Wenn Christian Petzold einen neuen Film in die Kinos bringt, wird darüber gesprochen. Nicht nur in Deutschland. Weltweit diskutiert und analysiert man Werke wie "Die innere Sicherheit", "Barbara" oder das Holocaust-Kammerspiel "Phoenix". Petzold ist wichtigster Vertreter der sogenannten Berliner Schule.

Sie bringt nüchtern-realistische Filme hervor, die im Idealfall auf ebensolche Art zustande kommen: "Mein Traum ist, von neun bis fünf zu arbeiten", sagt Petzold. "Die Kinder in die Kita bringen, ins Studio gehen und Filme machen. Wie in einer Fabrik. Einer guten Fabrik." Vor zwei Jahren wurde der Berliner Schule im ultra-renommierten New Yorker Metropolitan Museum of Modern Art sogar eine Retrospektive gewidmet. Ein Kunstfilmer reinsten Wassers ist dieser Mann also. Und der hat jetzt einen Sonntagskrimi gedreht?
Sein "Polizeiruf 110: Kreise" ist, verglichen mit anderen Filmen der Reihe, ungewöhnlich. Es gibt keine Filmmusik, keine Action. Dafür lange Einstellungen, eine brillante Geschichte und tolle Dialoge. Wer sich auskennt, findet auch immer wieder Verweise auf Filme berühmter Regisseure, die Petzold, der Filmfan, verehrt.

Regisseur als Zuschauer

"Ich bin selbst 99,99 Prozent meines Lebens Zuschauer. Und ich leide, wenn ich mit Musik oder Effekten zugeknallt werde oder wenn Leute dummes Scheißzeug reden", sagt Petzold und gibt dafür sofort ein Beispiel: "Solche Dialogkaskaden: Warum bist du so bleich? Ich war doch 14 Jahre im Gefängnis. Ach, stimmt ja! Du hattest ja die Frau mit dem Hammer umgebracht. Aber du warst es doch eigentlich gar nicht, oder?" Publikumsverachtend findet er so was.

"Ich sehe mir jeden Sonntag den Krimi an. Ein guter ,Tatort‘ ist eine Zustandsbeschreibung der Bundesrepublik. Wie sind wir? Wie leben wir? Man lernt etwas über sein Land", sagt Petzold. Bei ihm sprechen sie von "Kreisen", dem Entrinnenwollen aus dem immergleichen Alltag, notfalls mit Gewalt.

Die Orte, an denen das besprochen wird, kennt man, sie haben kaum Schauwert: griechisches Restaurant, preiswertes Hotel am Stadtrand und immer wieder Autos von innen. Es ist ungewohnt, unsere normale Lebenswelt in all ihrer Trivialität und ohne Filmmusik-Glutamat vorgeführt zu bekommen. Aber es lohnt sich, sich darauf einzulassen. Denn auch hier gibt es Poesie und Witz zu entdecken. Und das ist dann wieder ungewohnt... schön.

Etwa wenn nachts im Kripogebäude plötzlich klassische Musik durch die Gänge schallt, weil, wie von Meuffels seiner verdutzten Kollegin erklärt, der kulturliebende Nachtpförtner seinen Dienst aufgenommen hat. Oder wenn die Kontrollinstanz Rauchmelder mit einem Gummihandschuh deaktiviert wird, um sich darunter in Ruhe eine Zigarette anzünden zu können. Ein Trick, den die Schauspieler während der Dreharbeiten lernten und sofort in die Handlung einbrachten.

Solche Ideen werden von Petzold, der seine Filme als Gruppenarbeiten begreift, bewusst gefördert. "Die Schauspieler müssen bei mir nicht anschaffen gehen", sagt der Regisseur. "Die spielen füreinander. Als Zuschauer sieht man das Gefühl, man muss nicht extra darauf hingewiesen werden." Das erstaunliche an den reduzierten, unauffälligen Szenen, die so entstehen: Sie wirken nach, bleiben viel länger im Gedächtnis als noch eine Verfolgungsjagd oder ein weiterer schlauer Psychopathen-Killer.

Und genau das will Petzold erreichen: "Ein Gespräch und Nachdenken sollen sie auslösen. Nicht die Zeit totschlagen, sondern aufschlagen." Ein Kinofilm beschäftigt Christian Petzold mit Vorbereitung und Pressearbeit drei Jahre. "Bei ‚Phoenix‘ (lief 2014 im Kino) war das wieder so. Ich musste durch die Welt fahren und den ganzen Nationalsozialismus erklären." Der kleinere Rahmen eines "Polizeiruf" hat ihm so gut gefallen, dass er noch einen zweiten drehen wird. Das Drehbuch ist schon fertig. Es soll um Werwölfe gehen.

Frank I. Aures

>>> Polizeiruf 110: Kreise
SO 28.6. Das Erste 20.15 Uhr