Das Leben ist gefährlich. Diese schlichte Wahrheit nimmt in den Köpfen von uns Deutschen einen sehr zentralen Platz ein. Oder warum sonst versuchen wir, uns gegen jede nur erdenkliche Unbill zu versichern?

In "Frau Temme sucht das Glück" treibt die fiktionale "Rheinische" Versicherung den Umgang mit dieser Macke auf die Spitze. Um neue Kunden zu erreichen, wird fortan auch gegen die absurdesten Ängste versichert. Meike Droste fällt als Analystin die Aufgabe zu, die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, dass die Versicherung doch mal zahlen muss. Ein Fall, den Martin Brambach als ihr Chef möglichst ausschließen will.

Ein Gespräch über typisch Deutsches wie Fußgängerzonen, soziale Netze und den Hang zur Selbstkritik.
Wir Deutsche schließen gern Versicherungen ab. Weil wir ein Volk von Angsthasen sind?

Martin Brambach: Weil wir auf die Versicherungsvertreter hereinfallen! Ich hatte eine Zeit lang zwei Haftpflichtversicherungen, ohne es zu merken. Und sogar mal eine Körperteileversicherung.

Meike Droste: Ist nicht dein Ernst!

Martin Brambach: Doch. Ein Haustürgeschäft, der Mann war so dramatisch: Sie kommen unters Auto, verlieren einen Arm - das zahlt Ihnen keiner!
Hat Jahre gedauert, bis ich das fristgerecht
gekündigt hatte.

Meike Droste: Ich habe nur zwei Versicherungen.
Die helfen einfach nicht gegen Ängste. (lacht)

In den USA haben 60 Millionen Menschen keine Krankenversicherung. Viele fühlen sich durch Obamacare bevormundet.

Martin Brambach: Was für uns sozial ist, ist da für viele schon kommunistisch. Wir haben einfach eine andere soziale Tradition in Europa. Der Solidaritätsgedanke. Das gibt es sonst nirgendwo
auf der Welt, so ein dichtes soziales Netz.

Wann haben Sie sich zum letzten Mal so richtig deutsch gefühlt?

Meike Droste: Als ich neulich in Köln durch die Fußgängerzone ging. Fiel mir auf, weil es das in Berlin nicht so gibt, so ein richtiges Stadtzentrum.
Eine Fußgängerzone ist total deutsch, für mich ein Abbild der Bundesrepublik. Ich ertappe mich auch immer wieder dabei, dass ich dem Klischee des rechtschaffenen Deutschen entspreche, pünktlich
und zuverlässig sein und so.

Martin Brambach: Ich war neulich für einen Drehtag in London. Verschiedene Leute am Set sagten mir, sie würden Deutschland lieben, weil es so sauber
sei. Fand ich verblüffend. Und unser soziales Netz wurde auch beschrieben. Das ist in England sehr viel schlechter.

Ist es gut, deutsch zu sein?

Meike Droste: Es ist ein Glück, hier geboren zu sein. Wir sind sehr privilegiert.

Martin Brambach: Mein Gefühl zu Deutschland hat sich sehr verändert. In den Neunzigern war es noch ganz anders. Da hat Helmut Kohl Deutschland
vertreten. Wir waren eher ein bisschen tumb, zeigten gern, dass wir Geld haben. Aber als Frau Merkel sagte: Wir schaffen das, und dann sah man diese Bilder vom Münchner Hauptbahnhof, da saß ich vorm Fernseher und mir liefen die Tränen -
jetzt schon wieder! (bekommt tatsächlich
feuchte Augen) Und ich habe mich gefreut, Deutscher zu sein.

Meike Droste: Ging mir genauso.

Frau Temme sucht das Glück - Sie auch? Oder reicht Zufriedenheit?

Martin Brambach: Interessante Frage. Ich glaube, das Glück ist ein Weg. Man muss es nicht suchen, man muss lernen, Glück aus den Dingen zu ziehen,
die man zur Verfügung hat.

Glück ist kein Zustand? Nicht einer, in dem alles perfekt ist?

Meike Droste: In unserer Gesellschaft will man immer das Optimum haben, und dann soll es auch noch die ganze Zeit vorhanden sein. Vielleicht ist
man eher glücklich, wenn man nicht immer da hinguckt, wo der Mangel herrscht, sondern sich eher ansieht, was schon alles da ist.

Martin Brambach: Mit Kindern hat man das oft. Beispiel: Ich muss mit meinem Kleinen um 14 Uhr irgendwo sein. Schaffen wir nie, weil der auf dem
Weg noch so viele Dinge zu tun hat. Ein Stein ist interessant. Könnte ja eine Versteinerung sein. Guckt man sich an, nimmt man mit nach Hause,
redet drüber. Das ist für mich Glück. Nicht die Million im Lotto.
MEIKE DROSTE
kennt das TV-Publikum vor allem aus der Crime-Comedy "Mord mit Aussicht". Theatergängern ist die 36-Jährige bereits seit 15 Jahren ein Begriff.

MARTIN BRAMBACH
...(49) ist Spezialist für garstige Nebenrollen, die Dutzende TV- und Kinofilme veredelten. Zurzeit
besonders populär als Dresdner "Tatort"-Kommissar
Kann man Glück messen? Der Glücksindex der UNO speist sich aus Faktoren wie Selbstwahrnehmung, Sozialsysteme, Lebenserwartung, Einkommen oder Korruption. Quatsch?

Meike Droste: In Bhutan steht in der Verfassung,
dass der König dafür verantwortlich ist, dass sein Volk glücklich ist. Oberstes Staatsziel ist Glück. Das
ist doch schon mal herrlich.

Aber Sie trauen der Forschung nicht?

Martin Brambach: Nicht wirklich.

Meike Droste: Mir kommt das komischerweise auch wieder sehr deutsch vor. Wie ein Versuch, die Fragen, die die Menschen schon ewig beschäftigen,
in eine mit dem Verstand messbare Form zu bringen. Fragen nach einem höheren Sinn, nach Schicksal. In der Serie versuchen wir, Treue zu berechnen. Wie soll man das denn machen?

"Frau Temme" ist eine Dramedy, eine Mischung aus Drama und Comedy...

Meike Droste: Ein interessantes Genre, weil es so nah am Leben ist. Tatsächlich geschehen einem die lustigsten Dinge genau dann, wenn es einem am schlechtesten geht und man eigentlich nur heulen will.

Ging es am Set eher lustig oder eher ernst zu?

Martin Brambach: Das waren die lustigsten Dreharbeiten, die ich je gemacht habe. Ich hoffe, dass sich das auch auf die Zuschauer überträgt.

Ist es ein Indikator für Qualität, wenn die Dreharbeiten Spaß machen?

Meike Droste: Hmm, wenn alle so wahnsinnig
viel Spaß haben, geht bei mir eine Alarmanlage an - Schritt zurücktreten, angucken: Stimmt das wirklich?

Martin Brambach: Ich bin da pragmatischer. Es ist meine Lebenszeit, ganz unabhängig vom Produkt. Und es ist einfach schön, wenn man Freude hat.
Man hat da auch eine kleine Bühne. Die Leute vom Team, die zugucken, sind das Publikum. Und wenn die alle lachen, stachelt einen das natürlich an. Man muss mich oft ein bisschen
bremsen.
Sie kommen beide vom Theater. Ist man mit Familie besser beim Fernsehen aufgehoben, weil man mehr Geld verdienen kann?

Martin Brambach: Nee, weil es 20 000 oder 30 000 Kollegen gibt, die gern vom Fernsehen leben wollen, aber höchstens 200 oder 300 können das. Wenn man einen Job hat, verdient man schon ein paar Euro mehr als ein Theaterschauspieler. Das bedeutet aber nicht, dass man davon leben kann.

Meike Droste: Ich fühle mich nach wie vor eher im Theater zu Hause. Man taucht tiefer in die jeweilige Welt ein, trägt mehr Verantwortung für seine Figur. Die wird einem beim Film halbwegs entzogen. Ich habe keinen Einfluss auf das, was im Schnitt geschieht, welche Musik am Ende über der Szene liegt. Für Schauspielerinnen ist die Situation auch noch schlechter als für Schauspieler.

Warum das?

Meike Droste: Es gibt viel mehr Schauspielerinnen
auf dem Markt, aber gleichzeitig viel weniger Frauenrollen. Das Thema Alter und das Aussehen spielen auch eine andere Rolle. Zu alt oder
zu dick - und schon dürfen wir nicht mehr vor die Kamera.

Sie werden oft gelobt. Sind Sie selbst auch zufrieden mit Ihrem Spiel?

Martin Brambach: Nee.

Meike Droste: Immer wenn ich weiß, ich muss jetzt was anschauen, wo ich mitspiele, muss ich mich sehr konzentrieren. Das ist mir so peinlich.

Martin Brambach: Ich habe regelrecht Angst. Ich sitze schweißnass davor.

Meike Droste: Sich selbst so überkritisch zu sehen finde ich übrigens auch total deutsch. Ich übe gerade, innerlich einen Schritt zurückzutreten, wenn ich mich selbst ansehen muss. Wie würde ich urteilen, wenn die Person auf dem Bildschirm nicht ich wäre?

Ist was falsch, wenn ein Künstler mit seiner Leistung zufrieden ist?

Martin Brambach: Kommt drauf an. Wenn man nicht selbstkritisch ist, entwickelt man sich nicht weiter: Das hast du jetzt zum zwanzigsten Mal so gemacht,
es funktioniert, die Leute lachen. Aber es langweilt mich. Also mach was anderes. Man lernt vor allem
aus Fehlern.

Meike Droste: Fehler sind der Knaller. Wenn man erst einmal akzeptiert, dass Fehler total in Ordnung sind, dann kann daraus etwas sehr Gutes erwachsen.

Martin Brambach: In diesem Sinne: Lasst uns scheitern!

Interview: Frank Aures