Das Programmkino in der Wiesbadener Murnaustraße ist eigentlich ein Gerichtshof. Zumindest tagsüber, wenn hier die Prüfer der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, bekannt als FSK, darüber entscheiden, wie jung die Zuschauer eines Films sein dürfen. Mit beleuchtbaren Schreibbrettchen bewaffnet nehmen die sieben Prüfer Platz. Eine Dame verkündet, was es zu sichten gibt: "Drag Me to Hell, USA 2009. Beantragt wurde 'ab 12' und 'Stille Feiertage'."
Der neue Horrorfilm von Sam Raimi soll auch an Feiertagen wie Volkstrauertag oder Ostermontag laufen dürfen. Der Vorführer dimmt die Lichter. Auf der Leinwand weist Alison Lohman als Bankangestellte eine zerlumpte alte Frau zurück, die um Zahlungsaufschub für ihren Kredit bettelt. Später lauert ihr die Alte in der Tiefgarage auf, es kommt zum Handgemenge, Lohman zückt einen Bürotacker und - klammert der Hexe das linke Auge zu. Autsch. An den Schreibbrettern gehen die Lichtchen an. Die Alte spricht noch einen Fluch aus, vielleicht hätte Lohman ihr nicht auch noch das Lineal in den Rachen stopfen sollen. Tacker, Lineal, Fluch - ist notiert.
Zum Schutz der Gremienmitglieder: Ausschluss der Öffentlichkeit
Seit 1949 nimmt die FSK Alterskennzeichnungen vor. Auf Grundlage des Jugendschutzgesetzes geschieht das etwa 13 000-mal im Jahr. Die Leitung übernimmt dabei ein "Ständiger Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden". Seit zwanzig Jahren hat Folker Hönge dieses Amt inne. Seine Unterschrift findet sich auf allen "Prüfkarten", den Freigabeurteilen, die unter www.fsk-online.de auch im Internet einsehbar sind.
In "Drag Me to Hell" hat schließlich das Böse gesiegt. Jetzt wird diskutiert, und Journalisten müssen vor die Tür. "Die Diskussion wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt", erklärt Hönge hinterher. "Man soll keine Rückschlüsse auf die Meinung einzelner Prüfer ziehen können." Das geschieht, um Gremienmitglieder vor Einflussnahme zu schützen. Oder vor Schlimmerem: Hönge selbst wurde im Zusammenhang mit kontroversen Freigabeentscheidungen auch schon bedroht. Die Mitglieder der Prüfgremien arbeiten, ähnlich wie Schöffen, ehrenamtlich. Eine Hausfrau kann sich für dieses Amt genauso bewerben wie ein Diplom-Psychologe.
Keine Entfernung von bestimmten Gewaltszenen
Das Urteil: "Drag Me to Hell" erhält eine Freigabe "ab 16". "Die expliziten Ekelszenen waren dabei gar nicht so das Problem", erklärt Hönge. Entscheidender sei gewesen, dass der Okkultismus nicht infrage gestellt und der Film nicht durch ein Happy End aufgelöst wurde. "Das ist für Jugendliche im religiösen Findungsalter in hohem Maße verwirrend und insgesamt emotional eine Überforderung."
Freigabe "ab 16" mit einem deutlich kleineren Kinopublikum einher. Auch für die Fernsehauswertung ist eine Freigabe "ab 12" viel lukrativer, denn dann darf der Film statt um 22 Uhr schon um 20.15 Uhr laufen, was dem Sender höhere Werbeeinnahmen verspricht. Der landläufigen Meinung, dass die FSK ähnlich einer Zensurbehörde die Entfernung von bestimmten Gewaltszenen verlangen kann, widerspricht Hönge entschieden. "Wir geben nur Schnittempfehlungen, und das sehr selten. Der Antragsteller bekommt von uns auf Nachfrage eine ausführliche Begründung für unsere Entscheidung", sagt Hönge. "Aber wir sprechen nicht jede einzelne Szene mit ihm durch."
Es geht ums Geld
Es ist Entscheidung des Verleihers, mit einer anderen Version seines Films eine erneute Sichtung zu beantragen. Allerdings fallen dann auch Stimmt der Verleiher nicht mit dem Urteil überein, kann er in die Berufung gehen. Der Film wird dann von anderen Prüfern noch einmal gesichtet. Es geht ums Geld. Schließlich geht eine noch einmal die Prüfkosten an, die für einen 90-Minüter etwa 1300 Euro betragen.
Resonanz auf ihre Entscheidungen erhalten die Prüfer besonders auf Blockbuster, die von vielen Menschen gesehen werden. So kritisieren Eltern beispielsweise immer wieder, dass "Der Herr der Ringe" oder "Harry Potter" zu gruselig für 12-jährige seien. "Wir entscheiden nach bestem Wissen und Gewissen. Aber man kann Urteile immer unterschiedlich sehen. Das ist wie vor Gericht", sagt Hönge.
Freizügige Dialoge über Oralsex - ab 12
Mit dem Prüfsiegel garantierten die Wiesbadener, dass auch empfindsame Kinder der jeweiligen Altersgruppe durch das Ansehen des Films keine bleibenden Schäden davontragen. Gehen viele Beschwerden ein, können die Jugendministerien ein neues Verfahren erwirken.
So geschehen etwa bei "Keinohrhasen", dessen Freigabe ab 6 wegen seiner freizügigen Dialoge über Oralsex in "ab 12" abgeändert wurde. Erschwerend kommt hinzu, dass mit der deutschen Abstufung (ab 0, ab 6, ab 12, ab 16, ab 18) nur eine relativ grobe Klassifizierung möglich ist. Österreichische Prüfer beispielsweise können auch "ab 10" und "ab 14" empfehlen.
Jeden Tag drei Filme
Viele Eltern hätten sich sicherlich darüber gefreut, wenn diese sinnvolle Verfeinerung Teil des neuen Jugendschutzgesetzes (seit 1.7.2008) gewesen wäre. Stattdessen sollen nun übergroße, "besser lesbare" FSK-Siegel als integraler Bestandteil des Covers den Jugendschutz verbessern. Eine Maßnahme, die laut einer offiziellen Stellungnahme der FSK "stärker populistischen Stimmungen als sachgerechten und wissenschaftlichen Erkenntnissen geschuldet" sei.
Folker Hönge muss wieder ins Kino. In der Regel muss er sich jeden Tag drei Filme ansehen, dazu Trailer und Werbung . Ob "Drag Me to Hell" in die Berufung geht? Hönge mag nicht spekulieren. Für manchen Horroroder Actionfilm sei eine "ab 16"-Freigabe aber eher verkaufsfördernd.
Frank Aures
Der neue Horrorfilm von Sam Raimi soll auch an Feiertagen wie Volkstrauertag oder Ostermontag laufen dürfen. Der Vorführer dimmt die Lichter. Auf der Leinwand weist Alison Lohman als Bankangestellte eine zerlumpte alte Frau zurück, die um Zahlungsaufschub für ihren Kredit bettelt. Später lauert ihr die Alte in der Tiefgarage auf, es kommt zum Handgemenge, Lohman zückt einen Bürotacker und - klammert der Hexe das linke Auge zu. Autsch. An den Schreibbrettern gehen die Lichtchen an. Die Alte spricht noch einen Fluch aus, vielleicht hätte Lohman ihr nicht auch noch das Lineal in den Rachen stopfen sollen. Tacker, Lineal, Fluch - ist notiert.
Zum Schutz der Gremienmitglieder: Ausschluss der Öffentlichkeit
Seit 1949 nimmt die FSK Alterskennzeichnungen vor. Auf Grundlage des Jugendschutzgesetzes geschieht das etwa 13 000-mal im Jahr. Die Leitung übernimmt dabei ein "Ständiger Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden". Seit zwanzig Jahren hat Folker Hönge dieses Amt inne. Seine Unterschrift findet sich auf allen "Prüfkarten", den Freigabeurteilen, die unter www.fsk-online.de auch im Internet einsehbar sind.
In "Drag Me to Hell" hat schließlich das Böse gesiegt. Jetzt wird diskutiert, und Journalisten müssen vor die Tür. "Die Diskussion wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt", erklärt Hönge hinterher. "Man soll keine Rückschlüsse auf die Meinung einzelner Prüfer ziehen können." Das geschieht, um Gremienmitglieder vor Einflussnahme zu schützen. Oder vor Schlimmerem: Hönge selbst wurde im Zusammenhang mit kontroversen Freigabeentscheidungen auch schon bedroht. Die Mitglieder der Prüfgremien arbeiten, ähnlich wie Schöffen, ehrenamtlich. Eine Hausfrau kann sich für dieses Amt genauso bewerben wie ein Diplom-Psychologe.
Keine Entfernung von bestimmten Gewaltszenen
Das Urteil: "Drag Me to Hell" erhält eine Freigabe "ab 16". "Die expliziten Ekelszenen waren dabei gar nicht so das Problem", erklärt Hönge. Entscheidender sei gewesen, dass der Okkultismus nicht infrage gestellt und der Film nicht durch ein Happy End aufgelöst wurde. "Das ist für Jugendliche im religiösen Findungsalter in hohem Maße verwirrend und insgesamt emotional eine Überforderung."
Freigabe "ab 16" mit einem deutlich kleineren Kinopublikum einher. Auch für die Fernsehauswertung ist eine Freigabe "ab 12" viel lukrativer, denn dann darf der Film statt um 22 Uhr schon um 20.15 Uhr laufen, was dem Sender höhere Werbeeinnahmen verspricht. Der landläufigen Meinung, dass die FSK ähnlich einer Zensurbehörde die Entfernung von bestimmten Gewaltszenen verlangen kann, widerspricht Hönge entschieden. "Wir geben nur Schnittempfehlungen, und das sehr selten. Der Antragsteller bekommt von uns auf Nachfrage eine ausführliche Begründung für unsere Entscheidung", sagt Hönge. "Aber wir sprechen nicht jede einzelne Szene mit ihm durch."
Es geht ums Geld
Es ist Entscheidung des Verleihers, mit einer anderen Version seines Films eine erneute Sichtung zu beantragen. Allerdings fallen dann auch Stimmt der Verleiher nicht mit dem Urteil überein, kann er in die Berufung gehen. Der Film wird dann von anderen Prüfern noch einmal gesichtet. Es geht ums Geld. Schließlich geht eine noch einmal die Prüfkosten an, die für einen 90-Minüter etwa 1300 Euro betragen.
Resonanz auf ihre Entscheidungen erhalten die Prüfer besonders auf Blockbuster, die von vielen Menschen gesehen werden. So kritisieren Eltern beispielsweise immer wieder, dass "Der Herr der Ringe" oder "Harry Potter" zu gruselig für 12-jährige seien. "Wir entscheiden nach bestem Wissen und Gewissen. Aber man kann Urteile immer unterschiedlich sehen. Das ist wie vor Gericht", sagt Hönge.
Freizügige Dialoge über Oralsex - ab 12
Mit dem Prüfsiegel garantierten die Wiesbadener, dass auch empfindsame Kinder der jeweiligen Altersgruppe durch das Ansehen des Films keine bleibenden Schäden davontragen. Gehen viele Beschwerden ein, können die Jugendministerien ein neues Verfahren erwirken.
So geschehen etwa bei "Keinohrhasen", dessen Freigabe ab 6 wegen seiner freizügigen Dialoge über Oralsex in "ab 12" abgeändert wurde. Erschwerend kommt hinzu, dass mit der deutschen Abstufung (ab 0, ab 6, ab 12, ab 16, ab 18) nur eine relativ grobe Klassifizierung möglich ist. Österreichische Prüfer beispielsweise können auch "ab 10" und "ab 14" empfehlen.
Jeden Tag drei Filme
Viele Eltern hätten sich sicherlich darüber gefreut, wenn diese sinnvolle Verfeinerung Teil des neuen Jugendschutzgesetzes (seit 1.7.2008) gewesen wäre. Stattdessen sollen nun übergroße, "besser lesbare" FSK-Siegel als integraler Bestandteil des Covers den Jugendschutz verbessern. Eine Maßnahme, die laut einer offiziellen Stellungnahme der FSK "stärker populistischen Stimmungen als sachgerechten und wissenschaftlichen Erkenntnissen geschuldet" sei.
Folker Hönge muss wieder ins Kino. In der Regel muss er sich jeden Tag drei Filme ansehen, dazu Trailer und Werbung . Ob "Drag Me to Hell" in die Berufung geht? Hönge mag nicht spekulieren. Für manchen Horroroder Actionfilm sei eine "ab 16"-Freigabe aber eher verkaufsfördernd.
Frank Aures