Die beiden toten Mädchen waren erst 13 Jahre alt - und hatten trotzdem einschlägige Erfahrungen mit Drogen und Sex. Der Leiter des Jugendclubs steht auf kleine Mädchen, der Mann am Kiosk redet nicht mit der Polizei. Aus Prinzip.

Der neue "Polizeiruf: Einer von uns" (18.4., 20.15 Uhr, ARD) von Eoin Moore (Drehbuch und Regie) bietet einen unverblümten Blick auf die harte soziale Realität eines Rostocker Hochhausgettos.
Anneke Kim Sarnau und Charly Hübner, die neuen Cops in Rostock, passen gut zu diesem Milieu. Eoin Moore hat sie mit einem passenden Mix aus Kodderschnauze, Brutalität und knarzigem Humor ausgestattet. Dass Sarnau heimlich gegen ihren etwas zwielichtigen Kollegen ermitteln muss, sorgt dabei für eine interessante Grundspannung.
Das neue Team tritt die Nachfolge des Duos Uwe Steimle und Felix Eitner an, die 15 Jahre lang Schweriner Verbrechen aufklärten. Im TV SPIELFILM-Interview erklären die beiden Neuen, warum sie gut zueinander passen und Rostock besser ist als Schwerin.

Frau Sarnau, Sie bedienen sich als Ermittlerin Kathrin König der Kinesik. Was ist denn das?

ANNEKE KIM SARNAU Das ist das Lesen von Körpersprache. Gehört zum Profiling: Man versucht anhand von Spuren und Indizien auf den Charakter des Täters zu schließen und so Muster zu finden. Was sagt es aus, wenn eine Zigarette am Tatort liegt? Hatte der Täter Zeit? War er nervös?

CHARLY HÜBNER In der Fachliteratur werden auf Hunderten von Seiten alle möglichen Körperhaltungen analysiert. Meine Figur Bukow nutzt so was unbewusst.

Und ist auch ansonsten nicht so der wissenschaftliche Typ...

CHARLY HÜBNER Nee, der liebt die direkte Konfrontation. Der glaubt nicht an Diplomatie, langt schnell mal zu.

In was für einem Deutschland leben die Ermittler? In einem funktionierenden Rechtsstaat oder im Dschungel?

ANNEKE KIM SARNAU Das Böse ist permanent anwesend. Das muss einfach mal klar sein. Uns ist das klar. Und damit gehen wir um. Heutzutage kann der Täter in den meisten Fällen ermittelt werden. Das war vor 20 Jahren sicherlich anders. Aber natürlich ist man weiterhin geschockt, wenn man dann doch von absurden Verbrechen hört.

CHARLY HÜBNER Gerade wurde mir in Berlin ein Leihwagen über Nacht kurz und klein geschlagen. Dass man einen Wagen stiehlt, ist nachvollziehbar. Dass man ihn aber gezielt zerstört, hat mich doch überrascht.

Ihr erster Fall spielt in einem Plattenbaugetto. Waren die Dreharbeiten problematisch?

CHARLY HÜBNER Nein, überhaupt nicht. Die Schaulustigen sind in Rostock noch schüchterner als in Hamburg. Die haben noch nicht die Dreh-erfahrung. Am Hafen stand eine Frau die ganze Zeit im Bild. Würden Sie bitte zur Seite treten, haben wir gefragt. Wieso? Sie sind im Bild. Ist das schlimm? Na ja, wir wollen drehen. Was denn? "Polizeiruf". Nee, der wird doch in Schwe-rin gedreht. Dann: umgedreht, weggegangen. Ohne Worte.

Warum spielt der "Polizeiruf" nicht mehr in Schwerin? Bietet Rostock mehr Möglichkeiten?

CHARLY HÜBNER Die Stadt hat mit 200 000 einfach mal doppelt so viele Einwohner. Außerdem hat sie einen internationalen Handelshafen. Es gibt diese neue Altstadt, die fast westdeutsch ist. Man hat aber auch die Sternstädte, auf Westdeutsch: Tra-ban-tenstädte. Man hat Warnemünde. Nur zehn Kilometer südlich steht man plötzlich mitten im Mecklenburger Agrarland. Wir haben sicherlich zehn verschiedene Milieus, die wir abfrühstücken können.

Ticken Sie beide eigentlich ähnlich? Sie kommen doch beide aus Norddeuschland.

ANNEKE KIM SARNAU Verstehen wir uns deshalb so gut? Ja, das ist wohl das Norddeutsche. Ich komme aus Sparrieshoop bei Elmshorn.

CHARLY HÜBNER Wir haben auf jeden Fall einen ähnlichen "drögen", trockenen Humor. Wir lieben beide Hamburg. Ich lebe da, komme aber aus der Feld-berger Seenlandschaft, Ortsteil Feldberg. Geboren in Neustrelitz.

Im Film sprechen Sie sehr gut Russisch. Nur gespielt?

CHARLY HÜBNER Nein. Ich habe das acht Jahre in der Schule gehabt und war wohl auch ziemlich talentiert. Ich mag die Sprache, habe sogar mal die Russisch-Olympiade gewonnen. Ich brauche ein paar Tage, um das Wissen wieder anzuzapfen, aber dann bin ich wieder drin.

Frau Sarnau, Sie waren mit Hinnerk Schönemann liiert, einem Kollegen. Lernt man voneinander, oder tut man alles, um den anderen nicht zu kopieren?

ANNEKE KIM SARNAU Ach, ich sage immer: schauen, klauen, besser machen!

CHARLY HÜBNER Ach deshalb funktioniert es bei mir nicht...

ANNEKE KIM SARNAU Man kann gar nichts dagegen machen, dass man sich unbewusst Dinge von anderen abguckt. Grundsätzlich sucht man für seine Rollen bei sich selber. Was bin ich? Was sind meine Konflikte?

CHARLY HÜBNER Bei mir verlangt jede Szene eine eigene Arbeitsmethode. Manche müssen improvisiert werden, die darf man nie proben. Andere müssen durchchoreografiert werden bis in die letzte Silbe. Da kann man eigentlich nichts von anderen übernehmen.

Überlegt man lange, bevor man so einen Abo-Job annimmt? Mittendrin kann man schlecht ein Drehbuch ablehnen.

CHARLY HÜBNER Als meine Agentin mir von dem Angebot erzählte, habe ich sie gefragt, ob das wirklich wahr ist. "Polizeiruf" in Mecklenburg. Zusam-men mit einer Frau. Und die Frau ist Anneke. Alles super! Da musste ich nicht lange überlegen.

ANNEKE KIM SARNAU Wenn mal ein Drehbuch kommen sollte, das wirklich nicht gut ist, dann muss man eben daran arbeiten. Wir haben ein Team, das daran interessiert ist, dass da ein bisschen Rock 'n' Roll passiert.

CHARLY HÜBNER Für eine Abo-Mentalität sind wir beide zu unruhig und zu bestrebt, Bekanntes aufzubrechen.

Welche Art Drehbücher möchten Sie denn gern bekommen?

ANNEKE KIM SARNAU Ich möchte emotional gefordert werden, ich möchte durchgerüttelt werden. Und wenn das bei unserem "Polizeiruf" so weitergeht, dann können wir uns alle freuen.

Frank Aures