Als es hieß, dass ausgerechnet Greta Gerwig die Regisseurin für den ersten großen "Barbie"-Kinofilm werden wird, durfte man gespannt sein. Gerwig hat sich mit ihren ersten zwei Filmen einen Namen gemacht: Sowohl ihr offenherziges Teenie-Drama "Lady Bird" als auch ihre hintersinnige Literaturadaption "Little Women" waren ungewöhnliches, kluges Kino. Und tatsächlich beginnt ihr "Barbie"-Projekt auf eine Art und Weise, wie es nur Greta Gerwig einfallen kann – mit einer Parodie auf die Anfangsszene des legendären Sci-Fi-Kunstfilmklassikers "2001: Odyssee im Weltraum".

"2001" eröffnete mit einer Horde von Menschenaffen in der frühzeitlichen Savanne, die durch die Begegnung mit einem schwarzen, rechteckigen Monolithen ein erweitertes Bewusstsein erlangen – quasi der erste Schritt zur Menschwerdung. In "Barbie" sitzen zu Beginn kleine Mädchen in der Wüste und spielen mit Babypuppen. Helen Mirren erklärt als Stimme aus dem Off, dass in den 50ern Mädchenspielzeug nur dazu da war, die Kinder früh aufs Muttersein vorzubereiten. Dann erscheint ihnen kein Monolith, sondern eine riesige Margot Robbie im originalen Barbie-Outfit. Begeistert zerdeppern die Kids ihre Babypuppen auf den harten Steinen und sehen zu Barbie auf. Ein schräger, surrealer, grandioser Einstieg – doch Gerwig kann diesen Einfallsreichtum nicht lange aufrechterhalten.

Pretty in Pink: "Barbie" sieht atemberaubend aus

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Aqua hatte recht: Life in plastic is fantastic!

Dabei ist "Barbie" unter einem Gesichtspunkt ein absoluter Kracher: das Setdesign sieht fantastisch aus. Gerwig, Produktionsdesignerin Sarah Greenwood und Kostümdesignerin Jacqueline Durran haben mit der pinken Fiebertraumwelt namens Barbieland ein Meisterstück abgeliefert. In dieser rosafarbenen Idylle leben alle Barbies (neben Margot Robbie noch u.a. Dua Lipa, Alexandra Shipp, Emma Mackey) in Traumhäusern ohne Wänden, sodass sie sich jeden Morgen ein beherztes "Hallo, Barbie!" zurufen können. Es finden sich quasi alle Barbie-Puppen, die Spielzeughersteller Mattel je auf den Markt brachte: Bauarbeiter-Barbie, Flugzeugpiloten-Barbie, Physiker-Barbie, Astronauten-Barbie und Oberster-Gerichtshof-Barbie, sie alle wuseln durch die aufwendig gestalteten Sets.

Barbieland ist eine weibliche Utopie in pastellfarbenem Plastik – und die erste halbe Stunde, die als Einführung in diese Welt dient, ein unerwarteter greller, alberner Spaß. Famos gelingt es Margot Robbie, eine Puppe zum Leben zu erwecken. Sie spielt – so nennt der Film sie – die "stereotypische Barbie". Jeden Morgen wacht sie unter ihrer glitzernden rosa Bettdecke auf, zieht sich ein Outfit aus ihrem riesigen Kleiderschrank an, und frühstückt – allerdings nicht wirklich, schließlich kann eine Barbie-Puppe ja nicht tatsächlich essen oder trinken. Wenn sie am Strand aus ihren High-Heels schlüpft, bleiben ihre Fersen auch barfuß in der Luft hängen – denn Puppen-Füße sind fest geformt. Bei all dem hat sie das breiteste Lächeln im Gesicht, dass sich nur je jemand vorstellen könnte. Keine Frage: Margot Robbie ist die perfekte Barbie.

Ein Barbie Girl verlässt die Barbie World

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Ken (Ryan Gosling) weicht Barbie (Margot Robbie) nicht von der Seite.

Jede Barbie hat auch einen Ken. Doch die Kens (u.a. Kingsley Ben-Adir, John Cena und Simu Liu) haben nicht viel zu sagen. Dies gilt auch für den Freund der stereotypischen Barbie, "Beach Ken" (Ryan Gosling) – seine ganze Existenz dreht sich einzig und allein um Barbie. Gosling ist das schauspielerische Highlight des Films. Wann immer Robbie ihm in die Augen sieht, strahlt er sie mit so viel staunender Bewunderung an, und ist zugleich tief geknickt, wenn er jeden Abend von Barbie versetzt wird ("Jeder Abend ist Girls Night"), dass es zugleich rührend und brüllend komisch ist. Bei aller Albernheit: Greta Gerwig und ihrer Besetzung gelingt es fantastisch, filmisch nachzuahmen, wie kleine Mädchen mit "Barbie"-Puppen spielen. Grandiose pinke Bilder, herzlich verrückte Dialoge und sogar opulente Tanzszenen, die einen Gene Kelly beeindrucken würden, sorgen in Barbieworld für viele Lacher.

Leider aber bleibt "Barbie" nicht in Barbieland. Robbies Barbie wacht nämlich eines Morgens auf und stellt fest, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Sie muss ständig an den Tod denken, ihre perfekt gewölbten Füße sind plötzlich platt und an ihren Beinen hat sie Cellulite. Die "komische Barbie" (Kate McKinnon) verrät ihr, dass sie diese Probleme nur in der echten Welt lösen kann – und so macht sie sich, unfreiwillig von Goslings Ken begleitet, in die Realität auf. Dort erlebt sie einen Kulturschock: Männer glotzen ihr nach, betrachten sie nur als Objekt und beherrschen im Grunde die Welt, selbst im Vorstand ihres Herstellers Mattel sind der CEO (Will Ferrell) und der Rest des Vorstands nur alt und männlich. Während sie durch eine Mutter (America Ferrera) und deren Tochter (Ariana Greenblatt) ins wahre Leben und die vielen Probleme echter Frauen eingeführt wird, hat Ken das gegenteilige Erlebnis. Er erfährt vom Patriarchat, in dem Männer das Sagen haben und den Ton angeben – und bricht allein zurück nach Barbieland auf, um dort mit den anderen Kens die Macht an sich zu reißen.

Kein Spaß: In "Barbie" wird vor allem viel gepredigt

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"Meine Füße berühren vollständig den Boden", zeigt Barbie den anderen Barbies. Die ekeln sich sofort vor diesem körperlichen "Fehler".

Jetzt muss Barbie mit etwas Hilfe vom Mama-Tochter-Gespann also Barbieland vor dem Patriarchat retten – und ab hier fällt es dann schwer zu glauben, dass dieser konfuse Mischmasch aus "Verwünscht", "Pleasantville" und Kasperle-Theater wirklich von Greta Gerwig und ihrem Ehemann Noah Baumbach ("Marriage Story") geschrieben wurde. Von deren eigentlich subtilen Art, feministische und sozialkritische Themen zu verhandeln, ist nichts zu erkennen, wenn "Barbie" auf plakativste Weise vor sich her predigt. Negativ-Höhepunkt ist ein Monolog von America Ferrera, in dem sie in abgedroschenen Plattitüden von unfairen gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen redet – und die Barbies damit auf den Kampf gegen die Kens anstimmt. Aus "Barbie" eine Symbolfigur für weibliche Selbstermächtigung zu machen, ist im Kern eine gute Idee, doch dann sollte vom Skript mehr kommen als eine Aneinanderreihung von seichten Motivationsreden, die so eher bei Instagram-Influencern zu erwarten wären.

Für eine ernstzunehmende Satire zu aktuellen Gender-Diskussionen bleibt "Barbie" schlicht zu arg an der Oberfläche, hat kaum bis keinerlei Biss und findet auf seine angesprochenen Probleme immer nur banale Lösungen, die zudem mit überzogenem Slapstick präsentiert werden. Den Zeigefinger erhebt Gerwig mit diesem Film in große Höhen und lässt ihre Figuren viele Phrasen dreschen – aber wirklich etwas zu sagen hat sie leider nicht. Im hyperaktiven Finale, in dem der Geschlechterkampf dann eine nochmal besonders absurde und surreale "tanzende Wendung" nimmt, bleibt gänzlich unklar, worauf das alles hinauslaufen soll. Ist das als krudes Empowering-Statement gemeint, selbstironische Persiflage auf den eigenen Film oder nur ein alberner Ulk, über den man gar nicht allzu viel nachdenken sollte?

"Barbie" ist letztlich ein Werbespot als Kinofilm

Eigentlich hat Greta Gerwig letztlich hinter der feministischen Fassade einen lupenreinen Werbefilm produziert. Die vielen kleinen Spitzen, die insbesondere gegen Mattel ausgeteilt werden, sind da Teil des Konzepts: Man gibt sich selbstkritisch und aufgeklärt, ohne dabei über Gesten hinauszukommen. Gleichzeitig macht Gerwig genau das, was sie Mattel "vorwirft": Im Film wird beispielsweise mehrfach darüber gewitzelt, dass Mattel einst eine schwangere Barbie namens Midge (im Film: Emerald Fennell) verkaufte, diese jedoch schnell wieder aus dem Sortiment nahm, weil eine schwangere Puppe aus Sicht einiger Eltern als "bedenklich für Kinder" bezeichnet wurde. Der Vorwurf ist klar: Mattel hatte oft genug nicht den Schneid, Barbie modern und divers erscheinen zu lassen. Nur: Hat Gerwig nicht gleichzeitig selbst einen Film gedreht, in dem mit Margot Robbie die klassische weiße, blonde "stereotypische" Barbie im Mittelpunkt steht und die vielen anderen diverser besetzten Barbies nur Nebenrollen haben? Eine Barbie etwa, die im Rollstuhl sitzt, ist nur in zwei Szenen ganz kurz zu sehen, bekommt aber gar keinen eigenen Charakter.

So ist der progressive, anarchische Wind, der durch "Barbie" wehen soll, die meiste Zeit leider nur ein laues Lüftchen. Am Ende ist im Barbieland natürlich alles wieder pink, grell und schön, alle haben sich wieder lieb und die anfangs noch Barbie-kritische Teenie-Tochter, die der stereotypischen Barbie sogar Faschismus vorgeworfen hat, hat ihre Liebe zu den Spielzeugen wieder entdeckt. Schade. Vom aufbegehrenden Geist der kleinen Mädchen aus der Anfangsszene, die ihre altbackenen Püppchen noch mit Herzenslust an Steinen zerschmetterten, ist nach zwei Stunden nicht viel übriggeblieben.

"Barbie" ist seit dem 20. Juli 2023 in den deutschen Kinos zu sehen.