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Absolutes Desaster: "Extraction 2" ist alles, was bei Netflix schiefläuft

Meinung | "Was war das denn?", schoss unserem Redakteur Michael Hille als Erstes durch den Kopf, als er die heiß erwartete Netflix-Fortsetzung "Tyler Rake: Extraction 2" gesehen hat. Für ihn ist dieses Action-Gewitter komplett danebengegangen.

Es ist eigentlich witzlos, Netflix und seine großen Blockbuster-Filme zu kritisieren. Mit vernichtenden Urteilen fiel die Fachpresse in den letzten Jahren über "The Old Guard", "Red Notice" und "The Gray Man" her, mit den immer ähnlichen Argumenten: Die Plots dieser Actionabenteuer sind papierdünn, die Charaktere bleiben nicht in Erinnerung, die CGI-Effekte sind oft schauderhaft, die Schauspieler verschwenden ihr Talent, Kameraführung, Schnitt und Ton sind bestenfalls Durchschnittsware. Aber: Diese Filme sind auch alle große Erfolge.

2020 avancierte bei Netflix – u.a. auch durch den ersten Corona-Lockdown – der Actionfilm "Tyler Rake: Extraction" zum Überraschungshit. Durchaus verdient: Es mag sich um stumpfes Geballer gehandelt haben, doch war die Action dafür eben superb fotografiert, insbesondere eine über 10-minütige Szene, die ohne einen einzigen Schnitt auskam. Jetzt ist Chris Hemsworth zurück und gibt erneut den harten Hund. Und die Action ist auch in diesem "Film" wieder superb fotografiert. Dennoch: Den Begriff "Film" setzt man bei "Tyler Rake: Extraction 2" besser in Anführungszeichen. Nach allen filmischen Gesichtspunkten handelt es sich hier um ein absolutes Desaster. Aber: Spielt das eine Rolle?

"Tyler Rake: Extraction 2" hat wenig Plot, aber viel Geballer

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Tyler Rake hält Ausschau. Ob er wohl den Plot des neuen Films sucht?

Der Plot von "Tyler Rake: Extraction 2" ist so egal, dass man ihn kaum erzählen muss. Hemsworths Figur war eigentlich tot, lebt jetzt aber doch dank Wunderheilung (und einer Trainingsmontage, die direkt aus dem seligen Trash-Meisterwerk "Rocky IV" stammen könnte) wieder. Als Alm-Öhi-Verschnitt hockt er irgendwo in einer Berghütte und leckt seine Wunden. Dann flattert der nächste Auftrag rein: Irgendein Gangster hält seine Frau und seine Kinder in irgendeinem georgischen Superknast gefangen und Rake soll die da irgendwie rausholen. Die Devise: Wieso, weshalb, warum – wer nachfragt, bleibt dumm, denn erklärt wird nix so wirklich ausreichend.

Und dann geht's wieder los. Regisseur Sam Hargrave ist zurück und setzt wie im ersten Film auf lange, unendliche Action- und Baller- und Prügelszenen, alle von der Marke "Je oller, je doller". Gleich die erste große Actionszene, besagter Gefängnisein- und ausbruch, ist satte 21 Minuten lang, läuft in Echtzeit und erneut ohne erkennbaren Schnitt. Da stürmen hunderte Menschen durcheinander, Gefangene wie Wärter, und hauen sich die Köppe ein, und irgendwo dazwischen läuft Hemsworth herum, und haut mit. Im Bild ist ganz viel los, die Kamera fliegt, rast, wackelt und schlängelt sich so unübersichtlich wie möglich durch das ultrabrutale Gemetzel. Und dann nach diesen endlosen 21 Minuten, tja, da sind sie dann endlich raus, und der Zuschauer dem Abspann ein ganzes Stück näher.

Endlos-Action muss nicht schlecht sein, ist es hier aber

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Fast hätte ein Dialog für Spannung gesorgt. Zum Glück fliegt in "Tyler Rake: Extraction 2" schnell wieder etwas in die Luft.

"Extraction" war 2020 ein großer Hit, also ergab es sicher aus Business-Sicht Sinn, eine Fortsetzung zu drehen. Nur wie erzählt man eine Geschichte weiter, die schon beim ersten Mal gar nichts zu erzählen hatte? Auf diese Frage formuliert der neue "Tyler Rake"-Film keine überzeugende Antwort. Ja, zwischen den ewig vielen und nie endenden Metzelszenen gibt es mal kleine Dialog-Einsprengsel, hin und wieder darf sogar Tyler Rakes Privatleben beleuchtet werden, meist in Gestalt seiner Ex-Frau Mia (Olga Kurylenko). Über die Form eines Lückenfüllers kommt dieses Prozedere aber wahrlich nicht heraus. Hargraves "Film" ist regelrecht froh, wenn er wieder zur Action kommen kann, wenn wieder irgendwas los ist. An sich die richtige Idee: Wenn am ersten "Extraction"-Film etwas zündete, dann die Action. Doch Teil 2 hat so viel davon, in so ausufernder Form, dass Dramaturgie und Spannung keinen Raum bekommen.

Filme, die fast nur aus Action bestehen, sind nicht zwangsläufig schlecht. Die virtuosen Ballett-Inszenierungen der Schusswechsel in den immerhin schon vier "John Wick"-Filmen sorgen für schweißnasse Hände im Kino. Die Stunt-Shows der "Mission: Impossible"-Reihe leben nicht zuletzt von Tom "Ich brauche kein Double" Cruise. "Mad Max: Fury Road" erzählte inmitten der vielen Verfolgungsjagden eine ganze Menge über zahlreiche komplexe Figuren. Wenn diese Filme ein wohlig schmeckender Cocktail aus mehreren Zutaten sind, dann ist "Extraction 2" ein überteuerter Shot: Schmeckt nicht wirklich, betäubt aber kurz die Sinne.

Warum "Tyler Rake: Extraction 2" kaum noch ein Film ist

Nur: Ist es das, was heute der Gold-Standard von Netflix sein soll? Sind das die Top-Produktionen des schönen neuen Streaming-Zeitalters? Es handelt sich hierbei um Aneinanderreihungen klischeehafter Dialoge, gesprochen von Figuren, die niemanden interessieren, in einer Handlung, die keine ist, unterbrochen durch ewige Actionszenen, in denen man nicht folgen kann. Bewertet als Film selbst taugt das gar nicht. Jeder Dozent an einer Filmhochschule würde bei jeder zweiten Szene die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Aber gleichzeitig ist es eben auch egal. "Tyler Rake: Extraction 2" ist schlicht kein richtiger Film, sondern ein Produkt.

Netflix scheint mit diesen Produktionen Erfolg zu haben, vielleicht, weil diese "Filme" gar nicht für ein Publikum produziert werden, dass aufmerksam den Bildschirm verfolgt, sondern für eines, dass diese Produkte nur nebenbei laufen lässt. "Tyler Rake: Extraction 2", genau wie "Red Notice", "The Gray Man" und Co. sind nicht mehr als Seifenblasen-TV: Kann man mal kurz angucken, ist dann aber auch schnell wieder null und nichtig. Ein paar Minuten reingeschaut, schon freut sich der Algorithmus. Eigentlich muss man also die Frage stellen, warum sich die Macher von "Tyler Rake: Extraction 2" überhaupt noch die Mühe gemacht haben, so viel offensichtlichen Aufwand in große Kulissen, echte Stunts und organisierte Statistenmengen zu investieren. Das Resultat schließlich ist genauso lustlos, wie es am Ende vom Publikum goutiert wird.

Die Netflix-Filme der vergangenen Jahre, die großen Blockbuster der Streamingwelt, sie alle fühlen sich für Kritik und skurrilerweise laut Internetmedien auch für die Zuschauer unwichtig, wegwerfbar und belanglos an – generieren aber viele Klicks und Umsatz. Wie jede echte Fortsetzung steigert der zweite "Tyler Rake"-Film das und ist jetzt nicht nur noch größer und lärmiger, sondern noch unwichtiger, wegwerfbarer und belangloser. Heißt also wohl, dass er für Netflix ein absoluter Mega-Hit wird.

Und damit spielt das alles vielleicht wirklich gar keine Rolle.

Meine Meinung:

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Alf am 29.03.24 hilfreich: ?

Schlechter Nachfolger

Sehe es im Grunde genau wie die Kritik. Während der 1. Teil noch Tiefgang hatte, wird im 2. Teil nur noch auf Explosionen, Massenkämpfe und Geballer gesetzt.

Leider immer mehr Standard, schlechte Produktionen, die der breiten Masse auch noch gefallen, es gibt ja nichts Besseres.

Wobber am 23.07.23 hilfreich: ?

Warum schlecht?

Ok, er kam nicht an den ersten Teil ran, waren viele merkwürdige Szenen drin (Stimmt mit dem, dass er wie ein Wunder wiederbelebt wird nach Stunden im Wasser). Aber eines hat der Herr Hille Falsch verstanden. Es waren nicht seine Kinder, sondern die Schwester seiner Frau und deren Kinder! Sein Sohn ist gestorben, was man eigentlich mehrfach im Film hört!

Ich fand den Film auch recht gut, weil es soll ja ein Baller, krach boom Film sein und die Story war jetzt auch nicht so schlecht! Werde ihn mir mit Sicherheit auch noch ein drittes mal anschauen :)

Tom Ermy am 22.06.23 hilfreich: ?

Er rettet die Schwester seiner Ex-Frau

Soviel Genauigkeit sollte auch bei einer dünnen Story sein. Die Action war gut, genau dafür schaue ich mir den Film an. Freue mich auf Teil 3, wer braucht schon John Wicki wenn we Tyler Rake hat :)