Fünfundzwanzig Filme hat Jan Fehse als Kameramann bereits hinter sich. Er weiß, wie Geschichten erzählt werden - und welche meist zu kurz kommen. In seinem Debüt "In jeder Sekunde" versuchen sechs Menschen ihre individuellen Krisen zu meistern. Ob und wie sie das schaffen, erzählt er ungewohnt lebensnah und weit weg von konventioneller Heile-Welt-Dramaturgie. Das überzeugte auch Erstligaschauspieler wie Ronald Zehrfeld und Mina Tander. Im Interview mit TV SPIELFILM erklären sie die besondere Magie von Erstlingswerken.

TV SPIELFILM: Drei verschiedene Erzählstränge, Schicksalsschläge und ein unkonventionelles Ende - Sie haben sich es sich bei Ihrem ersten Film nicht gerade leicht gemacht.

JAN FEHSE Mich faszinieren eben Geschichten, die überraschen; bei denen man nicht weiß, wie sie ausgehen. Konventionelle Filme gibt es doch genug. Ich wollte nicht etwas machen, das es schon im Überfluss gibt.

Sind Debütfilme leidenschaftlicher als die von erfahrenen Regisseuren?

MINA TANDER Oft steckt wirklich mehr Hingabe und auch eine gewisse Unschuld darin, die ich sehr mag.

RONALD ZEHRFELD Leidenschaftlicher? Auf jeden Fall sind Debüts intensiv. Man kann oft den Leidensweg mitverfolgen, den der Film vom Drehbuch bis zum tatsächlichen Beginn der Dreharbeiten nimmt.

Weil es so lange dauert, bis die Finanzierung endlich steht.

RONALD ZEHRFELD Genau. Wenn der erste Drehtag tatsächlich stattfindet, ist das fast ein Happening. Bei Debüts spüre ich ein besonderes Feuer, einen anderen Ehrgeiz, für jedes Detail zu kämpfen. Wenn man schon viele Filme gemacht hat, hat man sich ein Schema erarbeitet, nach dem man vorgeht.

Die Gagen bei Debütfilmen sind sehr niedrig bis nicht vorhanden...

MINA TANDER Wenn das Drehbuch einen packt und die Chemie mit dem Regisseur stimmt, nimmt man das in Kauf.

Kann ja trotzdem eine gute Investition in die Karriere sein. "Citizen Kane" war schließlich auch ein Debüt.

RONALD ZEHRFELD Stimmt, aber so denke ich nicht. Mich reizt ein gutes Buch und die neue Erfahrung. Ich drücke grundsätzlich vor jedem neuen Dreh die Reset-Taste. Ich versuche mich frei zu machen von meinem Wissen um die Filme, die der Regisseur vorher schon gemacht hat. Bei einem Debüt springt man aber komplett ins kalte Wasser. Das ist das Tolle.

Der Zuschauer wird hier auch auf ungewohnte Pfade geführt. Die Figuren müssen einiges schlucken...

JAN FEHSE Die Mehrzahl der Zuschauer möchte sicherlich gern an die Hand genommen und am Schluss befriedigt entlassen werden. Manche wollen aber auch von einem Film gefordert werden. Für mich wirken solche Filme länger nach.

Sie sind kein Freund heiterer Stoffe?

JAN FEHSE Doch! Ich arbeite gerade an zwei Komödien. Aber wenn ich immer nur heile Welt sehe, dann deprimiert mich das. Ich denke: Bin ich der Einzige auf der Welt, der Probleme hat? Ich wollte zeigen: In jeder Sekunde des Lebens kann einem großes Glück begegnen - aber auch unermessliche Tragik. Man muss die Schicksalhaftigkeit des Lebens annehmen.

MINA TANDER Der Film sagt einfach nicht: Wenn ihr euch nur genügend lieb habt, wird alles gut. Weil das eben nicht unbedingt stimmt.

RONALD ZEHRFELD Der Arbeitstitel war: "Gegen den Strom". Er drückt den Film für mich gut aus. So ist das Leben. Man muss manchmal gegen den Strom schwimmen, um sein Ziel zu erreichen. Manchmal ist der Strom auch stärker, und man erreicht das Ufer nicht.

Sehen die Produktionsfirmen in Nachwuchsregisseuren wertvolle Erneuerer oder nur billige Arbeitskräfte?

RONALD ZEHRFELD Grundsätzlich ist es gut, jungen Talenten eine Chance zu geben...

...aber?

RONALD ZEHRFELD ...aber die Zusage für den Debütfilm ist manchmal ein zweischneidiges Schwert. Die Talente werden von den Filmhochschulen weggeholt und bekommen ein so geringes Budget, dass man damit eigentlich keinen Film machen kann. Die beuten sich selbst aus und verheizen in der ersten Produktion ihre ganzen Freundschaften.

Hat das zur Folge, dass auch Debütfilme immer kommerzieller werden?

RONALD ZEHRFELD Ich finde oft Diplomwerke von Filmstudenten besonders mitreißend. Aber wenn die im Berufsleben ankommen, müssen sie sich erst einmal eine Basis schaffen. Nach fünf leichten TV-Movies zum Geld-verdienen machen sie dann vielleicht wieder ein Herzensprojekt. Und dann ist da auch wieder diese Energie, die ich beim Diplomfilm gespürt habe.

JAN FEHSE Wenn jemand einen ersten Film macht, der mit allen Konventionen bricht, bekommt er oftmals keine Aufträge. Eine gelungene Komödie ist sicherlich ein besserer Einstieg ins Berufsleben. Einen Film wie "In jeder Sekunde" zu machen ist ein Luxus. Andere kaufen sich ein altes Segelboot und restaurieren es, ich habe den Film gemacht. Mein Geld verdiene ich als Kameramann.

Hilft die preiswerte Digitaltechnik den Jungfilmern?

MINA TANDER Schon. Bei analogem Filmmaterial muss die Einstellung in ein oder zwei Takes sitzen. Sonst wird es zu teuer. Mit Digitalkameras kann man schwierige Einstellungen auch öfter wiederholen. Da ist der Stressfaktor nicht so hoch.

JAN FEHSE Es entstehen so Filme, die es früher nicht gegeben hätte. Ohne die preiswerten neuen Kameras hätte ich etwa meinen neuen Film "Jasmin" nicht drehen können.

Jan Fehse hat es geschafft. Juckt es Sie als Schauspieler, nun auch mal einen eigenen Film zu inszenieren?

MINA TANDER Um sich auszuprobieren, kann man ja auch erst mal einen Kurzfilm machen. Ich habe das vor einiger Zeit getan - und habe das belichtete Material immer noch nicht geschnitten. (lacht)

RONALD ZEHRFELD Ich habe großen Respekt vor dem ganzen Apparat, der zum Filmemachen dazugehört. Aber mit Freunden gemeinsam eine Geschichte zum Leben erwecken... Klar, dazu habe ich große Lust.

JAN FEHSE Super. Kann ich Kamera machen?

Frank Aures