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Modern gestylte ZDF-Reihe lässt "Tatort" alt aussehen

"Verbrechen" lohnt sich

Verbrechen
Strafverteidiger Leonhardt (Josef Bierbichler) blickt in "Verbrechen" in Abgründe der menschlichen Seele ZDF/Reiner Bajo

Waffen wirbeln über den Bildschirm, Bilder frieren ein - "Verbrechen" ist eine visuell ambitionierte Krimireihe nach den Erzählungen Ferdinand von Schirachs.

Rot tropft es in den Bottich, als der Mörder nach der Tat seine Hände wäscht. Das Wasser glitzert im Gegenlicht wie flüssiges Silber. Dann setzt der Vorspann ein. Zum treibenden Beat rinnt im Hintergrund die Farbe den Bildschirm herunter wie Blut aus einer Wunde.

>>> "Verbrechen" im TV
So stark stilisiert und optisch ambitioniert wie "Verbrechen" war noch keine ZDF-Krimireihe. "Wir erzählen verschachtelt und parallel. Wir haben eine ungewöhnliche Visualität, ein schnelleres Tempo, eine andere Musik", sagt Reinhold Elschot. Der ZDF-Fernsehspielchef macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Er will mit dem Killer-Look junge Zuschauer anlocken.

Das Durchschnittsalter des ZDF-Publikums liegt bei 61. Jung heißt beim Sender "unter 50" - und für diese Zielgruppe schießt Elschot aus allen multimedialen Rohren: Schon vor dem Start der Reihe stellten die Mainzer ein Musikvideo des Trios NaNuchKa mit dem Titelsong "Red" in ihre Mediathek, und natürlich ist man mit "Verbrechen" auch auf YouTube und Twitter präsent.

Reale Verbrechen

Die poppigen Farben und eingefrorenen Bilder dürften viele überraschen, die das Buch kennen. Ferdinand von Schirach pflegt in seinem Erzählband "Verbrechen" einen lakonischen Stil. Der Berliner Strafverteidiger ist ein hochgebildeter Gentleman, Literaturkenner und Freund des Oscar-Preisträgers Michael Haneke ("Liebe").
Im Gespräch räumt er freimütig ein, dass er einen ganz anderen Film gedreht hätte, wäre er der Regisseur gewesen: einen schwarz-weißen Episodenfilm mit wenig Schnitten und kargen Dialogen für 5000 Zuschauer um drei Uhr nachts auf Arte. Trotzdem schätzt auch er die schnelle ZDF-Nummer: "Für das Fernsehen ist ,Verbrechen‘ etwas Ungewöhnliches. Und dieser Mut verdient Lob."

Der Mann, der sich das TV-Experiment ausgedacht und es realisiert hat, heißt Oliver Berben, Sohn der Schauspielerin Iris Berben, und lockte zuletzt als Produzent des Dreiteilers "Adlon" mehr als achteinhalb Millionen Zuschauer vor den Fernseher. Diesen Erfolg wird er mit "Verbrechen" kaum wiederholen. Aber das ist auch nicht sein Ziel. Der 41-Jährige, den als hyperaktiv zu bezeichnen eine Untertreibung wäre, hat den Ehrgeiz, das deutsche Fernsehen aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken.

Gemessen an clever konstruierten dänischen Serien wie "Borgen" oder "Kommissarin Lund" - von US-Meisterwerken wie "Breaking Bad" ganz zu schweigen - wirken manche deutsche Krimireihen in der Tat ziemlich verschnarcht. "Verbrechen" ist ein Versuch, mit Geschichten aus dem eigenen Land zum internationalen Serienniveau aufzuschließen, zu elliptischen Erzählweisen, die vieles aussparen, und zu weniger Gerede und mehr Tempo: Einige der sechs Folgen, die das ZDF an drei Abenden ausstrahlt, haben in 45 Minuten genauso viele Schnitte wie ein konventioneller TV-Film von 90 Minuten Länge.

"Ich halte nichts davon, bei Literaturverfilmungen dokumentarisch eng am Buch zu entwickeln", sagt Berben. "Es ist spannender und auch wichtiger, eine Umsetzung, eine Bildsprache zu finden, die dem Geist des Buches im Medium Film entspricht." Das hat auch Josef Bierbichler ("Im Winter ein Jahr") überzeugt. Seine Rolle als Anwalt ist zugleich sein Seriendebüt. Dafür hat das ZDF erstmals den Sendeplatz am Sonntag um 22 Uhr - sonst den Skandinaviern und Briten vorbehalten - für eine deutsche Reihe geräumt.

Vorbild "Natural Born Killers"

Jobst Christian Oetzmann, Regisseur dreier Folgen, glaubt, dass auch in Deutschland die Zeit für ein Fernsehen reif ist, das dem Publikum mehr zumutet und mehr zutraut: "Ich habe selten so unverschämt gedreht wie bei dieser Reihe", sagt der 51-Jährige.
Foto: ZDF, Teil 5 "Summertime" (SO, 21.4.): Percy Boheims Frau Melanie (Katja Flint, r.) ist erstaunt über den Besuch von Kommissar Seidel (Tim Wilde, l.).
"Und das beruht auf einer Komplizenschaft mit dem Zuschauer, dem man unterstellt, dass er Lust hat, in dieses Spiel einzusteigen, das ihm Raum für seine Fantasie lässt." Ganz ähnlich wie ein Leser von Kurzgeschichten, der vieles in seinem Kopf ergänzt, kann auch der Zuschauer Lücken im Film mit seiner Vorstellungskraft füllen.

Neu ist an "Verbrechen" vor allem der Mix der Mittel, den man so in einer deutsche Serie noch nicht gesehen hat. Die einzelnen Tricks sind dagegen längst bekannt. Regisseur Oetzmann schwärmt von der Montagetechnik in Sam Peckinpahs "Getaway" (1972), und Producer Jan Ehlert beruft sich auf Oliver Stones "Natural Born Killers" (1994) als Beispiel für das Erzählen mit zwei Strängen, die sich optisch stark voneinander abheben. Anderes, etwa die eingefrorenen Bilder, kennt man aus US-Serien wie "Navy CIS".

Mit "Verbrechen" erfindet sich das ZDF nicht neu. Aber es wird ein wenig mehr neo.

Rainer Unruh

Verbrechen
SO 7.4. ZDF 22.00 Uhr