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Twilight - Biss zum Morgengrauen

Filmstars, die ihr Image als Teenie-Idole loswerden wollen, haben zwei Möglichkeiten:

Sie wollen den Kritikern krampfhaft zeigen, dass als Schauspieler ernst genommen werden müssen. So wie Leonardo DiCaprio, der nach "Titanic" verzweifelt mit fiebrigem Overacting und heißlaufender Gesichtsmuskulatur dem Oscar nachrannte. Oder Kristen Stewarts Ex-"Twilight"-Kollege und Exfreund Robert Pattinson, der sich mit einer Behindertenrolle in "The Rover" blamierte.

Man kann es aber auch einfach wie Kristen Stewart machen: Gute, vielfältige Rollen aussuchen, mit ausgewählten Regisseuren und Filmpartnern arbeiten und sich auch für Nebenrollen nicht zu schade sein. Bis irgendwann auch der letzte Kritiker besänftigt ist. So gelang es Stewart in den letzten Jahren endgültig, den Geruch der "Twilight"-Saga loszuwerden, die ihr sieben Nominierungen für den Anti-Oscar Goldene Himbeere einbrockte.

Es war ja nicht so, dass Stewart vor und während der "Twilight"-Ära (2008-2012) keine guten Rollen gespielt hätte, aber die Vampirsaga schluckte alles Licht, das auf die heute 26-Jährige hätte fallen können. Die Tochter eines amerikanischen TV-Produzenten und eines australischen "Scriptgirls" kam familienbedingt schon früh mit der Schauspielerei in Berührung. Nach ihrem TV-Debüt 1999 in "Das dreizehnte Jahr" hatte sie mit zwölf ihren ersten großen Kinoauftritt: Als Jodie Fosters Tochter in David Finchers Home-Invasion-Thriller "Panic Room". Es folgten ein paar Nebenrollen als Tochter von... oder Schwester von... Größeres Aufsehen erregte sie 2007 als Sängerin in dem Aussteigerdrama "Into the Wild". Und dann kam "Twilight".

Auch während der fünfteiligen Saga nahm Stewart immer wieder Rollen an, die einen Kontrapunkt zu der aseptischen Vampirreihe darstellten - als Rochsängerin Joan Jett in "The Runawys" oder als Prostituierte in "Willkommen bei den Rileys" - für die Öffentlichkeit blieb sie Bella Swan.

Die Erlösung von "Twilight"

Doch ab 2012 gelang es ihr - und den Kritikern - sich langsam von "Twilight" zu lösen. Sie überzeugte in so unterschiedlichen Filmen wie dem Alzheimer-Drama "Still Alice", der Kiffer-Komödie "American Ultra" und Woody Allens "Café Society" Der Höhepunkt ihres neuen Karriereabschnitt war sicherlich das Arthaus-Drama "Die Wolken Sils Maria". Für ihre Nebenrolle als Assistentin von Juliette Binoche gewann sie neben diverser Kritikerpreise als erste US-Schauspielerin überhaupt den wichtigsten französischen Filmpreis César.

2017 geht ihr Lauf weiter, im Kino führt kein Weg an ihr vorbei. Den neuen Film des "Wolken von Sils Maria"-Regisseur Olivier Assayas, den auf höchstem Niveau nicht ganz geglückten Mysterythriller "Personal Shopper" (ab 19.1.) beherrscht sie mit einer geisterhaften Präsenz und subtilem Underacting ganz alleine. Im Februar folgt Ang Lees "Die irre Heldentour des Billy Lynn" und im März der hochgelobte Episodenfilm "Certain Woman" von Kelly Reichardt ("Meek's Cutoff").

Der Schlüsselmoment ihrer Post-"Twilight"-Karriere war aber 2015 die Nominierung für den "Himbeeren-Erlöser-Preis", für ihre Performance als Soldatin in "Camp X-Ray". Mit diesem Award waschen die Macher der Goldenen Himbeere ehemalige "Preisträger" des Anti-Oscars, die sich mit guten Leistungen rehabilitiert haben, von den filmischen Sünden der Vergangenheit rein.
Autor: Sebastian Milpetz