Zunächst gefiel ihr der Titel. "‚Wer Wind erntet, sät Sturm‘ klingt pathetisch wie die Bibeloffenbarung, da wurde meine Fantasie schon beim Lesen auf Abenteuerreise geschickt", sagt Annika Blendl. In der Rolle beim aktuellen Bremer "Tatort" betritt die schöne Blonde mit den dunklen Augen tatsächlich Neuland.

Eine Ma­nagerin, die ein Leben im Dauerlauf führt und Karriere als Kampfzone begreift, hat sie noch nie gespielt. Eine wie Yahoo-­Chefin Marissa Mayer oder EU-Politikerinnen aus Brüssel, "die in Interviews wie Maschinen­gewehre reden".

Blendls Entwurf einer modernen Frau, die kühl und struk­turiert agiert, aber die innere ­Zerrissenheit der ehemaligen Ökoidealistin noch in sich trägt, hinterlässt Eindruck. Verblüffend ist, wie sehr dieser markante Charakter im Gegensatz zu der ausgesprochen jugendlich wirkenden 34-Jährigen steht. So ­einen Transfer hinzubekommen, das nennt man wohl Talent.

In Regensburg gemeinsam mit zwei Schwestern und drei Brüdern aufgewachsen, denkt die junge Waldorfschülerin zunächst daran, Musikerin zu werden. An der Violine gewinnt sie sogar zweimal den Nachwuchswettbewerb "Jugend musiziert", bis sie merkt, dass es das "irgendwie auch nicht ist". Ist es die ewige Überei, die strenge Disziplin, das immer Gleiche? Annika Blendl will lieber Kunst studieren, geht nach Berlin an die Akademie und - entdeckt die Schauspielerei. Anfangs ziert sie sich noch, findet es einfallslos, der älteren Schwester Mareile nachzueifern, die bereits Schauspielerin ist. Ein Studium kommt des­wegen nicht infrage. "Im Nach­hinein weiß ich nicht, ob ich mir da nicht selbst ein Hindernis ­gebaut habe. Aber es ist ja gut gegangen." Das kann man wohl ­sagen.

"Obwohl ich eigentlich nichts konnte", wie sie sagt, spielt sie schnell unter bekannten Regisseuren wie Dominik Graf ("Kalter Frühling") und Christian Petzold ("Gespenster"), verschafft sich mit Hauptrollen in Debüt- und Hochschulfilmen, wie dem Roadmovie "Transit" an der ­Seite von Jürgen Vogel, Clemens Schick und Bernd Michael Lade, Anerkennung. Bei den Dreharbeiten zum Kinodrama "Maria am Wasser" lernt sie 2009 Alexander Beyer ("Good Bye, ­Lenin!") kennen und - wie im Film - lieben. Das Schauspielerpaar hat inzwischen zwei Kinder.

In mehr als 40 Fernsehfilmen hat die Bayerin mitgewirkt, da­runter zahlreiche Krimireihen wie "Bella Block", "Polizeiruf 110", "Unter Verdacht" - und jetzt ihr fünfter "Tatort". "Das ist immer etwas Besonderes, weil es das gesellschaft­liche Umfeld mit einfängt. Im Idealfall habe ich nach einem ‚Tatort‘ etwas über das Leben begriffen", sagt Blendl. Im aktuellen Fall, in dem es vordergründig um den Konflikt zwischen Umweltschützern und Betreibern ­einer Offshore-Windanlage geht, verschwinden nach und nach die Grenzen zwischen Tätern und Opfern, zwischen schuldig und unschuldig.

Dass niemand die Wahrheit kennt beziehungsweise jede Seite ihre eigene hat, erlebt Annika Blendl auch in einem ganz anderen Fall, der sie momentan in Atem hält, ihr Dokumentarfilm "Mollath - Und plötzlich bist du verrückt" (ab 9. Juli im Kino). Annika Blendl ist nämlich auch Regisseurin, studiert seit 2009 in München Dokumentarfilm. Ihre inzwischen zweite Arbeit über den Protagonisten des wohl bekanntesten Justizskandals Bayerns - der wegen mehrerer Delikte in die Psychiatrie eingewiesene Gustl Mollath erstritt 2014 vor Gericht einen Freispruch - entsteht im Team mit Kommilitonin Leonie Stade.

Was lockt sie plötzlich hinter die Kamera? "Das Hinschauen. Es macht mir Spaß zu beobachten, dabei zu lernen und Erfahrungen zu sammeln." Und nebenbei lernt sie das ganze Geschäft, denn bei "Mollath" fungiert sie auch als Produzentin. "Meine Rolle im ‚Tatort‘ hatte plötzlich ganz viel mit meiner persönlichen Situation zu tun, weil ich als Filmemacherin ebenso von einer Seite auf die andere getrieben wurde. Im Krimi gibt es am Ende Tote, und sie macht trotzdem weiter. Ich hoffe, dass passiert mir nicht."

Heiko Schulze

Tatort: Wer Wind erntet...
SO 14.6. Das Erste 20.15 Uhr