Nach komischen Rollen in Serien wie "Doctor's Diary" und TV-Filmen wie "Putzfrau Undercover" und "Männer ticken, Frauen anders" kommt uns Julia Koschitz in letzter Zeit eher dramatisch. Im Kino glänzt die in Brüssel geborene Schauspielerin mit österreichischem Pass in der Literaturverfilmung "Ruhm" (Kinostart: 22.3.2012), in Alexander Dierbachs starkem ARD-
Drama "Uns trennt das Leben" spielt sie eindrucksvoll eine Kinderpsychologin, die ein tragischer Todesfall beschäftigt, bei dem Opfer und Täter Kinder sind.

TV SPIELFILM: Im Film geht es darum, ob ein Achtjähriger eine Sechsjährige mit Vorsatz tötete und wer die Schuld hat. Letztlich bleibt die Frage offen. Finden Sie das gut?

JULIA KOSCHITZ
Ja. Die Schuldfrage ist immer ein schwieriges Thema in so einem Fall - und bei einem Kind erst recht. Schon im Drehbuch hat mir gefallen, dass die Frage nach Schuld unbeantwortet bleibt.

TV SPIELFILM: Warum?

JULIA KOSCHITZ
Weil man sie eigentlich nicht beantworten kann. Selbst die Mutter, die ja für den Seelenzustand des Kindes zu einem großen Teil mitverantwortlich gemacht wird, soll hier nicht schuldig gesprochen werden.
TV SPIELFILM: Anneke Kim Sarnau spielt diese Mutter grandios, ebenso Jasmin Schwiers die Mutter des toten Kindes. Hätte eine dieser Rollen Sie auch gereizt?

JULIA KOSCHITZ
Ehrlich gesagt habe ich mir diese Frage nicht gestellt. Solche Rollen sind oft verführerisch, weil man glaubt, mehr zeigen zu können. Aber bis dahin hatte ich nicht viele Charaktere gespielt, die eher still und zurückgehalten sind, hintergründig, ja fast unsichtbar.

TV SPIELFILM: Aber auch in Ihrer Rolle beschäftigt Sie die Schuldfrage.

JULIA KOSCHITZ
Mir fällt dazu "The Descendants" ein. George Clooney konfrontiert seine sterbende Frau mit seiner großen Wut, weil sie ihn betrogen hat, überschüttet sie mit Vorwürfen, zugleich aber auch mit seiner Liebe. Solch ambivalente Gefühle gehören zu uns allen.
TV SPIELFILM: Wie wählen Sie Ihre Rollen aus?

JULIA KOSCHITZ
Ausschlaggebend ist immer das Buch. Nach zehn Seiten kriege ich ein Gespür dafür. Meine Reihenfolge ist: das Buch, der Regisseur, die Kollegen, die Rolle. Ich entscheide mich genauso oft dafür wie dagegen.

TV SPIELFILM: Und wenn Sie sich dafür entschieden haben, wann ist das Ziel erreicht?

JULIA KOSCHITZ
Das klingt vielleicht hochtrabend, aber ich liebe Schauspieler, bei denen es nicht mehr Spielen ist, sondern Sein. Und das kann eigentlich nur gelingen, wenn man so gut über seine Figur Bescheid weiß, dass man in einem Moment, in der Szene alles Erdachte über Bord wirft.

Volker Bleeck