Geht so staatlicher Zeugenschutz? Er muss es wissen: Wolfgang Sielaff war Hamburgs bekanntester Kriminalist, er gründete die Dienststelle Organisierte Kriminalität und wurde 1997 Polizeichef der Hansestadt. 2002 ging er in Ruhestand. Der ARD-Produktion "Das Programm" stand er als Berater zur Seite.

Wie realistisch ist die Darstellung in "Das Programm"?

WOLFGANG SIELAFF Ungeachtet künstlerisch-dramaturgischer Freiheiten spiegelt der Film sehr anschaulich und spannend die Prinzipien und Abläufe des Zeugenschutzes wider. In einem Punkt weicht der Film von der polizeilichen Praxis ab: In der Realität sind Ermittlung und Zeugenschutz strikt voneinander getrennt, um dem Vorwurf der Zeugenbeeinflussung zu begegnen. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass der Prozess platzt.

Wie hoch ist der Preis, den man dafür zahlt, als Zeuge auszusagen?
WOLFGANG SIELAFF Der ist durchaus hoch. Der Zeuge muss faktisch aus seinem bisherigen Leben aussteigen und alles hinter sich lassen. Er muss alle Spuren verwischen, die auf seine Fährte führen könnten.

Wie viele Menschen sind zurzeit in Deutschland im Zeugenschutzprogramm?

WOLFGANG SIELAFF Selbst wenn ich das wüsste, würde ich es nicht sagen. Der Zeugenschutz ist zu sensibel, als dass darüber Einzelheiten veröffentlicht werden könnten. Eines kann ich jedoch sagen: Das Programm hat sich längst bewährt. Durch die Aussagen geschützter Zeugen sind viele schwere Straftaten aufgeklärt
und die Täter verurteilt worden.

Wie ist es mit "Gomorrha"-Autor Roberto Saviano? Der ist zwar kein Zeuge, wird aber von der Mafia mit dem Tod bedroht und lebt mit Polizeischutz.

WOLFGANG SIELAFF Er ist zum Todfeind der Camorra geworden. Sein Leben wird immer bedroht sein, sodass er unter ständigem Polizeischutz stehen wird. Roberto Savianos Los ist aber nicht mit einem normalen Zeugenschutzfall vergleichbar, bei dem die akute Bedrohung oft mit dem Strafprozess endet oder sich reduziert.

Es sei denn, sie wollen sich für den Verrat am Zeugen rächen?

WOLFGANG SIELAFF Stimmt, dieses Motiv muss man berücksichtigen. Deshalb endet der Zeugenschutz nicht immer mit dem Ende des Prozesses. Es gibt, wie im Film dargestellt, extrem gewaltbereite Verbrecher, deren Motiv Rache ist. Sie sind aber die Ausnahme. Zumeist wird der Rachegedanke verworfen, weil das Risiko, etwa für einen Mord verurteilt zu werden, zu hoch ist.

Wie gefährlich ist ein solches Leben als Zeuge?

WOLFGANG SIELAFF In den vergangenen 30 Jahren ist in Deutschland niemand, der im Zeugenschutzprogramm war, ums Leben gekommen.

Wie sieht es mit organisierter Kriminalität in Deutschland aus?

WOLFGANG SIELAFF Das organisierte Verbrechen hat sich auch bei uns eingenistet. Es ist die bedrohlichste Form der Kriminalität und eine erhebliche Gefahr für Staat und Gesellschaft.
Bei der Einziehung krimineller Vermögen ist Deutschland allerdings Entwicklungsland. Andere Staaten machen es uns vor: Werden bei einem Verdächtigen Geldbeträge oder Vermögenswerte festgestellt, die offenkundig aus kriminellen Geschäften stammen, werden sie beschlagnahmt. Der Verdächtige wird aufgefordert, binnen einer Frist die legale Herkunft des Geldes zu beweisen.
In der Fachsprache heißt das Beweislastumkehr.

Aber verstößt das nicht gegen die Unschuldsvermutung?

WOLFGANG SIELAFF Nein, denn hier geht es nicht um das Strafrecht. Die Beweislastumkehr kennen wir aus dem Zivil- und Steuerrecht. Jährlich müssen wir zum Beispiel dem Finanzamt unsere steuermindernden Ausgaben nachweisen. Warum der Gesetzgeber nicht willens ist, verbrecherischen Organisationen auf diese Weise ihre kriminellen Profite zu entziehen, ist mir unerfindlich.

Man kann sich ja manchmal nur wundern, wo 20-Jährige etwa das Geld für ihre 100 000 Euro teuren Luxuskarossen herhaben, mit denen sie mittags über die Reeperbahn cruisen.

WOLFGANG SIELAFF Ein alltägliches, der Polizei geläufiges Phänomen. Selbst wenn der Fahrer als Straftäter bekannt und ohne Einkommen ist und alles dafür spricht, dass das Auto mit kriminellem Geld finanziert wurde, wird er unbehelligt bleiben. Es müsste ihm nämlich jede einzelne Vortat nachgewiesen werden, aus der das Geld stammt. In anderen europäischen Staaten oder den USA müsste er die legale Herkunft der Finanzierungssumme beweisen. Kann er das nicht, würde das Auto ins Staatsvermögen übergehen.

Das Programm
MO, 4.1., Das Erste, 20:15 Uhr