Ihr Traum, Ärztin zu werden, hat sich erfüllt - oder fast: Auch deshalb, weil Sabrina Amali schon immer schlecht Blut sehen konnte, landete die 1992 in Basel geborene Tochter einer Marokkanerin und eines Schweizers in der Schauspielbranche statt im Krankenhausalltag. Nun übernimmt sie die Hauptrolle in der neuen, zunächst sechsteiligen ARD-Serie "Die Notärztin". Diese erzählt ab dem 13. Februar immer dienstags zur besten Sendezeit (eine Woche vorab in der ARD Mediathek abrufbar) vom turbulenten Alltag der Einsatzkräfte auf der fiktiven Mannheimer Feuerwache III. Im Interview verrät die 32-Jährige, wie sie ihr Praktikum im Rettungsdienst erlebt hat und wie es ist, sich als Frau in dieser rauen Männerwelt zu behaupten. Amali nutzt die Gelegenheit, um über Lücken und Engpässe im deutschen Gesundheitssystem zu sprechen - und übt scharfe Kritik.

Was macht in Ihren Augen einen guten Arzt oder eine gute Ärztin aus?

Sabrina Amali: Das ist eine schöne Frage. Eine gute Ärztin - so ist auch meine Rolle angelegt - ist vom Handwerk und von der Kompetenz her auf höchstem Niveau. Das sollte auch ihr Anspruch sein. Gleichzeitig geht sie über die normale Allgemeinmedizin hinaus, indem sie versucht, die Ursache des Problems zu finden oder auch psychologisch zu agieren.

Sie meinen, es geht auch darum, den Menschen hinter der Krankheit zu sehen?

Sabrina Amali: Genau. Der Behandlungsplan umfasst weit mehr, als man zunächst glauben mag.

So hat sich "Die Notärztin" auf die Rolle vorbereitet

Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?

Sabrina Amali: Ich habe ein zweitägiges Praktikum beim Rettungsdienst der Johanniter in Kreuzberg gemacht. Zwei Tage à zehn Stunden. Während der Dreharbeiten und der Vorbereitung war auch ein Rettungssanitäter am Set. Der hat mir immer ganz genau auf die Finger geschaut. Unsere enge Zusammenarbeit war sehr wichtig - vor allem bei den verschiedenen Handgriffen. Wenn größere Einsätze anstanden, haben wir schon einige Tage vor Drehbeginn mit den Proben begonnen.

So viele Fachbegriffe und technische Aspekte: etwas, das nicht jede Rolle mit sich bringt ...

Sabrina Amali: Ja, das war eine große Herausforderung. Ich probte alles noch hundertmal zu Hause. Besonders wichtig war mir, kein einziges Wort zu sagen, dessen Bedeutung ich nicht kenne.

Wie war Ihre Zeit beim Rettungsdienst?

Sabrina Amali: Ich schaute dem Notarzt immer über die Schulter: Wie spricht er mit seinen Patienten? Wie bewegt er sich, wenn er nervös ist oder ihm etwas nicht passt? Ich übernahm Kleinigkeiten, von denen der Notarzt gar nichts mitbekommen hat. Außerdem beschäftigte ich mich vor allem mit den Themen Burnout und Helfersyndrom im Berufsfeld Medizin.

Sie durften hinter die Kulissen schauen: Was sind das für Menschen, die diesen Beruf ausüben?

Sabrina Amali: Das sind sehr engagierte und meistens auch sehr empathische Menschen. Leider ist es so, dass viele, die im Gesundheitswesen arbeiten, ausgebrannt sind und verheizt werden. Hier muss noch viel passieren.

Kein deutsches "Grey's Anatomy"

Sind Sie während Ihrer Zeit beim Rettungsdienst auch an Ihre Grenzen gestoßen?

Sabrina Amali: Oh ja, ich könnte viele Geschichten erzählen, aber ich habe versprochen, diese Geschichten und die Menschen dahinter zu schützen. Es gab viele Momente, die energetisch sehr intensiv waren. Manchmal betritt man Wohnungen und wird mit Lebensgeschichten konfrontiert, die kaum zu ertragen sind. Vielleicht fühle ich den Schmerz der anderen oder das Erlebte extremer, weil ich Schauspielerin bin und mir das antrainert habe. Ich habe gesehen, wie Menschen in Verwahrlosung oder Einsamkeit leben. Allein in Neukölln gibt es so viele einsame alte Menschen. Das hat mich aufgewühlt.

Beleuchtet die Serie auch diese Schattenseiten des Berufs?

Sabrina Amali: Ja, wir greifen nicht nur medizinisch ergreifende Fälle auf, sondern thematisieren auch, womit die Kräfte in der Gesellschaft tagtäglich zu kämpfen haben.

Schließlich wird die Kritik an Lücken im deutschen Gesundheitssystem immer lauter und die gesellschaftspolitische Lage immer angespannter ...

Sabrina Amali: Das ist bedenklich, ja. Natürlich fällt die ARD-Serie nicht unbedingt unter Bildungsfernsehen - und der moralische Zeigefinger steht auch nicht unbedingt im Vordergrund. In erster Linie geht es mir aber schon darum, das Bewusstsein für dieses Berufsfeld zu schärfen.

Also eher kein deutsches "Grey's Anatomy"?

Sabrina Amali: (lacht). Wir zeigen den Alltag ungeschminkt - ohne Extra-Action oder kuriose Fälle. Aber mit Liebe und Spaß. Im Rettungsdienst muss man einfach Humor haben, um damit umgehen zu können. Gleichzeitig geben die Einsatzkräfte viel Privates für diesen Beruf auf. Deshalb spielen sich auch viele Beziehungen im Beruf ab. Außerdem spielt das Thema Sexismus auch eine Rolle - nicht nur in der Serie ...

Sexismus und Rassismus sind im Alltag

Wie nehmen Sie selbst das Thema wahr, gerade auch als Frau mit marokkanischen Wurzeln?

Sabrina Amali: Sexismus und Rassismus sind im Alltag leider immer noch erschreckend präsent. Vor allem in männerdominierten Berufen. Deshalb finde ich es schön, wie zum Beispiel meine Figur in der Serie mit Sexismus umgeht: sozusagen mit dem Kopf durch die Wand. Das ist der Weg, finde ich: Frauen müssen sich zusammenschließen - ohne Angst. Frauen können lernen, sich in einer männerdominierten Welt durchzusetzen. Ich sehe da aber durchaus eine Entwicklung: Wir Frauen haben angefangen, uns zusammenzutun und uns gegenseitig zu stärken. Wir sind auf einem guten Weg. Aber nur, wenn wir laut bleiben.

Wie ist es in der Schauspielbranche?

Sabrina Amali: Es ist leider immer noch so, dass Frauen aufgrund von sexistischen Einstellungen oder aufgrund ihrer Herkunft nicht die Rollen bekommen, die sie gerne hätten. Oder Geschichten werden sexistisch erzählt - auch das gibt es noch. Dass ich mit meiner Herkunft in eine Schublade gesteckt wurde, hat mich auch verletzt, jahrelang. Ich bin davon überzeugt, dass wir selbst anfangen müssen, uns noch mehr in die Politik einzumischen. Noch mehr selber schreiben, selber inszenieren - die Dinge einfach selber in die Hand nehmen. Das ist notwendig, um etwas zu verändern.

"'Die Notärztin' hat mich einfach total berührt"

Inwiefern hat diese Rolle Ihre Sicht auf die Rettungskräfte beeinflusst?

Sabrina Amali: Ich weiß jetzt: Ich hätte öfter in meinem bisherigen Leben den Notruf wählen sollen. Ich hätte mich öfter auf die Rettungskräfte verlassen sollen, anstatt zu versuchen, eine kritische Situation selbst zu lösen. Das versuche ich auch den Jüngeren in meiner Familie zu erklären: Wenn etwas ist, hier ist die Nummer, ruf an! Wir haben diese Sicherheit in unserem Land - und das ist wirklich ein großes Geschenk.

Was haben Ihre Freunde oder Ihre Familie gesagt, als sie erfahren haben, dass sie "die Notärztin" verkörpern?

Sabrina Amali: Mein Umfeld hat sich wahnsinnig gefreut, und meine Mutter fand vor allem die Thematik so spannend. Das ist schließlich auch keine normale Medical-Serie. Wir machen keine dieser Ärzte-Serien, die es schon zuhauf gibt.

Sondern?

Sabrina Amali: In der Flut der Arztserien wusste kaum jemand etwas über den Rettungsdienst - ich auch nicht. Was hat das mit der Feuerwehr zu tun? Wer sitzt am anderen Ende der Nummer, die man im Notfall wählt? Und was sind das für Menschen, die sich für diesen Beruf entscheiden? All diese Fragen versucht die Serie zu beantworten. Als Rettungssanitäter kommt man in so viele Haushalte. Ich kenne kaum einen anderen Beruf, in dem man so viel Einblick in das Leben der Menschen bekommt.

Sie haben richtig Feuer gefangen für Ihre Rolle, oder?

Sabrina Amali: Auf jeden Fall. Als Schauspielerin schaue ich mir jedes Drehbuch unabhängig von anderen Projekten an. Ich habe mich sofort in diese Realitätsnähe verliebt - und in die Menschen, die dahinterstehen. Alles ist so gut recherchiert. "Die Notärztin" hat mich einfach total berührt.

Das Original zu diesem Beitrag "Deutsches "Grey's Anatomy"? Neue Arztserie startet im Ersten" stammt von "Teleschau".