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Nora von Waldstätten

Baronesse Spock

Da bleibt sie kühl, kein Gefühl! Wie Nora von Waldstätten einen neuen Frauentyp definiert, ist atemberaubend 


Wahrscheinlich hat sie keine übersinnlichen Kräfte, aber wundern würde es einen nicht. Wie Nora von Waldstätten mit wenigen Blicken ordentliche Krimi- in televisionäre Feinkost verwandelt, ist manchmal nicht von dieser Welt. Wie jetzt in einer neuen Folge der Krimireihe "Die Toten vom Bodensee", in der sie in ihrer Rolle der Ermittlerin Hannah Zeiler wie ein Black Rider vom Planeten Alpha Centauri angebraust kommt, um Schimanski-Verschnitt Oberländer, gespielt von Matthias Koeberlin, auf die Sprünge zu helfen - und die kalte Schulter zu zeigen.

"Eine Einzelgängerin, die sich auf nichts und niemanden verlässt, außer auf sich selbst, auf die Logik und auf die Technik", beschreibt die Schauspielerin den undurchsichtigen Charakter. Ist sie der weibliche Mr. Spock? "Ja, so ein bisschen", sagt die 34-Jährige lachend beim Interview in einer Münchner Hotellobby und fügt an, dass das Publikum ihre Figur erst langsam näher kennenlernt. "In den ersten Folgen war Hannah ein hermetisch abgeschlossener Mensch, wirkte auf den ersten Blick kalt, aber man konnte ahnen, dass da eine irrsinnige Sensibilität drunterliegt, die sie mit dieser Maske schützt."
Was immer mit der Zeiler in Zukunft auch passiert - zwei neue Folgen sind bereits in der Vorbereitung -, es wird am Bodensee geschehen, dort, wo die Karriere der Nora von Waldstätten 2009 fulminant durchstartet. Als skrupelloser Internatszögling Viktoria im "Tatort: Herz aus Eis" lässt sie Zuschauer wie Kritiker gleichermaßen frösteln wie frohlocken, und bald schwärmen alle von der "Baronesse mit den eiskalten Augen" - in Anspielung auf das Wiener Adelsgeschlecht, dem sie entstammt. Dabei ist es nicht ihr erster und schon gar nicht ihr größter Film: Ihr Coming-of-Age-Drama "Falscher Bekenner" lief 2006 im Kino und fand sogar in Cannes Beachtung. "Aber es braucht wohl diese eine Arbeit, wo die Leute fragen: Hoppla, wer ist denn das?"

Genau das dürfte sich auch "Tatort"-Regisseur Ed Herzog gefragt haben, als er sieht, mit welcher Intensität seine Darstellerin eine Figur entstehen lässt, die so berechnend und radikal ihren Willen durchsetzt. Herzog lässt die Schauspielerin machen, angetan davon, wie sie die kleinen Gesten setzt. Und die wären bitte? Eher nebensächlich streicht von Waldstätten wie einst Viktoria die Haare, die heute etwas blonder sind, zurück. Die Wirkung lässt nicht auf sich warten.

"Es stand eine Zeit lang im Raum, ob ich jetzt abonniert sei auf solche Rollen", sagt sie, und dass es ja auch ein gefragter Typ sei. Tatsächlich stehen in amerikanischen Serien karrieregetriebene Frauen wie etwa Claire Underwood aus "House of Cards" immer öfter im Fokus.

Von Waldstätten will dennoch zeigen, "dass ich noch ein paar andere Farben auf Lager habe". Gerade kommt sie vom Dreh für eine neue Folge der ZDF-Krimireihe "Nachtschicht", wo sie eine Krankenschwester mit Stand-up-Comedy-Ambitionen spielt.

Der entscheidende Impuls, "mal die Komik rauszukitzeln oder ganz anders aus sich rauszugehen", kommt für die Wahlberlinerin aus Wien. "So, jetzt kommst du mal nach Hause", habe ihr Regisseur Götz Spielmann ("Oktober November") vor drei Jahren verordnet. Start einer ganzen Reihe von Engagements in der alten Heimat. Sie spielt unter anderem in "Das ewige Leben" mit Josef Hader und in der Miniserie "Altes Geld" vom "Braunschlag"-Macher David Schalko.

"Der ist wahnsinnig mutig", schwärmt sie von dem Starautor und Regisseur. "Er kreiert eine ganz eigene Welt und vertraut dir die Figur vollkommen an." Die ist bei Nora von Waldstätten in guten Händen, denn bei der Arbeit geht sie aufs Ganze, schreibt ihren Figuren Biografien, erstellt Soundtracks, die sie durch den Film führen, fragt sich: Wovon träumt sie?

"Gewürzregal" nennt die blasse Schönheit und Hobbyköchin aus gutem Haus die Sammlung von Stimmungen und Tönen, die sie in ihrem Moleskinheft notiert. "Es gibt so viele Details, die mitschwingen und viel erzählen, ohne dass man es gleich sieht. Aber zusammen ergibt es die Figur in ihrer Gesamtstimmung."

Magdalena Kopp, die deutsche Frau des Topterroristen im dreiteiligen Biopic "Carlos - Der Schakal" von 2010 war ihre bislang größte Herausforderung, "auch weil ich da zum ersten Mal jemanden gespielt habe, den es wirklich gibt". Wieder lässt ihr ein Regisseur, diesmal Olivier Assayas, bei der Ausgestaltung weitgehend freie Hand. "Es wurde nie geprobt, nichts", sagt sie, "aber durch das Vertrauen, das Olivier einem schenkt, wächst man über sich hinaus."

Bei der Premiere des Fünfeinhalb-Stunden-Epos bei den Filmfestspielen in Cannes gibt es dafür Standing Ovations, die die Darstellerin in einem "unfassbaren" Haute-Couture-Kleid von Chanel entgegennimmt. Chefdesigner Karl Lagerfeld persönlich hatte sie für das Modehaus erwählt.

Welche Musik hat sie eigentlich für die deutsche Terrorbraut aus ihrem Gewürzregal gezogen? "Im Grunde ist bei jedem Film mindestens ein Lied von David Bowie dabei." Auch ein Außerirdischer.
Heiko Schulze

Die Toten vom Bodensee - Stille Wasser
MO 18.4. ZDF 20.15 Uhr