Spätestens seit "The Expendables" zum mehrteiligen Kino-Hit wurde, ist es kein Widerspruch mehr, Actionstoffe mit Stars Ü70 zu besetzen. Wieso auch? Die alten Recken können immer noch überzeugend in abgewrackten und tödlichen Rollen wirken. Arnold Schwarzenegger feierte in den 2010ern (seine Zeit als Gouverneur von Kalifornien war vorbei) gar eine Karriere-Renaissance. Doch selten war Action im hohen Alter je so überzeugend wie in der neuen Serie "The Old Man", die am 28. September 2022 bei Disney+ gestartet ist.
Sie basiert auf einem gleichnamigen Roman von Thomas Perry und hat in den USA bereits Kritiker und Zuschauer von sich restlos überzeugt. Jetzt verdient sie denselben Hype auch hierzulande – weil sie grandiose, harte Action zeigt und doch viel mehr als nur Action bietet.
Jeff Bridges auf der Flucht: "The Old Man" bei Disney+
Die letzten dreißig Jahre hat Dan Chase (Jeff Bridges) ein ruhiges Leben geführt, seit dem Tod seiner Frau sogar ein einsames. Das Alter zehrt an ihm: Er wird vergesslich, muss nachts gleich mehrfach zur Toilette. Schwung kommt in seinen Alltag, als nachts ein Einbrecher versucht, ihn zu töten – und Chase diesen effektiv und mit präziser Kampfkunst ausschaltet.
Chase war einst ein exzellent ausgebildeter Agent und kämpfte im Afghanistan-Krieg, hat sich aber heimlich aus dem gefährlichen Leben zurückgezogen. Jetzt hetzt ihm ein alter Bekannter, der stellvertretende FBI-Direktor Harold Harper (John Lithgow) ein Killerkommando auf den Hals. Chase flieht mit seinen zwei kampferprobten Hunden und taucht vorerst bei der sympathischen Vermieterin Zoe McDonald (Amy Brenneman) unter. Doch wie kann er für sich rechtfertigen, damit auch sie in Lebensgefahr zu bringen?
Von wegen Ruhestand: In "The Old Man" lassen es Ü70-Stars krachen
"The Old Man" ist ein Agententhriller alter Schule, ein Verfolgungskrimi à la "Auf der Flucht", ein Katz- und Mausspiel zweier gleichwertiger Gegner. Man hat Filme und Serien mit diesem Plot schon häufig gesehen. Dennoch ist "The Old Man" eine Sensation – und das liegt an den zwei Stars im Mittelpunkt: Oscarpreisträger Jeff Bridges ("The Big Lebowski") ist phänomenal als alter Veteran, der von Null auf Hundert zur tödlichen Maschine umschalten kann. Es war richtig, einen Schauspieler seines Kalibers für den Part zu wählen: Bridges muss hier nicht nur zupacken, sondern vor allem auch in vielen ruhigen und sensiblen Momenten einen Einblick in die Seele dieses Ex-Killers gewähren. In einer gerechten Welt wären ihm dutzende TV-Preise für seinen Auftritt sicher – zumal er während der Dreharbeiten seine Krebserkrankung besiegte und auch im echten Leben bewies, das er eine Kämpfernatur ist.
Sein Gegenspieler ist John Lithgow ("Interstellar"), an den sich Serienfans vor allem als Trinity Killer aus "Dexter" erinnern. Er ist ein formidables Gegengewicht zu Bridges als Berserker-Opa: Als eiskalter Verwalter des Todes, dem seine Untertan, darunter Agentin Angela Adams (Alia Shawkat) und Auftragsmörder Julian Carson (Gbenga Akinnagbe), treu ergeben sind, wirkt er brutal, ohne einen Finger krümmen zu müssen. Seinen Charakter und die Figur von Chase verbindet eine gemeinsame Vergangenheit über einen Vorfall im Nahen Osten. Doch so verfeindet beide auch sind: Die Dynamik von "The Old Man" rührt daher, dass beide Kontrahenten gegenseitig enormen Respekt füreinander aufbringen. Fast scheint dabei der private Respekt zweier Schauspieltitanen füreinander durch.
Disney+ hat neuen Geheimtipp: "The Old Man" ist fantastisch
Sieben Folgen, die teils über eine Stunde lang sind, wurden von "The Old Man" produziert, doch nach ihnen wird noch lange nicht Schluss sein. Eine zweite Staffel wurde bereits bestellt und dürfte schon 2023 erscheinen. Es tut gut, dass manche Produzenten in Hollywood noch Vertrauen in Stoffe haben, die sich gegen den Jugendwahn im Kino- und Serienbereich stellen. Erst recht, wenn es so grandios umgesetzt wird wie hier: Wenn Chase einzig mit seinem Verstand, seiner Erfahrung und seinen Hunden einen weltweiten Überwachungsapparat zum Narren hält, ist das auch ein Kommentar darauf, wie sträflich die Rentnergeneration in Zeiten der hoch technologisierten Welt oft vernachlässigt wird.
Dazu dann noch packende Musik des erfahrenen Gitarristen T Bone Burnett und fertig ist ein Seriengenuss, wie man ihn selten erlebt. Es bleibt zu hoffen, dass Disney+ in Deutschland ein Publikum mit dieser Produktion finden wird. "The Old Man" dient als Erinnerung – daran, wie grandios handgemachte Action sein kann, daran, wie wohltuend es oft ist, erfahrenen Weltklasse-Schauspielern bei der Arbeit zuzuschauen. Und daran, dass die besten Serienstoffe oft gar nicht originell sein müssen, sondern vor allem raffiniert und mitreißend umgesetzt.