Sechs Jahre hat Udo Jürgens an seiner 2004 erschienenen Autobiografie "Der Mann mit dem Fagott" geschrieben, sechs weitere feilte er mit am Drehbuch. Die Geschichte beginnt 1912 und erzählt in Rück­blicken das Leben der Bockelmanns (Jürgens' bürgerlicher Name), einer so einflussreichen wie vermögenden Familie. Zweiter Handlungsstrang: der Werdegang des jungen Udo bis zum Durchbruch mit "Merci Chérie" beim Grand Prix Eurovision 1966.

TV SPIELFILM: Herr Jürgens, David Rott sieht im Film dem jungen Udo Jürgens oft frappierend ähnlich. Wie fühlen Sie sich beim Blick in diesen Rück-Spiegel?
UDO JÜRGENS: Ich bin sehr glück­lich darüber, dass er das so toll hingekriegt hat. Es gibt viele Szenen, da sehe ich David an, und es ist, als würde ich mich sehen. Aber natürlich ist auch eine gehörige Portion Wehmut dabei, als 77-Jähriger den jungen Mann zu sehen, der ich damals war.

Die Lieder von Udo Jürgens sind generationenübergreifend bekannt. David, welches Lied kennen Sie schon seit Ihrer Kindheit?

DAVID ROTT Um ehrlich zu sein, war ich nicht wirklich firm, was Udo Jürgens angeht. Ich kannte zwar einige Lieder, aber ich wusste nicht, dass sie von ihm sind, und war ganz überrascht. Mein Lieblingslied ist "Mein erster Weg", das ist auf einer alten Platte. So ein bisschen Richtung Astrud Gilberto, wahnsinnig schön mit einer verrückten Flöte...

UDO JÜRGENS: ...eine Jazzflöte.
DAVID ROTT Davon habe ich Udo während des Drehs erzählt, und...

UDO JÜRGENS: ...dann habe ich es noch mal neu aufgenommen.

DAVID ROTT Und jetzt ist es auf dem neuen Album drauf.

David, zur Vorbereitung auf die Rolle haben Sie Udo Jürgens begleitet. Was haben Sie gemacht?

DAVID ROTT Er hat mich zu sich eingeladen, und wir haben einige Tage zusammen verbracht.

UDO JÜRGENS: Ich musste ein Konzertprogramm einstudieren, bei dem ich nur Klavier spiele und singe, und dabei konnte er mich beobachten und meine Unarten feststellen. Abends sind wir zusammen essen gegangen.

DAVID ROTT Ich durfte seinen Bentley fahren. Ein tolles Auto. Wie eine Mischung aus Gazelle und Panzer. Ein sehr kompaktes Auto mit einer irrsinnigen Kraft und einer wahnsinnigen Beschleunigung. Ein sehr potentes Auto.
UDO JÜRGENS: Vollkommen sinnlos, ich weiß, aber in meiner Generation, die die Wirtschaftswunderjahre nach dem Zweiten Weltkrieg hautnah miterlebt hat, sind alle autoverrückt.

Das war auch Ihr Großvater Heinrich, der im Film eine zentrale Rolle spielt. Er ging 1912 aus Bremen nach Moskau, baute dort eine Privatbank auf, verdiente ein Vermögen, musste nach dem Krieg wieder neu anfangen und wurde ein zweites Mal schwer reich.

UDO JÜRGENS: Ja, aber er kam als der große Bankier aus Moskau, der exzellente Kontakte hatte. Der berühmte Baron Rothschild war sehr mit ihm befreundet. Der hat ihm geschrieben, nachdem mein Großvater aus der Kriegsgefangenschaft in Russland nach Schweden geflohen war, wo er sich von seinem verbleibenden Geld sofort wieder eine Riesenvilla gekauft hat. Jedenfalls hat Rothschild ihm einen unterschriebenen Blankoscheck geschickt, und dazugeschrieben: "Lieber Heinrich, ich weiß, dass du jetzt zurück bist, und ich hoffe, dass du weitermachst im Geschäft. Wenn du was brauchst, bitte trage die Summe ein."

Was trägt man da ein, ohne zu bescheiden zu sein, oder den Bogen zu überspannen?

DAVID ROTT Das wüsste ich jetzt auch nicht.
UDO JÜRGENS: Großvater Heinrich hat wahrscheinlich mit Recht eine halbe Million reingeschrieben, oder so was. Diese Herrschaften waren Gentleman, die wussten genau, was geht und was nicht. Rothschild wollte meinem Großvater, den er sehr schätzte, mit dieser Geste seinen Respekt bezeugen, und ihm die Chance geben, wieder groß einzusteigen. Dass er das Geld wiederkriegen würde, stand für ihn außer Frage. Und meinem Großvater hat es ermöglicht, einige ganz große Geschäfte mit Unternehmen wie Krupp und Co zu machen.

In der Vorbereitung und später beim Drehen haben Sie beide viel Zeit miteinander verbracht. Welche Vorlieben teilen Sie?

DAVID ROTT Ich denke, dass wir beide dem Wein nicht abgeneigt sind.

UDO JÜRGENS: Ich habe eine gewisse Lebensart.

DAVID ROTT Lebenslust.

UDO JÜRGENS: Natürlich lebt David in einer anderen Generation als ich. Er lebt mit seiner wunderbaren Frau und hat sich fest vorgenommen, treu zu sein. Treue ist keine Mühe für ihn. Für mich war dieser Gedanke undenkbar. Ich wusste genau, dass ich das nicht kann.

Würden Sie uns das erklären?

UDO JÜRGENS: Es hat viel mit Sexualität zu tun. Abwechslung in der Sexualität war für mich Voraussetzung, um körperlich glücklich zu sein. Wahrscheinlich habe ich da eine Macke, aber damals waren wir auch alle Platzhirsche.

Sie und Ihre Band?

UDO JÜRGENS: Auch alle anderen Musiker, die ich kannte. Wir waren ein unvorstellbares Gesindel.

DAVID ROTT Ein Sauhaufen.

UDO JÜRGENS: Genau. Wir haben uns zwar alle bemüht, ein Familienleben hinzubekommen, aber es war von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Ich bin bestimmt fünfzehn Jahre meines Lebens nicht einen einzigen Abend völlig nüch­tern nach Hause gekommen.

Pegeltrinken bis zum Zusammenbruch?

UDO JÜRGENS: Wir haben ja nicht gesoffen, aber es war jeden Tag Party. Zu viele Zigaretten, zu wenig Schlaf. Ich habe dann tatsächlich in Neapel einen erheblichen Zusammenbruch gehabt, da war
ich 40 oder so. Ich konnte zwar aufhören, von einem Tag auf den anderen, aber es war dann lange nicht mehr so lustig. Es gibt den Spruch: Fröhlichkeit ohne Alkohol wirkt gekünstelt. (lacht)

Im Film spielt die Geschichte Ihres Großvaters und Ihres Vaters eine vergleichsweise große Rolle, Ihre beiden Ehen und Ihre Kinder dagegen gar keine. Warum?

UDO JÜRGENS: Das ist doch alles schon zur Genüge in den bunten Blättern der Republik wiedergegeben. Und auch darauf hätte ich gut verzichten können.

David, Sie haben große Konzertszenen gespielt.

Haben Sie nachempfunden, was man fühlt, wenn man vor 30 000 kreischenden Fans auftritt?


DAVID ROTT Das fühlt sich toll an.

Sind das die glücklichsten Momente beim Musizieren?

UDO JÜRGENS: Wahrscheinlich. Es ist dieser Augenblick gegen Ende des Konzertes, wo du dich als Mittelpunkt der Welt fühlst. Aber du kommst da auch sehr schnell wieder runter, wenn du allein in deinem Hotelzimmer sitzt.

DAVID ROTT Gleich in meinem ersten Film hatte ich die Hauptrolle. In den sechs Wochen haben sie mir am Set alles nachgetragen. Ich habe erst später begriffen, dass sie das nicht tun, weil ich so grandios bin. Das ist nur eine Ökonomi­sierung der Vorgänge, damit alles reibungslos läuft. Wenn man danach wieder zu Hause ist und sich die Butterbrote selbst schmieren muss, ist das ernüchternd.

UDO JÜRGENS: Eine Riesenumstellung. Bei mir ist das natürlich noch krasser, weil ich eine große Show mit großem Aufwand mache. Ich habe bei Konzerten vier persönliche Betreuer, bin betüttelt von früh bis spät, ich brauche überhaupt nichts selbst zu machen. Ich könnte mich tragen lassen, wenn ich wollte.

Sie haben über 100 Millionen Platten verkauft. Haben Sie eigentlich Bargeld dabei?
UDO JÜRGENS: Auf Tourneen nicht. Nein. Auch keine Kreditkarte. Das regeln meine Leute.

Ist das Leben im goldenen Käfig erfüllend, oder würden Sie manchmal gern einfach in den Supermarkt gehen und "normale" Leute treffen?

UDO JÜRGENS: Ich mache wahnsinnig gern selbst Frühstück, und wenn ich in meinem Haus in Portugal bin oder auch in Zürich, gehe ich dafür sehr oft selbst einkaufen und lasse mich von den Hausfrauen beraten, die dort einkaufen.

Ach, haben Sie nicht mal gesagt, Sie wären zu schüchtern, um eine Frau anzusprechen?

UDO JÜRGENS: Bin ich auch. Aber nach einem Joghurt frage ich trotzdem.

Susanne Sturm