Giovanni di Lorenzo ist ein gefragter Mann. Wenn er nicht gerade "3nach9" moderiert, lenkt er als Chefredakteur die Geschicke der Wochenzeitung "Die Zeit". Wir treffen ihn an seinem Arbeitsplatz im sechsten Stock des Hamburger Pressehauses.
Obwohl heute Abgabetag ist und er bis zwei Uhr morgens in der Redaktion ausharren muss, wirkt der 55-Jährige entpannt. Nur gelegentlich kann er ein Gähnen nicht unterdrücken, während er im Schneidersitz auf der Couch sitzt und zur Abwechslung mal keine Fragen stellt, sondern beantwortet.
TV SPIELFILM "3nach9" wurde von prominenten Moderatoren geprägt wie Wolfgang Menge, Gert von Paczensky und Lea Rosh. Sind das für Sie auch 2014 noch Vorbilder?
Giovanni di Lorenzo Meine Bewunderung für sie ist ungebrochen. Ich will allerdings nicht verhehlen, dass sie mir früher gelegentlich auch auf den Geist gegangen sind, weil ich sie oft als selbstgerecht empfunden habe. Aber je länger ich selbst moderiere, desto mehr weiß ich auch zu schätzen, was meine Vorgänger konnten.
TV SPIELFILM Zum Beispiel?
Giovanni di Lorenzo Dass sie sich überhaupt keine Gedanken darüber gemacht haben, ob die Art, wie sie Fragen stellen, dem Zuschauer gefällt oder nicht. Bei allem, was sie machten, war die Persönlichkeit des Moderators zu spüren. Es waren Moderationen ohne Reiserückkehrversicherung.
TV SPIELFILM Und das ist heute nicht mehr gefragt?
Giovanni di Lorenzo Jedenfalls nicht durchgehend. Ich merke, wie sich auch viele geschätzte Kollegen darüber sorgen, bloß nicht die eigene Marke zu beschädigen.
TV SPIELFILM Aber um eine eigene Marke zu sein, muss man doch erst einmal eigenes Profil zeigen...
Giovanni di Lorenzo Das stimmt, aber es ist eben eine Tatsache, dass heute die Angst, sich zu exponieren, ungleich größer ist als früher. Und das hat nichts mit einer individuellen Charakterschwäche zu tun, sondern mit dem Wandel der Medien: Wenn sie heute im Fernsehen anecken, dann kann das im Internet einen Shitstorm auslösen, der ihre berufliche Existenz bedroht. Das wirkt einschüchternd.
TV SPIELFILM Aber regen sich die meisten Zuschauer nicht eher über Langweiler auf, die alles lächelnd wegmoderieren?
Giovanni di Lorenzo Ja und nein. Einerseits gibt es eine Sehnsucht nach den alten Haudegen von früher, die in den Shows für Zoff und Stimmung sorgten, andererseits ist man sehr schnell bereit, seine Empörung auf drastische Weise im Internet zu verbreiten, wenn es einem gerade mal nicht passt.
TV SPIELFILM Merken Sie das auch bei "3nach9"?
Giovanni di Lorenzo Du bekommst es als Moderator durch die Reaktionen im Internet in Echtzeit mit, ob du gerade deine Reputation verspielt. Die Reaktionen auf Markus Lanz, auf ein zugebenermaßen nicht glückliches Gespräch, hatten ja so eine Dimension.
TV SPIELFILM Wie gehen Sie damit um? Beruhigen sich die Zuschauer irgendwann von selbst?
Giovanni di Lorenzo Es sind ja nicht die Zuschauer, die sich aufregen, sondern es ist immer nur eine lautstarke Teilöffentlichkeit. Mich irritiert es schon, dass man oft allzu rasch diese Gruppe mit der Gesamtheit der Zuschauer gleichsetzt.
TV SPIELFILM Was ist die wichtigste Tugend eines Moderators?
Giovanni di Lorenzo Er muss natürlich zuhören können und in der Lage sein, verschiedene Tonlagen anzustimmen, um seinen Gast zu öffnen. Er muss sich gegebenenfalls mehr auf seine Intuition als auf die Vorbereitung verlassen. Schließlich sollte er auch nicht das Risiko scheuen, seinen eigenen Standpunkt oder seine Gemütslage zu verraten. Wenn der Gast spürt, dass man sich auf gleicher Augenhöhe unterhält, ist er auch eher bereit, etwas von sich preiszugeben.
TV SPIELFILM Zumal in Zeiten des Ego-Marketings, wo jeder vorgibt, das eigene Leben und die Karriere spielend zu meistern.
Giovanni di Lorenzo Das stimmt. Auch Gäste sind heute stärker darauf bedacht, sich keine Blöße zu geben. Es gibt bei "3nach9" kein Gesetz, das es ihnen verbietet, zu rauchen und zu trinken. Das macht aber keiner mehr, allenfalls ist noch ein kleines Gläschen drin. Ganz zu schweigen von den Gästen alter Zeiten, die nach dem Gang auf die Toilette ihre Batterien wie durch ein Wunder aufgeladen hatten.
TV SPIELFILM Man kann bei Youtube sehen, dass es früher auch vor den Kameras hoch her ging, zum Beispiel in einer Szene vom 19. Februar 1982, als der Sponti Fritz Teufel den damaligen Finanzminister Hans Matthöfer mit einer Wasserpistole beschießt, die mit Zaubertinte gefüllt war...
Giovanni di Lorenzo Da ist aber viel Legendenbildung im Spiel. Die Leute, die heute von den guten alten und wilden Zeiten bei "3nach9" schwärmen, sehen ja nur Ausschnitte. Schaut man sich ganze Sendungen an, wird einem klar, dass vieles sehr selbstbezogen war und am Publikum vorbei ging. Es ist auch kein Ausweis von Qualität, wenn die Quote einer Show niedrig ist.
Aber zurück zu der Szene mit Teufel und Matthöfer, von der heute so viele schwärmen: Können Sie mir erklären, worin dabei die Leistung des Moderators besteht? Da sind schlicht zwei Gäste aufeinander losgegangen. Das sagt etwas über die damalige Zeit aus, aber nichts über die Gesprächskultur oder die Fähigkeiten der Moderatoren. Karl-Heinz Wocker hat mal in einer Sendung einer Frau in den Finger gebissen. Das ist unbestreitbar ein einzigartiger Gefühlsausbruch des Moderators, aber gewiss keine journalistische Glanzleistung
TV SPIELFILM Aber wenn man mit Leuten spricht, an welche Szenen aus 40 Jahren "3nach9" sie sich erinnern, dann sind es meist hochgradig konfrontative Situationen, beispielsweise der Streit zwischen einem dubiosen Heiratsvermittler und einer Feministin über asiatische Prostituierte.
Giovanni di Lorenzo Das war schönster Trash, der aber nicht leicht zu imitieren ist, weil wir ja inzwischen die ganzen Nachmittagstalkshows der Privatsender hinter uns haben. Diese Sendungen haben den Streit, der sich früher bei "3nach9" gelegentlich aus der Situation ergab, systematisch herbeigeführt und zu ihrem Geschäftsprinzip gemacht, gelegentlich sogar mit falschen Gästen und abgesprochenen Dialogen.
TV SPIELFILM Aber nichts wäre langweiliger als eine Talkshow, in der sich alle einig sind.
Giovanni di Lorenzo Das stimmt. Deshalb glaube ich ja auch, dass den Talkshows mehr Konfrontation gut täte. Warum? Weil alles, was Spannung erzeugt, auch unterhaltsam ist. Unterhaltung muss nicht nur lustig sein, sie kann auch konfrontativ sein, überraschend und provozierend. Aber den Krawall zu inszenieren, um an die vermeintlich glorreichen Zeiten anzuknüpfen, in denen es die Moderatoren so richtig krachen ließen, das hielte ich für reichlich pathetisch.
TV SPIELFILM Wer sucht eigentlich die Gäste aus, die braven und die bösen?
Giovanni di Lorenzo Die Redaktion. Und die Moderatoren halten sich da raus. Das finde ich auch gut so.
TV SPIELFILM Der Medienwissenschaftler Harald Keller zitiert Sie in seiner Studie "Die Geschichte der Talkshow in Deutschland" mit dem Satz, dass bei "3nach9" die Gäste schon mal mit der Absicht ausgewählt wurden, eine Auseinandersetzung herbeizuführen. Wäre es da nicht besser, als Moderator die Streithähne selbst auszuwählen?
Giovanni di Lorenzo Ich glaube, dass man heute die Kontroversen, wenn sie gewünscht sind, auch organisieren muss. Man kennt die Positionen, und dann versucht man als Moderator, die unterschiedlichen Sichtweisen aufeinanderprallen zu lassen. Es ist außerdem immer noch möglich, dass sich ein Gast über den Beitrag eines anderen Gastes wahnsinnig aufregt, wie zum Beispiel bei Markus Lanz, als die Schauspielerin Katrin Sass den Ex-Dschungelcamp-Bewohner Peer Kusmagk anschrie. Aber so etwas kommt eher selten vor.
TV SPIELFILM Gibt es eine Grenze, wo Sie sagen: Diesen Gast möchte ich nicht in meiner Sendung haben?
Giovanni di Lorenzo Ich habe mich geweigert, den österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider zu interviewen. Denn egal, wie man es anpackt, in einer Unterhaltungssendung am Freitagabend kann das nur schiefgehen. Entweder du attackierst ihn, was mein natürlicher Impuls wäre, dann erzeugst du Solidarität mit ihm unter den Zuschauern. Oder du behandelst ihn einigermaßen höflich, dann wirst du von den anderen angegriffen, die sich beschweren, dass man jemandem wie Haider ein Forum bietet.
Das kann nicht gutgehen. Es kommt also gelegentlich vor, dass ich mein Veto einlege. Einmal hatte ich nach der Show einen Schauspieler, der nur mit Mühe davon abgehalten werden konnte, mich zu verprügeln. Seitdem hält sich meine Lust, ihn noch mal in meiner Show zu haben, in sehr überschaubaren Grenzen.
TV SPIELFILM An Talkshows wird oft kritisiert, dass man immer wieder dieselben Gäste sieht. Ist das auch für "3nach9" ein Problem?
Giovanni di Lorenzo Manchmal. Aber wir laden im Unterschied zu vielen anderen Talkshows immer wieder Talk-Neulinge ein. Oder wir haben Gäste wie Matthias Brandt, die in keine andere Sendung gehen.
So etwas empfinde ich als großen Glücksfall. Ich kann die Kritik an den ewig gleichen Gesichtern nachvollziehen. Was allerdings ein wenig überrascht: Genau diese Personen, die das Fernsehpublikum angeblich nicht mehr sehen mag, treiben die Einschaltquote nach oben.
TV SPIELFILM Welchen Gast hätten Sie gern in Ihrer Sendung?
Giovanni di Lorenzo Boris Becker wäre ein Kandidat.
TV SPIELFILM Viele Leute fänden es besser, wenn er mal nicht redet.
Giovanni di Lorenzo Ich würde ihn gern fragen, wie es kommt, dass er zu einer Karikatur seiner selbst werden konnte. Ich bin mir auch sicher, dass man mit ihm darüber reden könnte. Er würde diese Charakterisierung gewiss als ungerecht empfinden, und trotzdem ist es unser aller Wahrnehmung. Und vielen tut es weh, ihn so zu sehen, weil sie ihn mal sehr bewundert haben. Ein traumhafter Talkgast wäre bestimmt auch Udo Jürgens. Aber der ist schwer in eine Sendung zu bekommen, die er sich mit anderen Gästen teilen muss.
TV SPIELFILM Findet zwischen den Talkshows ein Wettbewerb um die attraktivsten Gäste statt?
Giovanni di Lorenzo Absolut. Es gibt Gäste, die schon für das nächste Jahr gebucht sind, oft auch exklusiv.
TV SPIELFILM In der "Zeit", deren Chefredakteur Sie sind, schrieb einer Ihrer klugen Kollegen sinngemäß, Talkshow-Moderatoren wollten ihren Gästen Peinliches entlocken. Wie sieht das der "3nach9"-Moderator Giovanni di Lorenzo?
Giovanni di Lorenzo Ich kann nur für mich sprechen, aber mein Ehrgeiz ist ein anderer. Ich möchte einem Gast, der in der Regel ein Medienprofi ist und sich geschickt zu vermarkten versteht, etwas entlocken, was er so nicht sagen wollte. Etwas Authentisches, das ihn in einem unerwarteten Licht erscheinen lässt. Fürs Fernsehen gilt: Der Moment der Authentizität rührt, berührt und unterhält.
TV SPIELFILM In der Jubiläumssendung lösen sie die Anordnung der Gäste um einen runden Tisch auf und kehren zu den Anfängen von "3nach9" zurück, indem sie die Gäste im Publikum platzieren. Ein Modell für die Zukunft?
Giovanni di Lorenzo Ich glaube, wir haben in den 25 Jahren, in denen ich bei "3nach9" war, schon jede erdenkliche Konstellation der Verteilung von Gästen ausprobiert. Die Jubiläumssendung ist jedenfalls total retro. Es gibt drei Moderatoren und auch wieder jemanden, der wie in alten Zeiten das Gesprochene kommentiert.
TV SPIELFILM Ab wann wird es "3nach9" nur noch im Internet geben?
Giovanni di Lorenzo Ehrlich gesagt: keine Ahnung. Hauptsache, es wird gesehen, und es gibt jemanden, der es bezahlt.
Rainer Unruh
3nach9
FR 14.11. N3 22.00
Obwohl heute Abgabetag ist und er bis zwei Uhr morgens in der Redaktion ausharren muss, wirkt der 55-Jährige entpannt. Nur gelegentlich kann er ein Gähnen nicht unterdrücken, während er im Schneidersitz auf der Couch sitzt und zur Abwechslung mal keine Fragen stellt, sondern beantwortet.
TV SPIELFILM "3nach9" wurde von prominenten Moderatoren geprägt wie Wolfgang Menge, Gert von Paczensky und Lea Rosh. Sind das für Sie auch 2014 noch Vorbilder?
Giovanni di Lorenzo Meine Bewunderung für sie ist ungebrochen. Ich will allerdings nicht verhehlen, dass sie mir früher gelegentlich auch auf den Geist gegangen sind, weil ich sie oft als selbstgerecht empfunden habe. Aber je länger ich selbst moderiere, desto mehr weiß ich auch zu schätzen, was meine Vorgänger konnten.
TV SPIELFILM Zum Beispiel?
Giovanni di Lorenzo Dass sie sich überhaupt keine Gedanken darüber gemacht haben, ob die Art, wie sie Fragen stellen, dem Zuschauer gefällt oder nicht. Bei allem, was sie machten, war die Persönlichkeit des Moderators zu spüren. Es waren Moderationen ohne Reiserückkehrversicherung.
TV SPIELFILM Und das ist heute nicht mehr gefragt?
Giovanni di Lorenzo Jedenfalls nicht durchgehend. Ich merke, wie sich auch viele geschätzte Kollegen darüber sorgen, bloß nicht die eigene Marke zu beschädigen.
TV SPIELFILM Aber um eine eigene Marke zu sein, muss man doch erst einmal eigenes Profil zeigen...
Giovanni di Lorenzo Das stimmt, aber es ist eben eine Tatsache, dass heute die Angst, sich zu exponieren, ungleich größer ist als früher. Und das hat nichts mit einer individuellen Charakterschwäche zu tun, sondern mit dem Wandel der Medien: Wenn sie heute im Fernsehen anecken, dann kann das im Internet einen Shitstorm auslösen, der ihre berufliche Existenz bedroht. Das wirkt einschüchternd.
TV SPIELFILM Aber regen sich die meisten Zuschauer nicht eher über Langweiler auf, die alles lächelnd wegmoderieren?
Giovanni di Lorenzo Ja und nein. Einerseits gibt es eine Sehnsucht nach den alten Haudegen von früher, die in den Shows für Zoff und Stimmung sorgten, andererseits ist man sehr schnell bereit, seine Empörung auf drastische Weise im Internet zu verbreiten, wenn es einem gerade mal nicht passt.
TV SPIELFILM Merken Sie das auch bei "3nach9"?
Giovanni di Lorenzo Du bekommst es als Moderator durch die Reaktionen im Internet in Echtzeit mit, ob du gerade deine Reputation verspielt. Die Reaktionen auf Markus Lanz, auf ein zugebenermaßen nicht glückliches Gespräch, hatten ja so eine Dimension.
TV SPIELFILM Wie gehen Sie damit um? Beruhigen sich die Zuschauer irgendwann von selbst?
Giovanni di Lorenzo Es sind ja nicht die Zuschauer, die sich aufregen, sondern es ist immer nur eine lautstarke Teilöffentlichkeit. Mich irritiert es schon, dass man oft allzu rasch diese Gruppe mit der Gesamtheit der Zuschauer gleichsetzt.
TV SPIELFILM Was ist die wichtigste Tugend eines Moderators?
Giovanni di Lorenzo Er muss natürlich zuhören können und in der Lage sein, verschiedene Tonlagen anzustimmen, um seinen Gast zu öffnen. Er muss sich gegebenenfalls mehr auf seine Intuition als auf die Vorbereitung verlassen. Schließlich sollte er auch nicht das Risiko scheuen, seinen eigenen Standpunkt oder seine Gemütslage zu verraten. Wenn der Gast spürt, dass man sich auf gleicher Augenhöhe unterhält, ist er auch eher bereit, etwas von sich preiszugeben.
TV SPIELFILM Zumal in Zeiten des Ego-Marketings, wo jeder vorgibt, das eigene Leben und die Karriere spielend zu meistern.
Giovanni di Lorenzo Das stimmt. Auch Gäste sind heute stärker darauf bedacht, sich keine Blöße zu geben. Es gibt bei "3nach9" kein Gesetz, das es ihnen verbietet, zu rauchen und zu trinken. Das macht aber keiner mehr, allenfalls ist noch ein kleines Gläschen drin. Ganz zu schweigen von den Gästen alter Zeiten, die nach dem Gang auf die Toilette ihre Batterien wie durch ein Wunder aufgeladen hatten.
TV SPIELFILM Man kann bei Youtube sehen, dass es früher auch vor den Kameras hoch her ging, zum Beispiel in einer Szene vom 19. Februar 1982, als der Sponti Fritz Teufel den damaligen Finanzminister Hans Matthöfer mit einer Wasserpistole beschießt, die mit Zaubertinte gefüllt war...
Giovanni di Lorenzo Da ist aber viel Legendenbildung im Spiel. Die Leute, die heute von den guten alten und wilden Zeiten bei "3nach9" schwärmen, sehen ja nur Ausschnitte. Schaut man sich ganze Sendungen an, wird einem klar, dass vieles sehr selbstbezogen war und am Publikum vorbei ging. Es ist auch kein Ausweis von Qualität, wenn die Quote einer Show niedrig ist.
Aber zurück zu der Szene mit Teufel und Matthöfer, von der heute so viele schwärmen: Können Sie mir erklären, worin dabei die Leistung des Moderators besteht? Da sind schlicht zwei Gäste aufeinander losgegangen. Das sagt etwas über die damalige Zeit aus, aber nichts über die Gesprächskultur oder die Fähigkeiten der Moderatoren. Karl-Heinz Wocker hat mal in einer Sendung einer Frau in den Finger gebissen. Das ist unbestreitbar ein einzigartiger Gefühlsausbruch des Moderators, aber gewiss keine journalistische Glanzleistung
TV SPIELFILM Aber wenn man mit Leuten spricht, an welche Szenen aus 40 Jahren "3nach9" sie sich erinnern, dann sind es meist hochgradig konfrontative Situationen, beispielsweise der Streit zwischen einem dubiosen Heiratsvermittler und einer Feministin über asiatische Prostituierte.
Giovanni di Lorenzo Das war schönster Trash, der aber nicht leicht zu imitieren ist, weil wir ja inzwischen die ganzen Nachmittagstalkshows der Privatsender hinter uns haben. Diese Sendungen haben den Streit, der sich früher bei "3nach9" gelegentlich aus der Situation ergab, systematisch herbeigeführt und zu ihrem Geschäftsprinzip gemacht, gelegentlich sogar mit falschen Gästen und abgesprochenen Dialogen.
TV SPIELFILM Aber nichts wäre langweiliger als eine Talkshow, in der sich alle einig sind.
Giovanni di Lorenzo Das stimmt. Deshalb glaube ich ja auch, dass den Talkshows mehr Konfrontation gut täte. Warum? Weil alles, was Spannung erzeugt, auch unterhaltsam ist. Unterhaltung muss nicht nur lustig sein, sie kann auch konfrontativ sein, überraschend und provozierend. Aber den Krawall zu inszenieren, um an die vermeintlich glorreichen Zeiten anzuknüpfen, in denen es die Moderatoren so richtig krachen ließen, das hielte ich für reichlich pathetisch.
TV SPIELFILM Wer sucht eigentlich die Gäste aus, die braven und die bösen?
Giovanni di Lorenzo Die Redaktion. Und die Moderatoren halten sich da raus. Das finde ich auch gut so.
TV SPIELFILM Der Medienwissenschaftler Harald Keller zitiert Sie in seiner Studie "Die Geschichte der Talkshow in Deutschland" mit dem Satz, dass bei "3nach9" die Gäste schon mal mit der Absicht ausgewählt wurden, eine Auseinandersetzung herbeizuführen. Wäre es da nicht besser, als Moderator die Streithähne selbst auszuwählen?
Giovanni di Lorenzo Ich glaube, dass man heute die Kontroversen, wenn sie gewünscht sind, auch organisieren muss. Man kennt die Positionen, und dann versucht man als Moderator, die unterschiedlichen Sichtweisen aufeinanderprallen zu lassen. Es ist außerdem immer noch möglich, dass sich ein Gast über den Beitrag eines anderen Gastes wahnsinnig aufregt, wie zum Beispiel bei Markus Lanz, als die Schauspielerin Katrin Sass den Ex-Dschungelcamp-Bewohner Peer Kusmagk anschrie. Aber so etwas kommt eher selten vor.
TV SPIELFILM Gibt es eine Grenze, wo Sie sagen: Diesen Gast möchte ich nicht in meiner Sendung haben?
Giovanni di Lorenzo Ich habe mich geweigert, den österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider zu interviewen. Denn egal, wie man es anpackt, in einer Unterhaltungssendung am Freitagabend kann das nur schiefgehen. Entweder du attackierst ihn, was mein natürlicher Impuls wäre, dann erzeugst du Solidarität mit ihm unter den Zuschauern. Oder du behandelst ihn einigermaßen höflich, dann wirst du von den anderen angegriffen, die sich beschweren, dass man jemandem wie Haider ein Forum bietet.
Das kann nicht gutgehen. Es kommt also gelegentlich vor, dass ich mein Veto einlege. Einmal hatte ich nach der Show einen Schauspieler, der nur mit Mühe davon abgehalten werden konnte, mich zu verprügeln. Seitdem hält sich meine Lust, ihn noch mal in meiner Show zu haben, in sehr überschaubaren Grenzen.
TV SPIELFILM An Talkshows wird oft kritisiert, dass man immer wieder dieselben Gäste sieht. Ist das auch für "3nach9" ein Problem?
Giovanni di Lorenzo Manchmal. Aber wir laden im Unterschied zu vielen anderen Talkshows immer wieder Talk-Neulinge ein. Oder wir haben Gäste wie Matthias Brandt, die in keine andere Sendung gehen.
So etwas empfinde ich als großen Glücksfall. Ich kann die Kritik an den ewig gleichen Gesichtern nachvollziehen. Was allerdings ein wenig überrascht: Genau diese Personen, die das Fernsehpublikum angeblich nicht mehr sehen mag, treiben die Einschaltquote nach oben.
TV SPIELFILM Welchen Gast hätten Sie gern in Ihrer Sendung?
Giovanni di Lorenzo Boris Becker wäre ein Kandidat.
TV SPIELFILM Viele Leute fänden es besser, wenn er mal nicht redet.
Giovanni di Lorenzo Ich würde ihn gern fragen, wie es kommt, dass er zu einer Karikatur seiner selbst werden konnte. Ich bin mir auch sicher, dass man mit ihm darüber reden könnte. Er würde diese Charakterisierung gewiss als ungerecht empfinden, und trotzdem ist es unser aller Wahrnehmung. Und vielen tut es weh, ihn so zu sehen, weil sie ihn mal sehr bewundert haben. Ein traumhafter Talkgast wäre bestimmt auch Udo Jürgens. Aber der ist schwer in eine Sendung zu bekommen, die er sich mit anderen Gästen teilen muss.
TV SPIELFILM Findet zwischen den Talkshows ein Wettbewerb um die attraktivsten Gäste statt?
Giovanni di Lorenzo Absolut. Es gibt Gäste, die schon für das nächste Jahr gebucht sind, oft auch exklusiv.
TV SPIELFILM In der "Zeit", deren Chefredakteur Sie sind, schrieb einer Ihrer klugen Kollegen sinngemäß, Talkshow-Moderatoren wollten ihren Gästen Peinliches entlocken. Wie sieht das der "3nach9"-Moderator Giovanni di Lorenzo?
Giovanni di Lorenzo Ich kann nur für mich sprechen, aber mein Ehrgeiz ist ein anderer. Ich möchte einem Gast, der in der Regel ein Medienprofi ist und sich geschickt zu vermarkten versteht, etwas entlocken, was er so nicht sagen wollte. Etwas Authentisches, das ihn in einem unerwarteten Licht erscheinen lässt. Fürs Fernsehen gilt: Der Moment der Authentizität rührt, berührt und unterhält.
TV SPIELFILM In der Jubiläumssendung lösen sie die Anordnung der Gäste um einen runden Tisch auf und kehren zu den Anfängen von "3nach9" zurück, indem sie die Gäste im Publikum platzieren. Ein Modell für die Zukunft?
Giovanni di Lorenzo Ich glaube, wir haben in den 25 Jahren, in denen ich bei "3nach9" war, schon jede erdenkliche Konstellation der Verteilung von Gästen ausprobiert. Die Jubiläumssendung ist jedenfalls total retro. Es gibt drei Moderatoren und auch wieder jemanden, der wie in alten Zeiten das Gesprochene kommentiert.
TV SPIELFILM Ab wann wird es "3nach9" nur noch im Internet geben?
Giovanni di Lorenzo Ehrlich gesagt: keine Ahnung. Hauptsache, es wird gesehen, und es gibt jemanden, der es bezahlt.
Rainer Unruh
3nach9
FR 14.11. N3 22.00