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"Ich gehöre ihm": Film über die Loverboy-Masche

Ich gehöre ihm: Film über die Loverboy-Masche
WDR/Martin Rottenkolber

Ein schockierender TV-Film zeigt, wie Mädchen mit der Loverboy-Methode in die Prostitution getrieben werden. TV SPIELFILM sprach mit einer Expertin.

Die 15-jährige Caro geht darin zum ersten Mal mit ihrem neuen Freund Cem aus. "Das ist meine Prinzessin", sagt der 19-Jährige lächelnd zu seinen Freunden, die in einer Ecke des Clubs auf Sesseln residieren. Und wenig später, außer Hörweite seiner "Prinzessin", sagt er zu seinem Kumpel: "Na klar darfst du nach mir als Erster ran."

Cem ist ein "Loverboy". Was nach einem Teenie-Kosewort klingt, ist tatsächlich eine besonders perfide Methode, um Kinder und Jugendliche emotional abhängig zu machen und als Prostituierte auszubeuten - und leider keine Erfindung für einen Spielfilm.

"Loverboys haben es auf Kinder und sehr junge Frauen abgesehen", sagt Bärbel Kannemann, die den Verein NO loverboys gegründet hat, um über das Problem zu informieren und Hilfe anzubieten. "Das Alter der Zuhälter ist dem des Opfers in etwa angepasst. Die sind allerdings in der Regel volljährig, weil sie einen Führerschein haben müssen, damit sie die Mädchen zu den Freiern fahren können."

Kannemann, Berliner Kriminalkommissarin im Ruhestand, stand den Filmemachern als Beraterin zur Seite. "Ich habe 2009 zum ersten Mal von dem Begriff Loverboy gehört", sagt sie. "Ich war als Studiogast in einer Art niederländischem ‚Aktenzeichen XY‘." In der Sendung erfuhr eine Mutter, dass ihre verschwundene 13-jährige Tochter in die Fänge eines Loverboys geraten war. "Ich war schockiert. Ich hatte in Deutschland noch nie etwas davon gehört", sagt Kannemann.
Was wie der Albtraum aus einem weit entfernten Paralleluniversum klingt, findet tatsächlich in der Mitte der Gesellschaft statt. Die Opfer stammen nicht aus sozialen Randgruppen, sondern aus bürgerlichen, völlig intakten Familien. Das Problem sei in Deutschland nicht weniger groß als in den Niederlanden, so Kannemann, nur würde dort viel offener darüber gesprochen. "Der Mechanismus ist immer derselbe: den Mädchen ganz viel Bestätigung geben, loben und gleichzeitig das Elternhaus schlecht machen: Du musst dir nichts mehr sagen lassen, du bist doch schon fünfzehn! Für mich bist du eine tolle Frau", erklärt Kannemann. "Emotionale Bindung einerseits, soziale Isolation andererseits." Und da die meisten Eltern noch nie etwas von Loverboys gehört haben, wissen sie auch nicht, auf welche Anzeichen sie achten müssen. Sie schreiben die Veränderungen, die sie an ihrem Kind feststellen, der Pubertät zu.

Auch die beiden 18-jährigen Hauptdarsteller Samy Abdel Fattah und Anna Bachmann mussten jedem einzelnen ihrer Freunde erklären, was ein Loverboy ist, keiner kannte den Begriff. Der Dreh war belastend, zum Beispiel eine Vergewaltigungsszene.
"Ich habe danach lange gezittert", erinnert sich Bachmann, die zum ersten Mal vor einer Kamera steht. "Alle im Team waren extrem fürsorglich. Aber ich habe während der Dreharbeiten trotzdem angefangen zu rauchen.

Die Vergewaltigung gehört zur Methode. Die Mädchen werden anschließend mit Videos der Tat erpresst. "Oder es ist plötzlich von Schulden die Rede, die der Täter angeblich bedienen muss", sagt Kannemann. "Wenn du mich wirklich liebst, dann musst du mir helfen." Das Hinübergleiten in die kriminelle Welt des Täters bleibt meist lange unentdeckt. Die Zuhälter achten darauf, dass die Mädchen nicht zu spät nach Hause kommen und sogar ihre Schularbeiten erledigen.
Wie groß das Problem ist, wie viele Kinder und Familien betroffen sind, lässt sich nur erahnen. Es kommt sehr selten zu Anzeigen.

Die offiziellen Zahlen der Polizei aus dem letzten "Lagebild Menschenhandel"-Bericht von 2015 zeigen zwar beim Menschenhandel in Deutschland insgesamt einen Rückgang, aber der Bericht stellt auch klar: "Die Zahl der minderjährigen Opfer ist im Vergleich zum Vorjahr um 35 Prozent gestiegen. Nahezu jedes fünfte Opfer des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung war damit unter 18 Jahren." Bärbel Kannemann schätzt, dass sie in sieben Jahren Vereinsarbeit ungefähr 1000 Betroffene beraten hat.

"Opfer sind nie nur die Mädchen", erklärt Kannemann. "Opfer ist immer die ganze Familie." Während bei den Vätern oft die Aggression gegen den Täter besonders stark sei, machten sich die Mütter Vorwürfe, die ersten Anzeichen nicht erkannt zu haben. Für die Mädchen sei es extrem schwer, Vertrauen zu fassen. "Wenn man sich vorstellt, was diese Kinder aushalten mussten. Da sind 13-Jährige, die bis zu 16 Freier am Tag hatten", sagt Kannemann. "Wie soll so ein Mädchen wieder in die Schule gehen? Sich in der achten Klasse über den ersten Kuss unterhalten?" Die Eltern wiederum müssen sich dazu zwingen, ihrem Kind nicht den Umgang mit dem Täter zu verbieten. Ähnlich wie bei Drogenabhängigen muss der Entschluss, sein Leben zu ändern, vom Opfer selbst kommen.

Ich gehöre ihm
MI 30.8. Das Erste 20.15 Uhr
Im Anschluss ab 21.45 Uhr die Doku:
Verliebt, verführt, verkauft