Von Anfang der Fünfziger bis 1989 saßen rund 8000 Frauen aus politischen Gründen im berüchtigten DDR-Frauengefängnis Hoheneck. Ihre Verbrechen? Missglückte Fluchtversuche oder wiederholte Ausreiseanträge, die auch mit Folterpraktiken bestraft wurden. Im ARD-Drama "Es ist nicht vorbei" spielt Anja Kling eine Frau, die in Hoheneck durch die Hölle gegangen ist.

Mehr als 20 Jahre hat sie die traumatische Zeit verdrängt, nun glaubt sie im neuen Chefarzt-Kollegen ihres Mannes (Tobias Oertel) einen Peiniger von damals wiederzuerkennen. Sie setzt alles daran, den Stasiarzt zu überführen - mit lebensgefährlichen Folgen ...

Der Psychothriller über ein dunkles Kapitel der jüngsten deutschen Vergangenheit läuft gleich zweimal: am 9. November im Ersten - mit der Doku "Die Frauen von Hoheneck" im Anschluss - und im 3sat-Zuschauerpreis "Die besten Fernsehfilme des Jahres" am 16. November.

Mit TV SPIELFILM sprechen die Schauspieler über die Wunden der Vergangenheit. Und sie suchen die Grenze in den Köpfen heute.

Wussten Sie von Hoheneck bereits vor den Dreharbeiten?

ANJA KLING Ich wusste, dass da ein Frauengefängnis ist. Aber ich habe nicht geahnt, dass da poli-tische Gefangene saßen. Dass es Hohenschönhausen gab, wusste ich auch nicht. Ich wusste überhaupt nur von Bautzen.

Bautzen II, der Stasiknast...

ANJA KLING Das war bekannt. Hat man sich gegen die DDR-Politik geäußert, kommt man direkt nach Bautzen.

Sie haben im Originalknast in Hoheneck gedreht. Gibt das dem Film einen Kick?

TOBIAS OERTEL Das Ausmaß wird noch deutlicher und drastischer. Das hat dem Grauen ein Gesicht gegeben. Ich war allerdings in diesen Szenen nicht beteiligt, kann mich aber erinnern, dass alle mit gemischten Gefühlen dahin gefahren sind.

ANJA KLING Von Weitem sieht es aus wie ein Schloss, das da auf einem Hügel steht. Wenn man näher kommt, ist es nicht mehr so heimelig. Drinnen wird einem mulmig zumute. Die Zellen sind gruselig, klein mit Dreistockbetten. Da saßen 30 bis 40 Frauen in einer Zelle - unter Beobachtung.

Spielt der Filmtitel darauf an, dass der Horror einen immer wieder einholen kann?

ANJA KLING Der Satz "Es ist nicht vorbei" stammt tatsächlich von ehemals inhaftierten Frauen - den Hoheneckerinnen, wie sie sich selbst nennen. Wenn sie ihr altes Gefängnis besuchen wollen, müssen sie dafür Eintritt bezahlen. Das ist absurd.

Ihre alten Peiniger arbeiten heute möglicherweise als Beamte der Stasi-Unterlagen-Behörde...

ANJA KLING In den Regionalverwaltungen sitzen auch immer noch einige, die mit der Stasi zusammengearbeitet haben. Wahrscheinlich wird man nie totale Gerechtigkeit erfahren, das erzählt auch der Film.

TOBIAS OERTEL Ich finde es krass, wie Leute, die früher bei der Stasi waren und heute in Behörden arbeiten, ihre Vergangenheit von ihrem Bewusstsein abspalten können. Das erinnert an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, wo ehemalige Nazigrößen in Amt und Würden geblieben sind - und durchaus in hohen Positionen, in Gerichten, in der Politik. Im Gegensatz zu den Opfern, die eben keinen Teil ihrer Vergangenheit von sich abspalten können. Das ist der Arschtritt nach dem Arschtritt.

ANJA KLING Aber Stasi ist nicht gleich Stasi. Ich würde nicht alle in einen Topf werfen. Es gibt durchaus Leute, die niemandem Schreckliches angetan haben, die niemanden denunziert haben. Ich möchte mal diejenigen sehen, die stark geblieben sind, wenn man erpresst wird nach dem Motto: Wenn deine Kinder Abitur machen sollen und studieren... Mein Gott, mal so einen kleinen Bericht einmal im Monat schreiben. Ich kenne selbst welche, die dann belangloses Zeug verfasst haben. Und dennoch - sie waren eben IM...

...und werden zu Unrecht verurteilt?

ANJA KLING Genau. Man müsste sich genau die Akten anschauen. Wer hat wem wirklich geschadet, und wer war nur nicht stark genug, um Nein zu sagen?

Heißt das, Sie würden auch verzeihen können?

ANJA KLING Es gibt nichts, was ich verzeihen müsste. Mir ist in der DDR niemals Schaden zugefügt worden. Ich saß nicht im Gefängnis, bin nicht mit Psychopharmaka gespritzt worden, durfte Abitur machen.

TOBIAS OERTEL Durfte Abitur machen? Da musste man bei uns aber niemanden drum bitten. Das ist doch krass, und du hebst es hervor.

Wie schlimm haben Sie als "Wessi" die DDR erlebt?

ANJA KLING Ich bin in der fränkischen Rhön aufgewachsen, nur ein paar Kilometer von der innerdeutschen Grenze entfernt. Dass da Menschen wie eingesperrt hinter einem Zaun leben, war für mich als kleiner Junge schwer zu begreifen ...

ANJA KLING Ich hab's immer noch nicht begriffen.

TOBIAS OERTEL ...und hat mir Angst gemacht. Es gab Schauergeschichten, dass die drüben nichts Richtiges zu essen hatten.

ANJA KLING Ihr habt gedacht, dass wir nichts zu essen hatten - und dass wir alle sächseln?

TOBIAS OERTEL Tut ihr das nicht? Im Ernst, als ich nach Berlin kam, war die Mauer weg. Ich bin vorgestern mit dem Fahrrad die Bernauer Straße entlanggefahren, da ist der halbe Grenzstreifen mittlerweile bebaut.

Gibt es in Berlin trotzdem noch ein Ost und West?

TOBIAS OERTEL Logisch, ich habe wieder rübergemacht, vom Prenzlauer Berg nach Kreuzberg.

Ausgerechnet der Prenzlauer Berg ist aber doch nicht mehr Osten...

TOBIAS OERTEL Von Wessis zwangsannektierter Osten.

ANJA KLING Ich finde, in Berlin spürt man das nicht mehr.

TOBIAS OERTEL Doch, klar.

ANJA KLING Ja?

TOBIAS OERTEL Finde ich.

ANJA KLING Besserwessi. (lacht)

Interview: Heiko Schulze