Die neue HBO-Serie "Euphoria", die drogenabhängige und depressive Teenager durch ihren Alltag begleitet, ist unangenehm, ekelerregend und hart. Auf körperlicher und emotionaler Ebene. Die Phase, in der Jugendliche zum ersten Mal in Kontakt mit Drogen, Sexualität und den Schattenseiten des Internets kommen, überspringt Regisseur Sam Levinson in seinen insgesamt acht Folgen einfach mal, oder beschränkt sich auf kurze Rückblenden. Nein, zum Start von "Euphoria" haben die Protagonisten den Besuch der Kinderpsychiatrie schon hinter sich, waren schon in einer Entzugsklinik und konsumieren Pornos wie Vitamintabletten. Der Counter für Penisbilder stößt schon in den ersten vier Folgen in neue Sphären vor. Kein Teen ist unschuldig, ihr zerstörerisches Verhalten abstellen können sie aber auch nicht. Viele Elemente greift sich die Show aus der israelischen Vorlage gleichen Namens und vermengt sie mit Erfahrungen von Regisseur Levinson, der in seiner Jugend selbst mit Angststörungen, Depressionen und Drogenmissbrauch zu kämpfen hatte.

Zendaya überzeugt

HBO

Protagonistin Rue, mit der Schauspielerin Zendaya ihren vorläufigen Karrierezenit erreichen dürfte, weiß, dass sie ihrer Mutter und Schwester mit ihrem regelmäßigen Drogenkonsum die Hölle auf Erden bereitet. Trotzdem liegt sie nach einer Überdosis in ihrer eigenen Kotze und kommt nur knapp mit dem Leben davon. Clean bleibt sie nach der Therapie nur kurz, denn "Therapie bedeutet ja nicht, dass ich clean bin". Ausgerechnet ihr Dealer stellt sich danach zwischen sie und den nächsten Kick, lässt sie nicht mehr in seine Wohnung, versteckt den Stoff und lässt das Mädchen vor verschlossener Tür um ihr Leben wimmern. Ihre Freundin Jules (Transgender-Model Hunter Schafer) schläft dagegen mit erwachsenen und verheirateten Männern, obwohl die entsprechenden Szenen eindeutig suggerieren, dass man hier auch von Vergewaltigung sprechen kann. Schon als Kind leidet sie an Depressionen und versucht sich das Leben zu nehmen. Kat (Barbie Ferreira), die mit den beiden Mädchen zur Schule geht, wirkt dagegen zunächst wie ein Unschuldslamm. Auf ihren ersten Sex wartet sie noch. Als es aber dann passiert, landet ein Video des Akts direkt im Netz. Sie wird zum Gespött der Schule, fühlt sich benutzt. Im Netz feiern sie dafür notgeile Endvierziger als Sexgöttin. Kat dreht den Spieß kurzerhand um, wird zum Cam-Girl und macht aus ihrer Scham Geld.

Das sind nur drei Charaktere aus einem großartigen Ensemble mit Jungdarstellern aus der zweiten Reihe, die in der Serie unter anderem Themen wie Toxic Masculinity und falsche Körperideale verhandeln.

"Euphoria" dreht sich nicht nur um Drogen

"Euphoria" ist genau deswegen keine Serie über Drogenabhängigkeit, sondern über Sucht im Allgemeinen. Sucht nach Anerkennung, nach Liebe und ja, manchmal auch einfach nur nach dem nächsten High, inszeniert als bunte Bilderschlacht, in der sich Hausflure im Kreis drehen, Lichtgewitter die Figuren blenden und ein pumpender Soundtrack die Zuschauer in Trance versetzt. Wer einen Vorgeschmack möchte, muss sich nur den Trailer anschauen.

Alle Teenager in "Euphoria" sind kaputt. Trotz oder gerade wegen ihres jungen Alters. Verdorben von unzähligen medialen Reizen und dem dysfunktionalen Gesundheitssystem der USA hilflos ausgeliefert. Wem es nicht gut geht, der bekommt Tabletten. Wer Tabletten nimmt, dem geht es nicht gut. Falls nichts hilft, geh zu Instagram oder schau dir süße Katzenbabys an. Heilung finden nur wenige alleine oder im Austausch mit Leidgenossen, meistens jazzen sich die Kids gegenseitig noch weiter ins Elend.Eltern werden die Serie hassen, weil sie alles zeigt, was den Nachwuchs in Versuchung führt und dabei selten den moralischen Zeigefinger hebt. Levinson lässt sein Werk lieber dahingleiten und fährt seine Figuren wieder und wieder an die Wand. Das konservative "Fox News" echauffierte sich in Amerika kurz nach der Premiere fürchterlich über die Gewaltdarstellungen und den "heavy use of drugs". "Euphoria" überschreite gefährliche Grenzen, titelte die Sendung. Vielleicht wird es auch den Eltern der Hauptdarsteller Zendaya und Hunter Schafer so gehen, die als Lehrer und Priester Jugendliche eigentlich vor dem Abdriften bewahren wollen.

Fazit

Und alle sollen sie sich aufregen dürfen, denn die Serie wird nur dann diskutiert werden. Natürlich zeigt die Show maximal einen kleinen Ausschnitt der heutigen Jugend, der nicht für Amerika und vor allem nicht für Deutschland repräsentativ erscheint. Dass die Generation Y und Z aber mit ganz neuen Problemen zu kämpfen hat, die eine sich weiter globalisierende Welt mit sich bringt und die viele Jugendliche überfordert, macht "Euphoria" zu einem Warnruf. Eine verlorene Generation könnte auch uns blühen. Depressionen werden in den kommenden Jahren steigen, womöglich in Zukunft sogar Rückenleiden als Volkskrankheit Nummer 1 ablösen. Jugendliche bleiben davon nicht verschont, sind sogar besonders gefährdet. Laut einer Barmer-Studie wuchs in Deutschland der Anteil der 18- bis 25-Jährigen mit psychischen Diagnosen um 38 Prozent zwischen den Jahren 2005 und 2016. Wenn das politische Aufbäumen der "Fridays for Future"- und "March for lives"-Bewegungen im Sande verläuft, werden sich die Jugendlichen andere sinnstiftende Mittel suchen, um durch den Tag zu kommen. Welt verbessern war gestern.

Insofern ist "Euphoria" eben nicht nur die Geschichte einer High-School, in der auffällig viele Kids mit verqueren Vorstellungen vom Leben gen Hades taumeln, sondern ein wertfreies Zeitzeugnis von Teenagern, die sich selbst nicht mehr helfen können. Alles nicht repräsentativ, aber deswegen dennoch da und in Zukunft vielleicht doch mehr als ein gesellschaftlicher Ausrutscher. Das sollte uns im echten Leben aufrütteln.

"Euphoria" ist die bittere und einzige Pille, die man schlucken sollte.

("Euphoria" läuft ab 16. Juni bei HBO und Sky Atlantic an. Einen deutschen Starttermin gibt es noch nicht.) Streame mit dem Sky Ticket jetzt "Euphoria" und viele weitere Serien und Blockbuster.