Sie geht weiter, immer weiter, die Suche nach den Stars unter uns. Das vorzeitige Ende von RTLs ungeliebtem "Rising Star" ist zwar ein deutliches Zeichen, dass der Castingshow-Boom absehbar zu Ende geht.

Ab 8.10. wird trotzdem bei "The Taste" (Sat.1) wieder nach einem Meisterkoch gesucht und ab 9.10. bei Pro Sieben erneut "The Voice of Germany". Neue Coaches sind neben Silbermond-Sängerin Stefanie Kloß und Rückkehrer Rea Garvey auch zwei Mitglieder der Fantastischen Vier: Smudo und Michi Beck.
Die Rapper feiern in diesem Jahr 25-jähriges Bandjubiläum und nehmen bei Fragen zum Musikgeschäft längst kein Blatt mehr vor den Mund. Auch nicht im TV SPIELFILM-Interview.

TV SPIELFILM: Ihr habt die ersten Wochen Casting hinter euch. Wie gefällt euch der neue Job?

MICHI BECK Eine Supershow! Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass mich das so mitreißt nach 25 Jahren Showbusiness. Das ist eine klassische Musikerkarriere im Fernsehschnellformat. Erst hört man ein Demotape, man weiß nicht, was sich dahinter verbirgt, dann trifft man denjenigen, und dann erarbeitet man etwas zusammen.

Welche Ratschläge gebt ihr den Talenten in eurem Team?

MICHI BECK Das kann man nicht pauschalisieren. Der eine steht selbstsicher da, hat aber eine wacklige Stimme, der andere kann gut singen, ist aber wahnsinnig schüchtern. Es gibt nicht den einen Tipp, es gibt Hunderte. Manche brauchen nur ein paar, andere ein paar mehr.

Muss man heute, etwa über die sozialen Netzwerke, mehr von seiner Person preisgeben als früher?

SMUDO Früher kam man mit dem Tonträgerverkauf ganz gut zurande. Heute muss man viel mehr machen, um Aufmerksamkeit zu generieren, eventuell auch über solche Kanäle.

MICHI BECK Es gibt aber auch Riesenstars wie Herbert Grönemeyer, die es geschafft haben, nur sehr wenig Privates preiszugeben. Auch wir haben über all die Jahre gewisse Dinge vermieden. Das muss man einfach für sich selbst entscheiden.

Ihr habt vor 25 Jahren eure Karriere begründet, indem ihr mit deutschem Rap gegen den Strom geschwommen seid. In einer Castingshow singt man Sachen von anderen nach. Ist das wirklich ein guter Karrierestart?

SMUDO Das sind doch zwei völlig verschiedene Sachen. Das eine ist Musik, das andere ist Fernsehunterhaltung.

Wie meinst du das?

SMUDO Wenn eine Band musikalisch erfolgreich ist, hat sie eine bestimmte Zielgruppe, Leute, die sich für die Musik interessieren und Tickets und CDs kaufen. Und dann gibt es solche, die die Emotion der Musiker im Fernsehen konsumieren wollen, die Drama sehen wollen. Und im Zuge dieses Konsumierens kaufen sie dann auch mal die Platte. Aber die hören Musik ganz anders, als ein Musikfan das macht.

Aber trotzdem soll doch ein Musikstar gefunden werden.

SMUDO Wo steht, dass ein Star gefunden werden soll?

Na ja, eine bekannte Castingshow heißt immerhin "Deutschland sucht den Superstar".

SMUDO Das ist aber nicht "The Voice"! Am Ende wird Emotion und Drama gezeigt. Die Musik und die Künstler sind das Vehikel dafür. Die Teilnehmer singen keine eigenen Lieder, sondern Hits aus unserem kollektiven Pop-Gedächtnis. Welchen Zuschauer interessiert denn ernsthaft, was da inhaltlich gesungen wird?

Ungewohnt klare Worte.

SMUDO "Deutschland sucht den besten Schuhverkäufer" muss nicht bedeuten, dass diese Sendung den besten Schuhverkäufer auch tatsächlich findet. Wenn jemand ernsthaft kritisiert, dass die Sendungen vorgeben, Topstars zu produzieren, und das gar nicht tun, würde ich sagen, da wird die Nichterfüllung einer romantischen Vorstellung vom unentdeckten Tellerwäscher zum Gesangsstar kritisiert, nicht aber die Realität.

Aber die oftmals sehr jungen Castingteilnehmer sind vielleicht gerade wegen dieser romantischen Vorstellung dabei.

SMUDO Meiner Erfahrung nach ist das nicht so. Unsere Talente sind jetzt 17, 18, 20, die sind mit Casting groß geworden. Denen ist klar, dass sie auch als Gewinner keine Elvis-Presley-Karriere vor sich haben. Die denken, dass das vielleicht ihrer musikalischen Tätigkeit förderlich ist. Keiner glaubt daran, dass die nächsten 20 Jahre rote Teppiche für ihn ausgerollt werden.

MICHI BECK Vielleicht hilft es mir, vielleicht auch nicht - so denken die. Und wenn nur 15 Minuten Ruhm dabei herauskommen, haben sie trotzdem auf jeden Fall Spaß gehabt und Erfahrungen gesammelt. Popstar ist weder für uns noch für die Leute, die hier mitmachen, oberste Zielsetzung.

Ihr seid seit 1989 eine Band. Ist das Musikgeschäft heute besser? Schlechter? Einfach anders?

SMUDO Vor allem die Musikproduktion hat sich verändert. Man braucht kein Wahnsinnsbudget mehr, um gut aufzunehmen. Die große Demokratisierung der Produktionsmittel hat aber entgegen meinen Befürchtungen nicht zur großen Gleichmacherei geführt, sondern zu noch mehr Vielfalt. Als Konsument hat man es heute schwerer, sich zu entscheiden, was man kaufen will.

Heute gibt es viel mehr Acts als früher. Das macht die Musik aber auch beliebiger. Es ist schwieriger, für einen bestimmten Künstler starke Gefühle zu entwickeln.

SMUDO Klar, ein Teenager will jemanden haben, den er geil finden kann. Der will sagen: Geil, ich scheiß auch auf das, was meine Eltern sagen, und mache mir jetzt auch eine Sicherheitsnadel in die Wange. Auf dem Markt der identitätsstiftenden Waren hat der Popstar an Bedeutung verloren.

Weil nicht genügend neue Popstars mehr nachkommen?

SMUDO Doch, aber Musik hat das Monopol darauf verloren. Walter White, die Hauptfigur aus der Serie "Breaking Bad" - das ist ein Popstar. Wenn der eine Band hätte...

MICHI BECK Vieles hat seine Größe verloren, weil es von allem viel mehr gibt als früher. Du kannst viel individuellere Dinge gut finden. Und dagegen ist nichts einzuwenden.

Neil Young behauptet, dass die Musik durch die Digitalisierung ihre emotionale Durchschlagkraft verloren hat.

SMUDO Durch die modernen Produktionsmittel wird vergessen, dass Fehler gemacht werden und dass man die normalerweise auch hört. Dass man eine Aufnahme macht und sich verspielt oder dass falsch aufgenommen wird und man es nicht mehr korrigieren kann.

Mehr Mut zum Fehlermachen?

Heute ist vieles so helene-fischerig: Alles stimmt, alles ist im Topbereich. Aber was fehlt, ist der Charakter. Das Interessante an einem faltigen Gesicht. Einen schönen Fehler sollte man drinlassen.

Frank I. Aures

"The Voice of Germany"
ab DO 9.10. Pro Sieben 20.15 Uhr
Und was bringt mir das?

Die aktuellen Musik-Castingformate im Überblick: wann die neuen Staffeln starten, welche Preise und Entlohnungen winken und was sonst noch wichtig ist vor und hinter der Bühne.

Deutschland sucht den Superstar, RTL (12. Staffel ab Januar) Der Gewinner erhält: einen Plattenvertrag und 500 000 Euro. So viel Geld kann man in keiner anderen Castingshow verdienen. Wer sich auf Dieter Bohlen und seine Auffassung von Musik und Leistung einlassen kann, platziert seine Single zuverlässig an der Spitze der Charts und hat manchmal eine Karriere, die länger als eine Saison hält, wie etwa Mark Medlock. Um den schwindenden Quoten entgegenzuwirken, wurden für die neue Staffel Volksmusik-Fossil Heino und die bildhübsche
Vanessa Huppenkothen (noch nicht offiziell) verpflichtet. Der Anteil der Liveshows wird zurückgefahren, weil darin weniger gut Drama erzeugt werden kann. Erstmals casteten die
Macher auch in Polen, Luxemburg, Belgien, Tschechien und den Niederlanden. Noch im Verlauf der Castingtour wurde die Altersgrenze von 30 auf 40 Jahre angehoben. Was erwartet die Talente? In der vergangenen Staffel hielten sich freundlicher "The Voice"-Angang und übelster Sexismus die Waage.

The Voice of Germany, Pro Sieben/Sat.1 (ab 9.10.) Der Gewinner erhält:
einen Plattenvertrag, aber kein Geld. Die Kandidaten sind in der Regel schon sehr fortgeschrittene Sänger. Da in der Jury aber ausschließlich erfolgreiche Musiker sitzen, können Teilnehmer hier trotzdem viel lernen und werden garantiert nicht vorgeführt. Einer normal langsamen Musikerkarriere ist das zuträglich.

The Voice Kids, Sat.1 (neue Staffel wahrscheinlich im Frühjahr 2015, Bewerbungen noch bis 12.10.) Der Gewinner erhält: einen Ausbildungsvertrag in Höhe von 15 000 Euro und einen Plattenvertrag. Kleine, die Gefühle von Großen nachahmen... das hat immer einen komischen Beigeschmack. Aber manche Kinder sind einfach Rampensäue und wollen das unbedingt. Hier können sie sich austoben und werden extrafreundlich behandelt.

Das Supertalent, RTL (ab 27.9.) Der Gewinner erhält: 100 000 Euro und einen Auftritt in Las Vegas. Auch hier hat Dieter Bohlen das Sagen, Konditionen ähnlich wie bei DSDS. Das Risiko, sich zu blamieren, ist groß, auch wenn Menschenfreund Guido Maria Kretschmer als ausgleichendes Element in der Jury sitzt. Gewinner profitieren aber manchmal sehr vom Sieg, zum Beispiel der Mundharmonika-Mann
Michael Hirte, der dadurch mittlerweile neun CDs veröffentlichen konnte.

Rising Star, RTL, (Fortsetzung unwahrscheinlich) Der Gewinner erhält: ein
Musikstipendium und einen Plattenvertrag. Der Neuzugang unter den Castings verließ sich sehr auf technische Gadgets wie Riesen-LED-Wand und App zur Show, mit der die Zuschauer umsonst mitwählen konnten. Doch das Format kämpfte mit schlechten Quoten und unzufriedenen Kandidaten, was dazu führte, dass es vorzeitig abgesetzt wurde.

Dein Song, Kika, (ab 9.2.15) Der Gewinner erhält 5000 Euro Talentförderung und vor allem sehr kompetente und konstruktive Kritik für junge Songwriter. Lina Larissa Strahl, Gewinnerin 2013, bekam die Hauptrolle in Detlev Bucks Kinofilm Bibi und Tina.