Das Spiel um den Olympiasieg war spannend wie ein "Tatort" - nur hatte es einen höheren Marktanteil. Auch wenn es frühmorgens war: Auf jedem zweiten eingeschalteten TV lief der Fight des deutschen Teams, das in der Verlängerung Russland unterlag. Durchschnittlich verfolgten 3,19 Millionen Zuschauer den größten Erfolg der deutschen Eishockeygeschichte. Anhänger des Kufensports hoffen nun, dass die Silbermedaille Gold wert ist und etwas Leben in die deutsche Fußball-Monokultur bringt. Wahrscheinlich ist diese Entwicklung jedoch nicht; Basketballer/Volleyballer/Handballer können ein Lied davon singen.

Letztere meldeten nach dem EM-Titel und Olympia-Bronze 2016 Ansprüche auf die klare Nummer zwei hinter Fußball an - doch es fehlte an sportlicher Bestätigung des Erfolgs und vermarktbaren Typen. Ein Andreas Wolff reichte ebenso wenig für den Durchbruch wie früher Stefan Kretzschmar. Die Fallhöhe für die Olympiahelden bei der Eishockey-WM in Dänemark (4. bis 20. Mai) ist also beträchtlich. Bundestrainer Marco Sturm spannt schon mal das verbale Sprungtuch auf.

Die Eishockey-WM überall live verfolgen mit TV SPIELFILM live

Ein Interview mit Bundestrainer Marco Sturm

imago

Bundestrainer Marco Sturm über Olympia-Silber: "Die Silbermedaille fühlt sich wie Gold an!"

TV SPIELFILM: Hat sich Sönke Wortmann, Regisseur des Films "Das Wunder von Bern", schon bei Ihnen gemeldet?
Marco Sturm: Nein (lacht). Aber ich weiß natürlich, worauf Sie hinaus wollen.

Taugt das Wunder von Pyeongchang als Filmstoff - oder hätte es dafür doch Gold sein müssen?
Sagen wir mal so: Das würde es dem Regisseur dramaturgisch sicher leichter machen. Ich sage dennoch Nein: Die Silbermedaille fühlt sich wie Gold an! Wer hätte denn schon gedacht, dass wir ins Finale kommen? Für uns war das mehr als ein kleines Wunder.

Haben Sie vor Ort in Südkorea eigentlich was von dem Hype in der Heimat mitbekommen?
So richtig gemerkt habe ich das erst, als wir wieder in Deutschland waren. Von Tag eins bis heute ist das zu spüren. Das Turnier, die Silbermedaille hat schon einiges verändert. Ich werde ständig auf Olympia angesprochen. Wenn man erfährt, wer alles zugeschaut und das mitverfolgt hat - das macht mich schon stolz.

Am Ende fehlten gegen Russland 56 Sekunden - haben Sie als Profi in der NHL mal etwas emotional Vergleichbares erlebt?

Enge Spiele wie gegen Russland habe ich natürlich einige erlebt - aber keines war so bedeutend. Es ging um olympisches Gold! Und dann so ein verrücktes Spiel? Das war auch für mich neu. Aus meiner Sicht war allerdings das Halbfinale gegen Kanada das entscheidende Spiel. Ich denke, das Schlimmste wäre gewesen, wenn wir ohne Medaille hätten abreisen müssen. Wir wussten ja: Okay, wenn es gegen Kanada nicht klappen sollte, spielen wir gegen Russland oder Tschechien, also auf jeden Fall gegen ein Team, das in der Weltrangliste vor uns steht...

Die Überzeugung, auch die großen Eishockeynationen packen zu können, war in der Vergangenheit nicht immer da. Wie wichtig war dieser Aspekt für ihre Arbeit als Bundestrainer?
Bei meiner ersten WM als Bundestrainer, 2016 in Russland, als wir das Viertelfinale erreicht haben, waren wir eigentlich schon vor dem Spiel zufrieden und sind prompt gegen den Gastgeber ausgeschieden. Das habe ich nicht verstanden...

...und auch ganz sicher nicht akzeptiert...
...nein, das habe ich meiner Mannschaft nach dem Spiel auch mitgeteilt. Aber das Problem tauchte bei der Heim-WM 2017 erneut auf. Wir waren zufrieden und sind im Viertelfinale gegen die Kanadier erst zehn Minuten vor Schluss so richtig aufgewacht. Da war es aber schon zu spät. Das fand ich sehr schade, weil ich weiß, dass eine Eishockey-Karriere kurz ist - da muss man jede Möglichkeit nutzen, die sich bietet. Die muss man dann genießen, aber man muss es auch erzwingen wollen. Ich wusste einfach: Da ist mehr drin! Deswegen freut mich der Olympia-Erfolg umso mehr. Ich habe diesen Gedanken zwar in die Mannschaft getragen, aber sie hat ihn übernommen und in jeder Sekunde auf dem Eis gelebt.

In einem Testspiel gegen Russland gelang kürzlich die Revanche für die Finalniederlage bei Olympia. Gehört Deutschland jetzt zu den großen Eishockeynationen?
(lacht) Nein, wir sind noch immer eine kleine Eishockeynation, die sich in jedem Spiel neu beweisen muss. Aber wenn wir so ein Spiel wie jetzt gegen Russland gewinnen, tut uns das natürlich gut. Es zeigt: Wir können auch Eishockey spielen!

Mission Impossible: Die Eishockey WM in Dänemark

imago

Nach dem berauschenden Olympia-Turnier warnt der Bundestrainer: "Wir dürfen uns vom Erfolg nicht blenden lassen!"

Die WhatsApp-Gruppe ihres Teams bei Olympia trug den Titel "Mission Gold" - wäre für die WM "Mission Impossible" treffender?
Richtig ist, dass wir uns vom Erfolg nicht blenden lassen dürfen. Ich habe mich gerade mit Alois Schloder unterhalten, der war 1976 als Bronzemedaillengewinner in Innsbruck dabei - und zwei Monate später stand das Team bei der WM kurz vor dem Abstieg.

Befürchten Sie denn eine Wiederholung der Geschichte?
Nein, das nicht. Aber allen muss klar sein: Wir starten bei der WM wieder bei null. Dass die Euphorie gerade ziemlich groß ist und die Erwartungen ziemlich hoch, macht das Turnier für uns nicht unbedingt einfacher.

Anders als in Pyeongchang werden bei der WM auch NHL-Profis mitmischen. Drohen da bei Ihnen nicht Spannungen im Team, weil einige Olympiahelden sich womöglich zurückgesetzt fühlen?
Auch bei der Qualifikation für die WM in Riga waren unsere NHL-Jungs dabei. Die sind alle menschlich wie spielerisch top, passen perfekt in unsere Mannschaft. Alle anderen wissen doch Bescheid: Die NHL-Profis spielen nun mal in der besten Liga der Welt, weil sie bessere Eishockeyspieler sind. Wenn die dabei sind, gewinnen wir automatisch an Qualität.

Wie schwer wiegt der Rücktritt von Christian Ehrhoff mit Blick auf die WM?
Das tut uns richtig weh, keine Frage. Christian war nicht nur auf dem Eis, sondern auch abseits ein absoluter Führungsspieler. Je älter er geworden ist, umso wichtiger war er für unsere Mannschaft. Andererseits habe ich volles Verständnis für seine Entscheidung. Ich kann nur meinen Hut ziehen und hoffen, dass er dem Eishockey in irgendeiner Funktion erhalten bleibt.

Wagen Sie einen kurzen sportlichen Ausblick auf die WM, obwohl die Kaderplanung noch nicht abgeschlossen ist?
Egal, wer letztendlich dabei sein wird: Das Ziel ist, dass wir den Platz unter den Top 8 verteidigen. Langfristig wird es hart genug, diese Position zu halten. Aber speziell nach Olympia, nach dieser Euphorie noch einmal ein ordentliches Turnier zu spielen: Das würde mich glücklich machen.

Wie kann Eishockey in Deutschland von Olympia profitieren und sich in der Monokultur Fußball besser aufstellen?
Das ist bei uns für jede Sportart schwierig, weil Fußball die absolute Nummer eins ist. Und auch immer bleiben wird. Aber natürlich müssen wir versuchen, den Olympiaerfolg als Anschubhilfe zu nutzen.

Was schwebt Ihnen konkret vor?
Nachwuchsprojekte wie Powerplay 26 gibt es ja schon. Aber so etwas braucht Zeit. Entscheidend ist es, jetzt im Profibereich ein Zeichen zu setzen und jungen deutschen Spielern eine Chance zu geben. Momentan bieten sich den 18- bis 22-Jährigen da einfach zu wenig Möglichkeiten. Genau dieses Alter aber ist für die Entwicklung besonders wichtig. Das sollte unbedingt jetzt geschehen, sonst wird es ganz schwierig. Andere Länder sind uns da klar voraus.