Sie sind ein ungleiches Paar. Klaus Maria Brandauer, der raumbeanspruchende Alphamann und Starschauspieler ("Oberst Redl", "Mephisto", "Sag niemals nie"), und die beinahe scheue Martina Gedeck, eine der besten Schauspielerinnen ihrer Generation ("Bella Martha", "Die Wand", "Nachtzug nach Lissabon"). Sie lässt ihm klug den größeren Wortanteil, als wir die beiden zum Interview und Foto­shooting im Hamburger Hotel Atlantic treffen.

"Ich wusste, dass Klaus etwas Schwarzes anziehen würde, das tut er meistens", sagt sie leise zum Fotografen. "Ich dachte, ein rotes Kleid wäre dazu ein guter Kon­trast." Ohne Aufhebens weiß sie sich an seiner Seite zu behaupten.
Im dem exzellent inszenierten, unbedingt sehenswerten ARD-Drama "Die Auslöschung" spielen die beiden ein Liebespaar, das sich gerade erst gefunden hat, als bei ihm beginnende Demenz diagnostiziert wird.

TV SPIELFILM: Waren Sie erstaunt darüber, dass sich das Fernsehen an ein Thema wie Alzheimer traut?

KLAUS MARIA BRANDAUER Auf die Idee wä­re ich nie gekommen, dass sich das Fernsehen irgendwas nicht traut. Im Gegenteil, ich glaube, dass es sich sehr viel traut, Gutes und weniger Gutes. Außerdem - der Film zeigt ein Stück Leben. Aus.

MARTINA GEDECK Das Drehbuch war außergewöhnlich, das hat mich schon erstaunt, weil es sehr differenziert und genau geschrieben war.

Es zeigt sehr realistisch das Rausfallen aus einer Welt und das Reinfallen in eine andere.

KLAUS MARIA BRANDAUER Das Leben besteht darin, dass wir ununterbrochen aus etwas raus- und wieder reinfallen. Das ist ja das Fantastische, sonst wäre es doch irrsinnig lang­weilig. Der erste Atemzug ist natürlich wunderbar in der Welturaufführung, alle an­deren sind Wiederholungen.

Es liegt an uns, aus diesen Wiederholungen was zu machen. Wir spielen zwei Menschen, die das schaffen. Der alte Sack und die jüngere Frau haben einen One-Night-Stand. Dann verlieben sie sich und bleiben zusammen. Herrlich.

Und jetzt schneit das herein, was wir Leben oder Schicksal nennen und was wir alle in verschiedenen Schattierungen bereits kennen. Ich mag das hier im Interview nur nicht so ausbreiten. Die Leute sollen sich den Film unvoreingenommen anschauen können.

Frau Gedeck, Sie spielen eine Frau, die ihrem kranken Mann mit unerschütterlicher Geduld hilft. Gibt es etwas in Judith, was Sie gern in sich finden würden?

MARTINA GEDECK Es geht in diesem Film darum, dass die Liebe bleibt und nicht vergeht. Das ist für mich das Wichtigste an der ganzen Geschichte, das wollte ich erleben. Wie siehst du das?

KLAUS MARIA BRANDAUER Liebe, das sagt man so schnell. In meinem Verständnis - und bestärkt durch bedeutendere Geister, als ich es bin - heißt es in Wahrheit, für einen anderen auf der Welt zu sein. Ich sage jetzt nicht, dass das ein wünschenswerter Zustand ist, aber das, was wir Menschen im Allgemeinen unter Liebe verstehen, ist ja Liebe wohl nicht, sondern eher ein Deal wie: Du hörst auf zu rauchen, dann kann ich dich gut riechen und bei dir bleiben. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber wo sollte sich Liebe denn bitte mehr manifestieren als dann, wenn es jemandem nicht gut geht? Ich sage es noch mal, ich finde es schade, dass wir hier gerade daran arbeiten, das Geheimnis zu zerstören.

Ich kann die Doppelseite schlecht leer lassen. Sie werden also mit mir sprechen müssen.

KLAUS MARIA BRANDAUER Gut, Sie sind der Boss. Ich stehe ja, wenn es ganz vernünftig ist, auch nicht ungern in der Zeitung.

Wenn einer von Ihnen Gedächtnisprobleme bekäme, würden Sie selbst die Notbremse ziehen?

MARTINA GEDECK Es ist schwierig, sich das vorzustellen, wenn man es nicht selbst erlebt. Ich weiß ja nicht mal, was heute um 16.30 Uhr sein wird. (lacht) Aber ich muss meinen Beruf nicht auf Deibel komm raus bis ans Lebensende ausüben. Wenn ich nicht mehr mag, dann mag ich nicht mehr.

KLAUS MARIA BRANDAUER Im Film heißt es, diese Krankheit erreicht einen Punkt der Gnade, an dem man vergisst, dass man vergisst. Dabei wissen wir gar nicht, ob das tatsächlich so ist. Nur dass wir ausgelöscht werden, das wissen wir seit Jahrtausenden.

In einem verzweifelten Moment bittet Ernst seine Frau um Hilfe zum Selbstmord. Der größte Liebesdienst, den man erbitten kann.

KLAUS MARIA BRANDAUER Jetzt haben Sie den Angelpunkt der Geschichte. Eigentlich sagt er damit doch nur: Ich möchte so lange mit dir zusammen sein, wie es geht. Wenn ich mich nicht mehr erinnern kann, dass wir beide existieren, kann ich nicht mehr leben.

Gab es eine schönste Szene, an die Sie heute noch denken?

MARTINA GEDECK Ich habe ein Schönstes, aber vielleicht magst du es nicht.

KLAUS MARIA BRANDAUER Los, sag.

MARTINA GEDECK Ich habe mir schon lange gewünscht, mit dem Klaus zu spielen. Und der erste Satz, den er bei diesem Dreh zu mir gesagt hat, war tatsächlich: "Mein schönes Fräulein, darf ich wagen..."

KLAUS MARIA BRANDAUER (lacht)

MARTINA GEDECK "...meinen Arm und Ge­leit Ihr anzutragen?"

KLAUS MARIA BRANDAUER: "Bin weder Fräulein, weder schön, kann ungeleitet nach Hause gehen."

MARTINA GEDECK Es ist wie ein Wunder. Da hat mir der Thea­­tergott ein bisschen zugezwinkert und ein Geschenk gemacht.

KLAUS MARIA BRANDAUER Also wenn da hinten und an den Seiten jetzt je eine Kamera gestanden hätte und ich wäre der Regisseur, dann hätte ich Sie am meisten gefilmt.

Warum mich?

KLAUS MARIA BRANDAUER Weil Sie jetzt von der Martina etwas bekommen haben, Sie wissen es selbst, nämlich das angenehme Gefühl eines Gespräches, in dem man das Bedürfnis hat, tief in eine Sache hineinzugehen. Das merkt man nicht daran, was man quasselt, sondern am Zuhören. Was sich da in Ihren Augen tat, was für eine Veränderung, eine noch größere Weichheit. Das war schön. Sehr schön.

Danke schön. Sie haben sich in einer Talkshow Matthias Schweig­höfer für die nächste Arbeit versprochen. Wird etwas draus?

KLAUS MARIA BRANDAUER Keine Ahnung. Vielleicht liegt was in Wien, ich war längere Zeit nicht dort. Aber ich warte natürlich sehnsüchtig auf seine Nachricht. (lacht)

Einer, dem man lange keine Rolle mehr angeboten hat, ist Helmut Berger, den Sie gut kennen. Haben Sie seinen Ausflug ins "Dschungelcamp" gesehen?

KLAUS MARIA BRANDAUER Nein.

Haben Sie Mitleid mit dem einstmals schönsten Schauspieler der Welt, wenn er im Dschungel mit Pseudopromis vorgeführt wird?

KLAUS MARIA BRANDAUER Warum sollte ich? Der Helmut macht nur Sachen, die ihm Spaß machen. Es kann also gut sein, dass das für ihn alles nur eine große Inszenierung war und dass nicht er vorgeführt worden ist, sondern dass er den Zuschauern etwas vorgeführt hat.

Susanne Sturm