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Fans von Actionfilmen werden neuerdings wieder mit schöner Regelmäßigkeit verwöhnt: Nach einer mehrjährigen Phase der Kopfschmerzen verursachenden Wackelkameras und Schnittgewitter durften sich Filmfans anschließend über einen ganz neuen Schwung wegweisender Titel in ihrem liebsten Genre freuen. Die "John Wick"-Filme sind zum Beispiel elegant inszenierte Baller-Ballette im Neonlicht, "Mad Max: Fury Road" ist formvollendetes Handwerk und "The Raid" stellte eine neue Generation an gnadenlosen Prügelknaben in übersichtlichen Halbtotalen vor. "Style over substance" wird ja gerne mal gelästert, um solchen Beiträgen das Fehlen jedweden Anspruchs zu unterstellen und ihnen mitunter auch gleich die Daseinsberechtigung abzusprechen, wenn man sich denn als Kultur-Snob zu erkennen geben möchte. Mag sein, aber bei diesen Beispielen handelt es sich mindestens um perfekten Style über manchmal doch einer Prise Substanz.

Nun kommt ganz frisch "The Old Guard" bei Netflix um die Ecke. Der Trailer verspricht beinharte, bleihaltige Momente und derbe Kämpfe, zudem gibt sich in der Hauptrolle Oscarpreisträgerin Charlize Theron (Auszeichnung als Beste Hauptdarstellerin für "Monster") die Ehre. Die spielte u. a. die weibliche Hauptrolle Furiosa im erwähnten "Mad Max"-Teil und erweckte damit auf der Stelle eine der stärksten Frauenfiguren des modernen Blockbusterkinos zum Leben. Ihr neues Projekt wird aber wohl kaum ein weiteres Highlight in ihrem Action-Portfolio darstellen. Warum? Kein Style und keine Substanz.

The Old Guard: Lang und langweilig

In "The Old Guard" führt Theron als Kriegerin Andy eine kleine Gruppe Söldner an, die aus unerklärlichen Gründen so gut wie unsterblich ist. Einen Kugelhagel gleich zu Beginn des Films steckt die eingeschworene Truppe locker weg, die Wunden heilen einfach im Nullkommanichts. Seit Jahrhunderten setzen sie sich so fürs Gute ein, wobei erwähnt wird, dass einige von ihnen viel Zeit allein verbringen mussten. Das muss furchtbar öde gewesen sein – und offenbar soll das auch der Zuschauer spüren: Die 120 Minuten Laufzeit sind definitiv zu lang, die Actionszenen geraten so zur spärlich eingesetzten Abwechslung.

Und selbst die überzeugen nicht: Die Choreographie hat sich offensichtlich am "John Wick"-Handbuch orientiert und will mit einer Mischung aus Schüssen, Zweikämpfen, Griffen und Würfen punkten. Das sind zwar die richtigen Zutaten, doch Regisseurin Gina Prince-Bythewood und die gleich zwei (!) Kameraverantwortlichen wussten einfach nicht, diese gekonnt in Szene zu setzen. Selten sah ein Actionfilm ästhetisch so langweilig aus – es herrschen fade, ungesättigte graue Farbtöne vor, das Licht wird für keinerlei visuell herausstechende Aspekte genutzt und von ausgefallenen Winkeln oder meinetwegen auch von Zeitlupen scheint auch niemand jemals etwas gehört zu haben. Pseudocooler Einsatz von Pop-Balladen während Actionszenen verpufft so und wirkt eher armselig und sogar das Sound-Design klingt unsäglich flach. Aber auch abseits der Action liefert "The Old Guard" Bilder, die zu keiner Sekunde bemerkenswert sind und die absolut unwürdig für die Kinoleinwand wären, weshalb sie folgerichtig ohnehin direkt bei Netflix zu sehen sind – zum Glück. Heutzutage legt jede Episode einer x-beliebigen TV-Serie mehr filmisches Stilbewusstsein an den Tag.

Hinzu kommen offensichtliche budgetbedingte Einschränkungen, die zu weiteren peinlichen Auswüchsen führen: Während zu Beginn noch bei Schießereien Stichflammen brav aufblitzen, fehlt am Ende von ihnen jedwede Spur. Stattdessen ertönen ausgerechnet im Finale die meisten Schüsse nur im Off, während mehrfach einfach weggeschnitten oder -geschwenkt wird. Die Filmwaffen werden offensichtlich gar nicht abgefeuert, zusätzliche visuelle Marker der Action fehlen komplett. Rückstoß, ausgeworfene Hülsen oder ähnliches – auch wenn man all diese Details nicht immerzu bewusst wahrnehmen mag, tragen sie doch sehr zu einem packenden Gesamteindruck bei. Der Versuch, ihr Fehlen zu kaschieren, ist aus den falschen Gründen amüsant, "The Old Guard" wirkt damit erst recht nur billig. Anders als zum Beispiel bei "Tyler Rake: Extraction" fehlt zudem die Wucht, die überwältigende Körperlichkeit, der Eindruck einer intensiven, viszeralen Erfahrung. Dazu mag die Prämisse vielleicht zu fantasievoll sein, um den wirklich rauen Weg zu beschreiten, aber da auch andere stilistische Überhöhungen fehlen, macht sich eben auch das bemerkbar.

Und: Zwar sind die Protagonisten per se nicht 100-prozentig unsterblich, doch für nahezu die gesamte Zeit macht das keinen Unterschied – fast schon nonchalant schmeißen sie sich den Schergen in den Weg, unfreiwillig komisch wirkt bisweilen ihre Lockerheit im Angesicht der Bedrohung. Welche Spannung soll sich denn also daraus ergeben? Eben, keine.

Hölzern gespielt, aber immerhin Zeitgeist

Mitfiebern ist bei diesen Figuren ohnehin nicht möglich: Das Drehbuch legt der diversen und doch farblosen Besetzung nämlich eine Erklärung nach der anderen in den Mund, um die Hintergründe zu erläutern, wobei trotzdem Fragen offenbleiben. Das geschieht dann in zumeist monoton vorgetragenen Dialogen, die an der Motivation jedes einzelnen Schauspielers zweifeln lassen, sodass die deutsche Synchro eigentlich nur eine Verbesserung darstellen kann. Das gilt auch für so verdiente Darsteller wie Theron, Matthias Schoenaerts ("Der Geschmack von Rost und Knochen") und Chiwetel Ejiofor ("12 Years A Slave"), die den Autopiloten eingeschaltet haben. Nur in einer Rückblende blitzt kurz auf, was zumindest in Theron steckt – aber das ist zu wenig, zu spät.

Wirklich wichtig schien allerdings das ein oder andere politische Statement zu sein: Gleich zu Beginn werden fast ausschließlich Frauen in der US-Armee gezeigt, die beiden unsterblichen Joe und Nicky (Marwan Kenzari und Luca Marinelli) sind wiederum ein schwules Paar, das die meiste Zeit ihrer Screentime damit verbringt, sich gegenseitig anzuschmachten. In einem Moment hält Joe sogar eine regelrecht flammende Rede und beteuert darin seine Liebe zu Nicky gegenüber uniformierten, homophoben Schergen – näher am Puls der Zeit kann ein neuer Film so kurz nach dem Pride Monat Juni und den Protesten gegen Polizeigewalt nicht sein.

Fazit: "The Old Guard" geht am besten direkt in die Actionfilmrente.