Wer sich für die Charts bei Netflix interessiert, wird seit einigen Tagen kaum an "365 days" vorbeikommen. Seit dem Release des Erotik-Thrillers auf der Streamingplattform hält sich die Buchverfilmung in den Top 5 der – laut Netflix – meist gesehenen Filme. Der absurde und lückenhafte Plot kann sicherlich nicht der Grund dafür sein.

Der Roman "365 dni" war bereits bei Veröffentlichung in Polen ein Hit, die Verfilmung lockte ebenso viele Fans in die Kinosäle. Jetzt macht Netflix den Wannabe-Softporno für eine breite Masse zugängig. Sex sells, aber um welchen Preis? Neben der fragwürdigen Geschichte werden psychische (und physische) Gewalt an Frauen und Vergewaltigungsfantasien verherrlicht. Die Protagonisten: zwei Klischees auf Beinen.

Die Handlung hat mehr Löcher als Substanz

Damit Sie sich die 114 Minuten Lebenszeit sparen können, fasse ich die Geschichte in fünf Sätzen zusammen. Mafiosi-Sohn Massimo (Michele Morrane) ist beim Mord an seinem Mafiosi-Vater dabei, stirbt fast selbst und sieht in seiner Nahtod-Erfahrung das Gesicht einer Frau. Ein paar Jahre später entdeckt er jene Frau, die gerade Urlaub in Italien macht, lässt ihr Beruhigungsmittel einführen, entführt sie und sperrt sie in seine Luxus-Villa ein. Laura (Anna Maria Sieklucka) hat 365 Tage, um sich in ihn zu verlieben, weil …? (Ja, das ist nicht klar. Aber dem Film fehlt es an jeder Ecke an Erklärungen. Dafür ist aber jede Szene mit theatralischer Musik unterlegt. Man muss Prioritäten setzen!)

Die Schöne findet das zwar in den ersten fünf Minuten nicht so toll, wehrt sich aber auch nicht so wirklich, lässt seine Kreditkarte beim Shoppen glühen und beginnt eine leidenschaftliche Beziehung (Hinweis: Hier beginnen die Sex-Szenen zu zweit, Sie können also bis hierhin vorspulen) mit ihm.

Das Zuschauen ist unerträglich

So weit so schlecht. Ein Handlungsstrang muss ja nicht unbedingt kompliziert sein, um einen guten Film auszumachen. Doch auch die Rollen sind so dermaßen flach und klischeebehaftet, dass das Zuschauen einfach nur unerträglich ist. (Kann man sich für die Nachwirkungen eigentlich ein Attest beim Arzt ausstellen lassen?)

Massimo führt nach dem Tod seines Vaters die Mafia-Geschäfte und ist dabei natürlich knallhart und stets uneinsichtig. "Ich bin es nicht gewohnt, dass man mir nicht gehorcht", so Massimo, der auch mal einfach so die Stewardess des Privatjets bei sexuellen Handlungen zum Weinen bringt. Und das alles ohne Konsequenzen, sein Verhalten wird sogar noch belohnt: Das Opfer Laura wird nicht nur im Flugzeug sexuell belästigt, sie wird SM-mäßig ans Bett gefesselt, um dann einem weiteren Liebesspiel zuzusehen. Er will ihren Geist brechen, damit sie "freiwillig" mit ihm zusammen ist. Das ist nicht nur psychische, sondern auch körperliche Gewalt.  

Charaktere noch flacher als Ostfriesland

Charakterliche Entwicklung? Einsicht bei Massimo? Fehlanzeige. Doch auch ein echtes Aufbegehren von Laura gibt es nicht, lediglich am Anfang. Ansonsten heißt es: Ergib dich deinem Schicksal. Männlichkeit, das ist Geld, Macht und sexuelle Dominanz. Und das imponiert der Frau aus Warschau so sehr, dass beide tatsächlich eine Beziehung eingehen. Oder sie leidet am Stockholm-Syndrom. Die Message: Man(n) muss eine Frau also nur so lange zwingen bis sie von alleine "will".

"365 days" ist nicht nur inhaltlich und filmisch noch eine ganze Stufe schlechter als "Shades of Grey" - sorry Dakota Johnson! Der Streifen von Barbara Bialowas und Tomasz Mandes auf Basis des Romans von Blanka Lipinska vermittelt Werte, die eigentlich schon lange ein Relikt der Vergangenheit sein sollten. Stattdessen sind schon Teil 2 und 3 gesichert. Aber immerhin weiß ich dann, was ich in den nächsten Jahren nicht sehen werden.