Mit dem wuchtigen Mauerwerk und dem Wehr-Turm, der von hoch oben weit über Alzenau im Grenzgebiet zwischen Hessen und Bayern blicken lässt, sieht die "Villa Meßmer" eher wie eine Ritterburg aus als wie ein Restaurant. Und das Gebäude wirkt so, als ob man hier als Gastronom nichts falsch machen kann. "Von außen kann man erst mal keine Probleme sehen", sagt auch Tim Raue zu seiner Gattin Katharina, der Inneneinrichterin mit dem guten Menschengespür, als sie ihren vorerst letzten Einsatzort der "Restaurantretter"-Staffel bei RTL aufsuchen.
Und doch hat die beiden mit Wirt Arnold ein Mann gerufen, der vor den Scherben seines Lebenswerks steht. Der gebürtige Rumäne betreibt mit seiner Frau Miriam und seiner Schwiegermutter ein Restaurant, das völlig aus dem Ruder gelaufen ist.
Chaos-Koch: "Dann kann ich betteln gehen"
Der 65-jährige Arnold steckt über beide Ohren in Schulden und hat sogar schon seine private Altersversorgung geopfert. Monatlich muss er im Festsaal und der eleganten Turmstube, die zusammen rund 120 Gästen Platz bieten würden, rund 30.000 Euro Umsatz machen. Zuletzt hatte er so gut wie keine zahlenden Gäste mehr. Wenn das so weitergeht, bleibt nur ein Horrorszenario: "Dann kann ich betteln gehen", meint Arnold bitter.
Schnell zeigt sich: Es liegt natürlich nicht am Ambiente – auch wenn Katharinas kritischer Blick auf kitschige Engelsfiguren im Raum fällt. Arnold kann auch gut kochen, er bringt Jahrzehnte an Erfahrung mit. Und auch für die sehr hochwertigen Gerichte verlangt er zumindest angemessen stolze Preise. Das Problem liegt tiefer.
Tim Raue: "Wirtschaftlich gesehen der Horror"
"Das ist eine kleine Weltreise", stöhnt Tim Raue auf, als er die Speisekarte mit den unzähligen Einzelposten - darunter sage und schreibe 13 Suppen-Varianten und 16 Zwischengänge - prüft. Zudem verteilt Arnold riesige Portionen, darunter einen enorm sättigenden Gratis-Gruß aus der Küche vorneweg. "Das ist wirtschaftlich gesehen der Horror", meint Tim Raue. Wer soll da überhaupt noch Vorspeisen, geschweige denn später ein Dessert bestellen? Wieder einmal ist es die naive "Viel hilft viel"-Maxime, die einem Gastronom das wirtschaftliche Genick zu brechen droht.
In Gegenwart des Sternekochs wirkt der Hausherr und Küchenchef nervös. Vor allem, wenn hoher Anspruch - Filet-Gerichte zu Preisen von fast 50 Euro - auf eher banale Zutaten trifft. "Das ist Gasthaus-Niveau, nicht Restaurant-Niveau", schimpft Raue. "Das ist, als ob du Porsche fahren wolltest", sagt er zu Arnold. "Deins ist eher so Passat."
Die Lösung: Downgrading. Arnold ist der erste Fall, staunt Raue selbst, bei der er einen zu ambitionierten, durchaus talentierten, aber überforderten Koch in seinen Ansprüchen herunterstufen muss. Raue will weniger Gerichte auf der Karte – und eher bodenständige Speisen mit regionalen Einflüssen.
Tim Raue: "Das schmeckt nach Armut."
So besteht die erste Koch-Aufgabe aus einer hessisch inspirierten "Handkäs"-Suppe. Bei den Management-Aufgaben geht es um ein radikales Eindampfen der Karte. Was beide Raues stark verwirrt: Fast alle guten Vorschläge, die sie dem Chaos-Koch unterbreiten, hat dessen liebenswerte, aber etwas schüchterne jüngere Frau Miriam ihren Mann auch schon längst gemacht. Nur, dass Arnold bei ihr offensichtlich nicht zuhört.
"Du kannst keine Ego-Schiene fahren", stutzt Katharina Raue den beratungsresistenten Koch zurecht. Zunehmend ärgert sich dann auch Tim Raue, wenn er zwar freundliches Nicken von Arnold registriert, aber heimlich dann doch wieder mangelnde Bereitschaft zur Veränderung. "All das hat deine Frau auch gesagt", klagt Tim Raue Arnold an.
Besonders streng wird Gastro-Profi Raue, als es um das Umschreiben des Angebots geht. Das teure Rinderfilet darf in Zukunft nicht mehr zwei Drittel der Karte ausmachen. Dafür müssen die Zutaten aufgepeppt werden - auch mit mehr Mut zu Gewürzen. So schimpft der Sternekoch genervt über Arnolds Polenta-Beilage: "Das schmeckt nach gar nichts." Schlimmer noch: "Das schmeckt nach Armut."
Als er dann auch noch mitbekommt, dass Arnold früher versteckte "Empfehlungen" (seine eigenen nämlich) aufs Menü gemogelt hat, platzt Tim Raue der Kragen: "Du hast Speisekartenverbot!" Der Sternekoch auf Durchreise übernimmt das Kommando in der Küche. Arnold muss lernen, wie er sich und andere besser organisiert.
"Ich hab ihn nur einmal weinen gesehen"
Es ist eine harte Schule. Aber ein Erfolg. Als Katharina Raue der Familie den behutsam aufgehübschten Speisesaal zeigt, kommen Arnold die Tränen. "Fantastisch", stammelt er. "So schön." Es sei wirklich "ein Zauber", meint Arnold – und schluchzt.
Bezeichnenderweise kommt genau da die Familie wieder zusammen. "Ich hab ihn nur einmal weinen gesehen", sagt Arnolds Frau Miriam – und wirkt dabei überraschend froh und verschmitzt.
Tatsächlich gelingt dann auch die erste große Bewährungsprobe vor geladenen Gästen grandios. Von allen Seiten wird nicht nur die "neue" Villa gelobt, sondern vor allem die regional beeinflussten Gerichte. Noch wichtiger: Der neue Kurs passt auch noch vier Wochen später - beim Wiederbesuchs der Raues, die entspannte Gäste, aber vor allem eine harmonische Familie antreffen.
Miriam ist endlich auch in Realität mindestens zur Hälfte mitverantwortlich für den Erfolg. Und Arnold wirkt wie ausgewechselt. "Ich bin ein anderer Mensch geworden", lobt er die Arbeit der Raues. "Ihr habt mich so glücklich gemacht."
Das Original zu diesem Beitrag "Tim Raue beendet "Ego-Schiene" von Chaos-Koch" stammt von "Teleschau".