Regie bei der ersten Folge führte Friedemann Fromm, der auch die hochgelobte ARD-Serie "Weissensee" inszeniert hat.

Anders als der "Tatort" hat der "Polizeiruf 110", dessen erste Folge am 27. Juni 1971 im DDR-Fernsehen lief, auch heute noch seinen Schwerpunkt im Osten. Drei der vier Teams ermitteln in den neuen Ländern. Da passt es, dass die Darsteller der beiden Kommissare Doreen Brasch und Jochen Drexler in der DDR aufwuchsen: Claudia Michelsen wurde 1969 in Dresden geboren, Sylvester Groth 1958 in Jerichow.


Polizeiruf 110: Der verlorene Sohn
SO 13.10. Das Erste 20.15 Uhr
In der ersten Folge des neuen "Polizeiruf 110" stirbt ein Ayslbewerber. Rasch kommt der Verdacht auf, Neonazis hätten ihn auf dem Gewissen. Als wir die beiden Schauspieler zum Interview in Hamburg trafen, hatte zuvor bereits der frühere Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Christoph Bergner, vor einer klischeehaften Darstellung rechter Gewalt in Ostdeutschland gewarnt.

Die Zurückhaltung, mit der sich alle am "Polizeiruf 110" Beteiligten zu diesem Thema äußerten, spiegelt sich auch in dem Interview wider.

TV SPIELFILM: Herr Groth, Sie kommen aus der Nähe von Magdeburg, in einer Szene sprechen Sie auch Sächsisch...

Sylvester Groth Das ist nicht Sächsisch, das ist Anhaltinisch, Magdedeutsch. Das Anhaltinische ist ein leicht versächseltes Berlinerisch, es ist leichter.

Claudia Michelsen Fürs Sächsische bin dann eher ich zuständig.
Herr Groth, war das für Sie eine Rückkehr an den Ort ihrer Jugend?

Sylvester Groth Nein, nicht wirklich. Ich bin mit 11, 12 Jahren weg aus Jerichow bei Magdeburg und war dann auch immer wieder mal in der Nähe, weil meine Schwester in der Gegend wohnt. Ich liebe die Elbe über alles, in ihr habe ich schwimmen gelernt.

Ich kenne Magdeburg nur als Tourist. Im Film habe ich die Stadt kaum wieder erkannt, weil sie so düster aussieht. Wie ging es Ihnen?

Claudia Michelsen Ich kannte Magdeburg vorher nicht. Während der Dreharbeiten haben wir an sehr vielen sehr unterschiedlichen Orten gefilmt. Und ich freue mich sehr auf noch mehr unentdeckte Ecken. Was mich aber durch meine Geburtsstadt mit Magdeburg verbindet, ist die Liebe zur Elbe. Für mich einer der schönsten Flüsse. Ich freue mich sehr auf die Stadt und seine Bewohner. Wir wurden sehr warm von den Leuten empfangen und unterstützt. Es gab mehr Bewerbungen für Komparserie als wir Rollen hatten. Aber im nächsten Jahr sind wir dann wieder da.

Auch für die Rollen der Bösen?

Claudia Michelsen Welche Bösen?

Die Neonazis, die dunkelhäutigen Asylbewerbern Angst einjagen...

Claudia Michelsen Das ist ein umfassenderes Thema. Da kann man nicht einfach von gut und böse sprechen. Der Film heißt "Der verlorene Sohn".....
Aber es gibt in dem Film ja auch fiese Erwachsene...

Claudia Michelsen Natürlich, wir wissen, dass es diese gibt. Aber wir wissen nicht, wie weit und wie tief sich diese Kreise ziehen. Ich rede natürlich nicht nur von Magdeburg. Wir hatten einen Kampfsportlehrer besetzt, und dann stellte sich einen Tag vor dem Dreh heraus, dass er in der rechten Szene bekannt ist und Kinder mit diesem Gedankengut, ich nenne es mal "infiziert" - genau das, was wir auch in unserer Geschichte erzählen.

Welche Rolle spielt der "Polizeiruf 110" in ihrer Sozialisation, haben sie jeder neuen Folge entgegengefiebert?

Sylvester Groth Ich habe am Montag abends immer alte Ufa-Filme gesehen.

Claudia Michelsen Ich auch. Und "Willi Schwabes Rumpelkammer", in der Ausschnitte aus alten Filmen gezeigt und erklärt wurden. Eine wunderbare Sendung.

Sie haben ihre Figur im "Polizeiruf 110" als "Schimanskis Schwester" bezeichnet...

Claudia Michelsen "Kleine Schwester", aber nennen wir es mal einen Traum den ich habe, denn ich bin voller Bewunderung für Götz George. So etwas, wie er mit Schimanski geschaffen hat, hat es danach nicht mehr gegeben. Seine direkte und authentische Art, mit der sich ein Millionenpublikum über Jahre identifizieren konnte - das ist großartig.

Was die Action angeht, brauchen Sie sich vor den "Tatorten" mit Schimanski nicht zu verstecken.

Claudia Michelsen Und das in meinem Alter (lacht)! Aber ich mag es, körperlich zu arbeiten.

Mussten Sie etwas Besonderes lernen?

Claudia Michelsen Motorradfahren. Am Anfang wollte ich das nicht, weil ich Angst vor dem Klischee hatte. Aber je öfter ich auf der Maschine saß, um so mehr habe ich diese andere Körperlichkeit begriffen. Es macht was mit Dir. Ich bin regelrecht in diese Figur hineingefahren. Wenn man aufsteigt und dieses schwere Motorrad kontrollieren muss,dann verändert das einen, man nimmt eine andere Haltung ein. Das ist wie beim Reiten oder beim Tanzen.

Hatten Sie eine Stuntfrau?

Claudia Michelsen Ja, natürlich das geht ja gar nicht anders, bei den Szenen die wir gedreht haben.

Sylvester Groth Ich habe selbst geschossen.

Claudia Michelsen Ich auch, ich hatte für den "Polizeiruf 110" Schießtraining. Das war aber nicht das erste Mal. Die Magdeburger Polizei hat uns sehr unterstützt.

Der neue "Polizeiruf 110" füllt ja auch so etwas wie einen weißen Fleck auf der Fernsehlandkarte...

Claudia Michelsen Das finde ich auch. Aber Friedemann Fromm hat hier vorher schon gedreht. Magdeburg bietet viele unerzählte Möglichkeiten.

Sylvester Groth Das filmische Potenzial der Region ist großartig.

Sind Sie Krimifans?

Sylvester Groth Geht so. Ich mag klassische Krimis, bei denen man mitfiebern kann, wie bei Agatha Christie.

Herr Groth, was hat Sie an Ihrer Figur gereizt?

Sylvester Groth Dass sie so wenig von sich preisgibt. Man weiß nicht, wer sie ist. Sie hält sich sehr bedeckt. Dadurch bleibt sie hoffentlich für die Zuschauer über eine längere Zeit interessant, weil es ja noch einiges zu erzählen gibt.

Ist es wahr, dass Sie nicht wissen, wie sich die Figur in den nächsten Folgen entwickelt?

Sylvester Groth Ja, und das gefällt mir. Das ist wie im wirklichen Leben. Man weiß ja auch nicht im voraus, wie man sich selbst und wie sich die Dinge entwickeln.

Es gibt unglaublich viele Krimis im Fernsehen. Was können Sie als Schauspieler tun, damit man sie nicht verwechselt?

Claudia Michelsen Der Krimi hat in Deutschland ein erstaunlich großes Publikum. Für mich sind die Geschichten der Leute erst einmal wichtiger als das Genre. Die Deutschen lieben nun mal Krimis, deshalb erzählen wir sie in diesem Genre, so wie "Dr. House" seine Geschichten im Genre der Arztserie erzählt. Es kommt darauf an, was man aus dem jeweiligen Genre macht. Ich könnte mir vorstellen, dass es bei uns auch nicht immer einen Mord oder eine Leiche geben muss.

Sylvester Groth Man muss genau erzählen und die Figuren sorgfältig zeichnen, dann setzt man sich von den anderen ab.

Damit kommen wir auf verschlungenen Wegen zurück zu den Anfängen des "Polizeirufs 110" in der DDR, in dem die Darstellung der Personen in ihrem sozialen Umfeld deutlich mehr Raum einnahm als im westdeutschen "Tatort"...

Sylvester Groth Ich schaue mir die alten "Polizeirufe 110" manchmal an, wenn sie nachts im Fernsehen laufen. Man sieht tolle alte Schauspielerkollegen, auch in kleinsten Rollen. Das vermisse ich heute. Ein US-Regisseur hat mich mal gefragt, wie er sich über das Leben in der DDR informieren könnte. Ich habe ihm "Polizeiruf 110" empfohlen. Da erfährt man wirklich eine Menge, nicht zuletzt, wie die Menschen gesprochen haben.

Apropos alte Schauspielerkollegen. Jaecki Schwarz vom eingestellten "Polizeiruf 110" aus Halle hat sich in einem Interview beklagt, er hätte gern noch weiter gespielt und fühle sich als Opfer des Jugendwahns in den Sendern...

Sylvester Groth Vielleicht sieht er das so, und er hat seine Sache ja auch toll gemacht. Aber nach 50 Fällen ist das Ganze auch auserzählt.

Claudia Michelsen Hut ab vor den Kollegen, die solange ihr Publikum an Ihrer Seite halten konnten. Aber unabhängig davon sehen wir uns ja nicht als Nachfolger. Wir fangen bei Null an in einem ganz anderen Ort. Das Einzige, was uns verbindet, ist der Titel der Reihe.

Rainer Unruh

Polizeiruf 110: Der verlorene Sohn
SO 13.10. Das Erste 20.15 Uhr


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