Himmelsakrament! Schon wieder Mittelalter? Nach den "Säulen der Erde", der "Päpstin" und der "Wanderhuren"-Trilogie, in der Sat.1 Millionen Zuschauer in eine sex-, crime- und klischeegesättigte Pappmaschee-Historie entführt hat, knöpft sich das ZDF nun die "Pilgerin" vor. Die Vorlage für den Zweiteiler liefert erneut das "Wanderhuren"-Autorenpaar Iny Lorentz, die Gleichstellungsbeauftragten des Mittelalters.

Umso überraschender, dass kein Geringerer als Regisseur Philipp Kadelbach ("Unsere Mütter, unsere Väter") sich der dürftigen Buchvorlage angenommen hat. Und mit Josefine Preuß, Volker Bruch und Jacob Matschenz einige der talentiertesten Darsteller ihrer Generation die Hauptrollen übernahmen. Trivialer Historienquark trifft auf geballtes Talent - wie geht das zusammen?

Schmutz, Gestank, Armut

Ziemlich gut, denn "Die Pilgerin" hebt sich durch die moderne Erzählweise, sinnliche Bilder und die Spielfreude der Darsteller wohltuend von anderen Produktionen des Genres ab. Als "Eventfilm 2.0." bezeichnet ZDF-TV-Film-Chefin Heike Hempel das Ergebnis.
"Wir wollten die Epoche so sinnlich und authentisch wie möglich erfahrbar machen", erläutert die Producerin Verena Monßen. "Und das heißt: Schmutz, Gestank, Armut." Darin folgt "Die Pilgerin" dem Trend zur Entzauberung des Mittelalters, der Ritter-und-Burgfräulein-Poesie durch Elendsschilderungen ersetzt.

Das aber geschieht mit sehr viel Liebe zum Detail, wie sich TV SPIELFILM am Drehort in Tschechien überzeugen konnte. Auf Burg Pernštejn baute Production-Designer Thomas Stammer einen mittelalterlichen Markt auf. Aus Holz und Sackleinen entstanden windschiefe Stände. Helfer sprühten Schweinehälften und Innereien aus Schaumstoff mit Kunstblut ein, drapieren ausgestopftes Federvieh zu einem wüsten Haufen. An lebenden Tieren standen für die Marktszenen neben Pferden und Ziegen auch 200 Fliegen auf der Darstellerliste. "Schade, dass es noch kein Geruchsfernsehen gibt", fasst die Hauptdarstellerin Josefine Preuß ihre eigenen sinnlichen Erfahrungen beim Dreh zusammen.

Allerdings schoss Stammer bei einigen der 84 Sets, die er entworfen hat, übers Ziel hinaus. Die Wohnverhältnisse im Mittelalter waren sicherlich unbequemer als heute. Aber dass ein wohlhabender Kaufmann des 14. Jahrhunderts in einer Art Höhle hausen soll, lässt den Zuschauer dann doch stutzen. Ebenso wie das Mysterium, dass sich auf der Pilgerreise von Deutschland nach Santiago de Compostela die Landschaft kaum verändert.

Aus Kostengründen wurden sämtliche Außenaufnahmen in Tschechien gedreht. Sechs Millionen Euro machte das ZDF für die zwei Neunzigminüter locker. Das entspricht dem Budget einer sechzigminütigen Folge von "Game of Thrones".

Chaotische Produktion

Überhaupt waren die Produktionsbedingungen alles andere als ideal. Wetterkapriolen wirbelten Drehpläne durcheinander. Vier (!) Autoren dokterten bis weit nach Drehstart am Skript herum. Die Zeit zwischen Dreh und Sendetermin war sehr kurz bemessen. Vier Wochen vor Ausstrahlung und DVD-Veröffentlichung konnte uns das ZDF immer noch keine fertige Fassung zeigen.

Dass hier mit derart heißer Nadel gestrickt wurde, befremdet bei einem Film, der als Jahresauftakt-Event ein Aushängeschild des Senders ist. Eingerahmt wird die Zeitreise von einer Begleitdokumentation über den Jakobsweg und einer Website, die zu einem virtuellen Trip nach Santiago einlädt. Das nennt sich dann wahrscheinlich Pilgern 2.0.

Christian Holst