Noch aus dem Kinderzimmer heraus verkauft er per Telefon private Krankenversicherungen, mit 25 Jahren hat er seine erste Million. 2008 ist Mehmet Göker mit seiner Firma MEG Deutschlands zweitgrößter Versicherungsmakler mit einen Umsatz von mehr als 65 Millionen Euro inklusive Einkaufstouren nach New York, Fuhrpark mit sündteuren Sportwagen und Mitarbeitern in ganz Deutschland - von denen sich einige auf einer der vielen Jubelfeiern gemeinsam mit ihrem Chef das Firmenkürzel in den Arm tätowieren lassen. Ein Jahr später ist MEG pleite. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Untreue und Insolvenzverschleppung.

Regisseur Klaus Stern hat die Geschichte in einem Dokumentarfilm festgehalten: Versicherungsvertreter erzählt vom Aufstieg eines Selfmademan à la Carsten Maschmeyer, vom Jungen aus kleinen Verhältnissen zum selbstverliebten Ferrarifahrer, der mit Geld um sich wirft, wie ein Messias verehrt wird, um dann ins Bodenlose zu fallen.

Ein typischer Stern-Film wie die Dokus Weltmarktführer über den New-Economy-Pleitier Tan Siekmann oder Henners Traum, in der ein Provinzbürgermeister halb Nordhessen in ein mondänes Ferienresort verwandeln will. Kleine Brötchen backen Sterns Stars nicht. Mit den Zutaten "Kriminalität, Größenwahn, aber auch Humor" hat der Grimme-Preisträger ein eigenes Genre geschaffen, das weit über den Dokumentarfilm hinausgeht - unterhaltsam und kinotauglich.

Er riecht, wenn es interessant werden könnte, sagt der Filmemacher, der seine Hauptdarsteller wie Mehmet Göker oft über Jahre mit der Kamera begleitet, bereits einsteigt, wenn sie gerade erst zum Höhenflug abheben. Und entgegen vielen Vermutungen: Er hegt durchaus Sympathie für seine "Helden", die sich im Film - völlig kommentarlos - selbst erklären. Vorführen will er auch Mehmet Göker nicht, es geht um mehr: "Eine gute Story muss gesellschaftliche Relevanz haben. Ich zeige eine Gesellschaft, in der man nur reich werden kann, wenn man verkaufen kann."

In Versicherungsvertreter sieht man hinter die Kulissen einer Branche, die sich seriös gibt, aber dubiose Praktiken verfolgt. Bis zu 8000 Euro zahlten die großen Versicherungskonzerne den MEGlern für einen Vertragsabschluss. Gökers beste Männer verdienten locker 50 000 Euro und mehr - im Monat. Stern, gelernter Briefträger und studierter Wirtschaftspädagoge, war überrascht, "wie viel Geld man mit Krankenversicherungsverkäufen machen kann und mit wie wenig Qualifikationen man in diesem Geschäft in Führungspositionen kommt".

In der Zeitschrift für Versicherungswesen stand bereits, dass der Film schlimmere Auswirkungen für die Branche haben könnte als der Sexskandal bei der Hamburg-Mannheimer. "Eine Auszeichnung", meint Stern. "Sie haben es also gesehen und sich wiedererkannt." Namentlich Frank Kettnaker. Das Vorstandsmitglied der Alten Leipziger und Halleschen tauchte im Film ursprünglich bei einer MEG-Veranstaltung auf und verklagte den Filmer daraufhin. Jetzt ist Kettnaker raus, in der lediglich 45-minütigen TV-Fassung steht die Person Mehmet Göker stärker im Fokus. Sachzwänge, eigentlich kneift Stern nicht, wenn es Ärger gibt. Als deutscher Michael Moore sieht er sich deswegen aber nicht. "Ich bin nicht so witzig - und nicht so manipulierend."

Derzeit werkelt der 43-Jährige an einem Film, der am 19.6. - im Umfeld der Fußball-EM - im Ersten laufen soll: Arbeitstitel Spielerberater. Es geht es um Jörg Neblung, der unter anderem Berater von Torwart Robert Enke war, der sich 2009 das Leben nahm. "Sie werden sehen, der Film sticht heraus." 

Heiko Schulze

Versicherungsvertreter - Die erstaunliche Karriere des Mehmet Göker
MO, 4.6., Das Erste, 22.45 Uhr