Superhelden und Comicverfilmungen regieren den Kino-Mainstream und ganz vorne dabei mischen die zu Disney gehörenden Marvel Studios mit. Die haben seit "Iron Man" von 2008 mit dem Marvel Cinematic Universe (MCU) ein beeindruckendes und die Branche dominierendes Imperium aufgebaut, das zumindest aus kommerzieller Sicht keine Spuren von Schwäche zeigt. Auch künstlerisch konnte man sich in der Regel gegen die Konkurrenz behaupten – Marvel-Werke, so scheint der Tenor zu sein, sind einfach die besten Comicverfilmungen, die es gibt.

Nun bringt das Studio mit "Captain Marvel" kurz vor dem Überknaller "Avengers: Endgame" die Titelheldin in Stellung, damit diese den anderen Kollegen mit Superkräften zur Seite stehen kann. Für Marvel ist dies der erste Film mit einer weiblichen Hauptfigur, die es mit einer außerirdischen Rasse zu tun bekommt, die ihre Gestalt verändern kann. Wie schade, dass die Regiearbeit von Anna Boden und Ryan Fleck nicht auch so ein Alien ist – denn dann könnte sie sich ja in einen wirklich guten Film verwandeln.

Die Story

Vers (Brie Larson) lebt mit den außerirdischen Kree zusammen, die sich mit den Skrulls im Krieg befinden. Sie selbst verfügt über übernatürliche Fähigkeiten, die sie als Teil einer Spezialeinheit in den Dienst der Kree stellen will. Doch als eine Rettungsmission gehörig aus dem Ruder läuft, findet sich Vers nur wenig später gestrandet auf der Erde wieder. Während sie auf Hilfe wartet, stellt sie eigene Nachforschungen an und muss schon bald feststellen, dass der blaue Planet ihre Heimat ist, an den sie sich aber nicht erinnern kann. Während die Skrulls Jagd auf sie machen, muss sie sich der Frage stellen, wer sie wirklich ist…

Öde Inszenierung

Als die Filmemacher James Gunn und Taika Waititi jeweils für "Guardians of the Galaxy" und "Thor: Tag der Entscheidung" auf den Marvel-Zug sprangen, wurden sie wenig später dafür gelobt, ihre ganz eigene Handschrift mit eingebracht und dadurch dem MCU neues Leben eingehaucht zu haben. Für das Studio selbst sollte sich deren Engagement gleich doppelt bezahlt machen: Nicht nur sorgten Leute wie Gunn und Waititi für frischen Wind – sie waren auch kostengünstige Optionen, denn schließlich haben sie zuvor eher kleine Indie-Produktionen gemacht. Für "Captain Marvel" wurden nun Anna Boden und Ryan Fleck angeheuert, die in punkto Blockbuster-Unterhaltung ebenfalls noch recht grün hinter den Ohren waren.

Von einer individuellen, filmischen Vision kann man aber bei ihrem Ausflug in die Comicwelt nicht sprechen, denn stattdessen regiert die inszenatorische Langeweile. Bei "Captain Marvel" wird all das gemacht, was man schon in jedem anderen MCU-Film zuvor auch gesehen hat, nur weniger aufregend, einfallsloser, schlechter. Strahlen werden verschossen, Raumschiffe explodieren, man haut sich gegenseitig die Köpfe ein – das ist alles solide und mittlerweile doch altbackene Blockbuster-Unterhaltung, nur in einem verhältnismäßig kleinen Rahmen, der deshalb das Versprechen eines großen Spektakels nur bedingt einhält.

Ästhetisch wirkt "Captain Marvel" allenfalls funktional, die teils verwackelten Kameraschwenks ins Dunkle bei so einigen Actionszenen sind auch 2019 ein Ärgernis. Und wenn im Showdown dann auch noch augenzwinkernd ein Popsong ertönt, dann schwindet nicht nur jedwede Spannung – die gibt es ohnehin nicht, weil die Heldin einfach zu mächtig ist – man fühlt sich auch an Gunn und die "Guardians" erinnert, wo der pointierte Einsatz von Musik vor einigen Jahren noch zu den vielen herausragenden Merkmalen zählte.

Larson auf Autopilot

Im Vorfeld wurde stets betont, dass "Captain Marvel" keine typische Origin-Story erzählen wird. Heißt also: Die klassische Variante, chronologisch zu zeigen, wie die Heldin zu ihren Kräften kommt, kommt hier nicht zum Einsatz. Vers besitzt gleich zu Beginn ihre Fähigkeiten und befindet sich bereits auf der Kree-Welt. Wie diese wirklich funktioniert erfährt man übrigens kaum und man muss sich mit ein paar kurzen Einstellungen von extraterrestrischer Architektur begnügen – Worldbuilding? Fehlanzeige, spielt eh keine Rolle.

Captain Marvel muss jedenfalls ihre Vergangenheit aufgrund ihres Gedächtnisverlustes rückwärts aufrollen, wobei dies nicht ohne die ein oder andere Länge im Plot vonstattengeht und einige erklärende Dialogzeilen, die dem Zuschauer mit der Subtilität eines Presslufthammers vorgetragen werden. Bei der Stange halten einen in diesen Phasen vor allem ein digital verjüngter Samuel L. Jackson als Nick Fury, der seiner bislang als eher ernst wahrgenommenen Figur eine energischere und humorvolle Dimension verleiht, und ein mit Elan und Witz aufspielender Ben Mendelsohn. Und klar, eine Katze gibt es auch noch, die nicht nur niedlich ist, sondern es auch faustdick hinter den Ohren hat.

Ausgerechnet Brie Larson als Hauptdarstellerin überzeugt nicht: Ein verschmitztes Lächeln zu Beginn hier, ein paar feuchte Augen da und ansonsten sehr viel stoisches Umhergucken. Als Kriegerin mit Amnesie gibt es jede Menge leere Stellen in ihrer Figur, die sie aber nur unzureichend mit Emotionen zu füllen vermag, was zumindest auch dem Drehbuch geschuldet sein dürfte, von dem sie wenig zum Spielen bekommen hat. Jüngst verriet sie bei Jimmy Kimmel live, dass sie quasi lernen musste, cool zu schauen und man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass ihre Performance bemüht wirkt. Ihr Talent als hervorragende dramatische Schauspielerin, wie sie es unter anderem in "Raum" oder "Schloss aus Glas" unter Beweis stellte, kommt hier jedenfalls so gut wie gar nicht zur Geltung und schlimmer noch wird eine fehlende, charismatische Strahlkraft deutlich, weshalb Larson leider wie eine Fehlbesetzung wirkt.

"Captain Marvel" erscheint aufgrund seiner Makel untypisch für Marvel wie ein Schnellschuss, der nur dazu dient, die Titelheldin für den Kampf gegen Thanos in "Avengers: Endgame" in Stellung zu bringen. Der Blockbuster startet am 7. März 2019 in deutschen Kinos.

Fazit: "Captain Marvel" betätigt dank toller Nebenfiguren kurz vor dem Absturz den Schleudersitz und ist ein seltener Schuss in den Ofen von Marvel.