ab 1945 dreieinhalb Millionen Menschen aus der sowjetisch besetzten Zone geflohen waren, fiel der Eiserne Vorhang. Am 13. August 1961 ließ die DDR in Berlin die Mauer errichten. Die Grenzsoldaten sollten Fluchten mit allen Mitteln verhindern - auch mit der Waffe (Schießbefehl). Mauertote wurden verheimlicht, den Ermordeten andere Todesursachen an-"legendiert". Bis 1989 kamen mindestens 136 Menschen an der Mauer zu Tode. Der Bundesgerichtshof stellte fest, dass die gezielte Tötung von unbewaffneten Flüchtlingen auch in der DDR Unrecht war. Ab 1990 wurden 246 Personen angeklagt - Mauerschützen und ihre Befehlsgeber. Knapp die Hälfte wurde freigesprochen, 132 Personen wurden zu Freiheits- und Bewährungsstrafen verurteilt.
Nachdem ab 1945 dreieinhalb Millionen Menschen aus der sowjetisch besetzten Zone geflohen waren, fiel der Eiserne Vorhang. Am 13. August 1961 ließ die DDR in Berlin die Mauer errichten. Die Grenzsoldaten sollten Fluchten mit allen Mitteln verhindern - auch mit der Waffe (Schießbefehl). Mauertote wurden verheimlicht, den Ermordeten andere Todesursachen an-"legendiert". Bis 1989 kamen mindestens 136 Menschen an der Mauer zu Tode. Der Bundesgerichtshof stellte fest, dass die gezielte Tötung von unbewaffneten Flüchtlingen auch in der DDR Unrecht war. Ab 1990 wurden 246 Personen angeklagt - Mauerschützen und ihre Befehlsgeber. Knapp die Hälfte wurde freigesprochen, 132 Personen wurden zu Freiheits- und Bewährungsstrafen verurteilt.