Nach ihrem Debüt im "Frankfurter Tatort" am 8.5.2011 galt sie als die coolste TV-Kommissarin Deutschlands: so selbstbewusst wie Nina Kunzendorf trugt keine ihre in grelle Seventies-Klamotten gehüllte Haut zu Markte.

Ihr Abgang nach nur fünf Folgen kam überraschend, aber vermutlich war die Rolle auch zu extrem, als dass man sie lange hätte spielen können. Danach wurde es etwas ruhiger um die heute 44-Jährige.

In diesem Jahr erhielt sie den Deutschen Filmpreis in der Kategorie Beste Nebenrolle für ihre starke Performance in Christian Petzolds Arthauspreziose "Phoenix". Im Fernsehen kann man sie demnächst als kämpferische Hebamme in "Nacht der Angst" (MO, 30.11.) bewundern.
Wenig Geld für viel Arbeit und ständig die Gefahr, wegen
 eines Fehlers angeklagt zu werden - wer möchte da noch Hebamme werden?




Nina Kunzendorf Ich kann es keiner Frau verdenken, wenn das aktuell nicht ihr Berufswunsch Nummer eins ist. Obwohl das so ein wunderbarer Beruf ist! Aber ich habe im Moment den Eindruck, es wird ein ganzer
 Stand zugrunde gerichtet. Hebammen können sich ihren Beruf nicht mehr leisten:
 Bei einem Jahresgehalt von etwa 18.000 Euro über 6000 Euro Haftpflicht zahlen - das geht 
eigentlich gar nicht. Das ist ein Skandal.




Wie haben Sie sich auf ihre Rolle vorbereitet?




Nina Kunzendorf Ich hatte schon einiges über die Nöte von Hebammen
 gehört und habe mich dann in das Thema eingelesen. Und ich war einige Tage in
 einem Geburtshaus in Berlin und durfte "Mäuschen spielen". Ich habe die Atmosphäre aufgesogen, alles aufmerksam beobachtet und mir sehr 
konkret Handgriffe zeigen lassen, damit ich vor der Kamera so glaubwürdig wie möglich agieren kann. 



Ist die Geburt zu Hause gefährlicher als in der Klinik?




Nina Kunzendorf Das glaube ich nicht. Die Statistiken, die ich kenne,
 sind dafür jedenfalls kein Indiz. Das Geburtshaus, in dem ich zur Vorbereitung
 war, liegt fünf Minuten vom Krankenhaus entfernt. Im Notfall ist man sofort da.

Obendrein hat es auf mich einen absolut vertrauenswürdigen, sicheren und hochprofessionellen Eindruck gemacht. 
Außerdem haben die Hebammen einen ganz klaren Risikokatolog. Keine Hebamme wird 
einer Frau, die eine Risikogeburt befürchten muss, zu einer Hausgeburt
 raten. 




Sie haben in Berlin eine Komödie gedreht, die den 
Arbeitstitel trägt "Ich bin dann mal offline". Wie ist Ihr Verhältnis zur
 digitalen Welt? 




Nina Kunzendorf Ich brauche wie die meisten Menschen Smartphone und Computer,
 ich könnte darauf nicht ganz verzichten. Aber ich versuche sehr, mich zu
 disziplinieren, ich bin kein Mensch, der mit einer Freundin im Café sitzt und
 alle zwei Minuten auf sein Handy guckt, um nachzuschauen, ob nicht eine Mail
 oder eine SMS gekommen ist. Wenn ich mal mein Handy zu Hause vergessen
 habe, ist das auch kein Drama.



Jonathan Franzen, aus dessen jüngstem Roman Sie neulich 
gelesen haben, hat in der "New York
 Times" der Diagnose der Soziologin Sherry Turkle zugestimmt, dass das Internet die
 Gesprächskultur in den Familien zerstört...



Nina Kunzendorf Das fürchte ich auch. Ich habe gerade gelesen, dass das
 Geräusch einer eingehenden Message auf dem Smartphone bei vielen Menschen
 Glückshormone produziert. Man wird regelrecht süchtig und möchte, dass sich das
 ständig wiederholt.




Wie lösen Sie das Problem der permanenten Ablenkung durch
 das Internet in ihrer Komödie?



Nina Kunzendorf Ich spiele eine Mutter von zwei Teenie-Kindern und einem
 Mann, der Systemadministrator ist. Alle spielen permanent mit ihren Geräten
 herum, bis der Frau der Kragen platzt und sie der Familie "digital detox"
verordnet und Telefone und Computer vier Wochen im Keller verbannt. Das treibt ihre ganze Familie auf unterschiedliche Weise in den Wahnsinn.




Sie sind ja auch in dem großen ARD-Eventfilm "Das Programm", der am 4.1.16 ausgestrahlt wird,
vertreten. Was ist Ihre Rolle?

Nina Kunzendorf Ich spiele in dem Zweiteiler eine ermittelnde Kriminalkommissarin, die
 Personenschützerin ist. Diese Kombination gibt es in der Wirklichkeit nicht, aber in der
 Geschichte, die wir erzählen, funktioniert es.




Wenn man hört, was Sie so alles machen, kann man den 
Eindruck gewinnen, sie spielten jetzt ein größeres Spektrum von 
Charakteren als 
zu Ihrer "Tatort"-Zeit...




Nina Kunzendorf Das freut mich. Ich finde es herrlich, wenn man eine große Bandbreite an Aufgaben haben kann hat und Figuren spielen 
darf, die sich voneinander unterscheiden. Nichts finde ich langweiliger als Eindimensionalität. Vielleicht war es aber zu
 meiner Frankurter "Tatort"-Zeit auch nur so, dass man meine anderen Filme weniger
 stark wahrgenommen hat, weil der "Tatort" so sehr im Zentrum des medialen Interesses
 steht wie wohl keine zweite Fernsehreihe in Deutschland.




Es gibt also ein Leben nach dem "Tatort"...




Nina Kunzendorf Aber ja! Das liegt jetzt ja auch schon
 eine ganze Weile zurück und ich habe viele schöne Filme gedreht seitdem, ich kann wirklich nicht klagen.



Und Sie haben ja eine würdige Nachfolgerin gefunden...




Nina Kunzendorf Margarita Broich und Wolfram Koch sind
 hervorragende Schauspieler, ich schätze die beiden sehr.




Eine Sache zum "Tatort" wollte ich gern noch fragen, weil ich das so irrwitzig fand: Als Sie nach ihrer Frankfurter Zeit in einem
"Tatort" mit Wotan Wilke Möhring als Kommissarin auftauchten, las ich in einer
 Kritik (die womöglich satirisch gemeint war), so etwas dürfe man nicht machen, damit verwirre man den
 Zuschauer...




Nina Kunzendorf Das ist natürlich Unsinn. Abgesehen davon, dass das eine herrliche Arbeit war, frage ich mich immer, wenn ich so etwas lese, wer
 überhaupt "der" Zuschauer sein soll. Es wird so viel über "den" Zuschauer
 geschrieben und geredet, der etwas nicht mag oder nicht versteht und dem manches zu
 kompliziert ist.

Manchmal glaube ich, es gibt wirklich den einen Zuschauer, der 
sitzt irgendwo in einem Hotelzimmer, und wenn es irgendeine Frage gibt, dann
 ruft man den an und fragt ihn, was er davon hält.






Rainer Unruh

Nacht der Angst
MO 30.11. DasErste 20.15