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Aktuelle Umfrage zum Start von "Crossing Lines" und "Borgia" (2)

Kann Europa Serie?

US-Serien wie "Mad Men" oder "Breaking Bad" haben das Genre revolutioniert. Ihr Look steht dem Kino kaum noch nach, die Stories sind sogar noch raffinierter und verschachtelter. Kann Europa (DO, 22.8.) da mithalten?

Kurz vorm Start der Krimiserie "Crossing Lines" (Sat.1) und der zweiten Staffel von "Borgia" (ZDF) haben wir vier Experten vier Fragen zur Zukunft europäischer Co-Produktionen im Fiction-Bereich gestellt.

(1) Welche Erfahrungen haben Sie mit europäischen Koproduktion im Fiction-Bereich gemacht?

Rola Bauer, Geschäftsführerin von "Tandem" (München), die "Crossing Lines" produziert hat: Fast alles, was Tandem jemals produziert hat, ist eine internationale Koproduktion. Meine gesamte berufliche Laufbahn ist mit diesem Geschäftsmodell verknüpft: zuerst als Präsidentin bei der kanadischen Produktionsfirma "Alliance International" später bei ProSieben, als ich den Bereich Internationale Koproduktion geleitet habe und jetzt schon seit 14 Jahren bei Tandem.

Internationale Koproduktionen sind für viele Fernsehsender in Europa wie Deutschland, UK, Frankreich und Italien eine kostengünstige Alternative zu den heimischen Produktionen. Die Sender investieren einen gewissen Betrag, bekommen dafür einen Event-Mehrteiler, der Senderpositionierung & Image positiv verstärkt und müssen dabei nicht die gesamte finanzielle Last tragen.

Die Mini-Serie "Die Säulen der Erde" hat 40 Mio. US$ gekostet und wäre niemals in dieser Qualität und mit diesem internationalen Staraufgebot realisiert worden, wenn wir nur einen TV-Sender als Partner gehabt hätten.

Unsere Aufgabe ist es, die richtigen Partner mit ähnlichen programmlichen und kreativen Anforderungen zusammen zu bringen, um die Integrität des Programms zu schützen. Erreichen wir das, ist der Weg frei für ein Event-Programm, das möglicherweise sonst nicht hätte produziert werden können!

Ulrich Krüger, für "Crossing Lines" verantwortlicher Redakteur bei ProSiebenSat.1: Es gibt in Europa mehr frische Ideen und interessante Projekte denn je (z.B. "Downton Abbey", "Broadchurch"). Die Herausforderung ist immer, die individuellen Interessen gleichgewichtiger Partner unter einen Hut zu bringen. Je öfter das gelingt, desto attraktiver werden europäische Konstruktionen.

Susanne Müller, Leiterin der Redaktion Spielfilm beim ZDF, und Wolfgang Feindt, beim ZDF zuständig für internationale Koproduktionen: Europäische Koproduktionen sind schon seit langem ein fester Bestandteil im Programmangebot des ZDF. Jenseits der Entstehung von herausragenden Event-Mehrteilern wie "Napoleon" oder "Krieg und Frieden" und der über Jahre gewachsenen Zusammenarbeit mit ORF und SF wurde bereits im Jahr 2001 ein fester Sendeplatz für europäische Koproduktionen eingerichtet: der Krimiplatz am Sonntag 22:00 Uhr, auf dem so erfolgreiche Programme wie die "Millennium-Trilogie" und "Kommissarin Lund" laufen. Krimi reist gut - und der Publikumszuspruch beweist, dass wir mit unseren europäischen Koproduktionen im Krimi-Genre richtig liegen.

Jörg Graf, RTL-Bereichsleiter Produktionsmanagement & Programmeinkauf: Europäische Co-Produktionen haben wir vor einigen Jahren im Bereich der TV-Movies durchgeführt. Die Erfahrungen sind recht unterschiedlich und immer sehr von den einzelnen Partnern, Sendern und Produzenten abhängig.
Crossing Lines
DO 22.8. Sat.1 21.15 Uhr

Borgia (Staffel 2)
FR 30.9. ZDF 20.15
(2) Wo sehen Sie die Chancen, wo die Risiken solcher Projekte?

Rola Bauer, Geschäftsführerin von "Tandem" (München), die "Crossing Lines" produziert hat: Wir haben Tandem auf das Geschäftsmodel der internationalen Koproduktionen aufgebaut und das hat es über die letzten 14 Jahren ermöglicht, die Firma kontinuierlich wachsen zu lassen.

Die Geschichten müssen nachvollziehbar sein und die Programme dürfen nicht am Zuschauer vorbei produziert werden. Ich denke, uns gelingt das ganz gut, weil wir auf der einen Seite durch unseren internen Vertrieb in den verschiedenen TV-Märkten agieren, auf der anderen Seite einen sehr engen Austausch mit den TV-Sendern weltweit pflegen und so die Bedürfnisse kennen und darauf unsere Programm-Entscheidungen treffen.

Ulrich Krüger, für "Crossing Lines" verantwortlicher Redakteur bei ProSiebenSat.1: Wie bei Koproduktionen mit nordamerikanischen Partnern können wir uns an Produktionen beteiligen, die im Vergleich zur Eigenproduktion ein sehr viel höheres Budget und damit auch bessere Schauwerte haben. Im Vergleich zu reinen Lizenzprodukten können wir kreativ mitwirken und erhalten so "maßgeschneiderte" Produkte für unsere Sender.

Susanne Müller, Leiterin der Redaktion Spielfilm beim ZDF, und Wolfgang Feindt, beim ZDF zuständig für internationale Koproduktionen: Erfolgreiche Koproduktionen entstehen nur dort, wo eng zusammengearbeitet wird und sich Einzelinteressen potenzieren. Nicht nur auf dem skandinavischen Markt ist das Arbeitsverhältnis ausgereift, wo wir vor Ort mittlerweile seit 15 Jahren kontinuierlich Produktionsvorhaben mit dem jeweiligen Partner entwickeln. Man kennt die Kreativen, die Redakteure und Produzenten bei den Sendern und Produktionsfirmen und so entsteht eine Dynamik, dass das eine Projekt quasi zum nächsten führt. Das ist immer eine benennbare Gruppe von drei, vier Leuten, die sich das jeweilige Projekt am Tisch überlegen, entwickeln und voran führen - eine ideale Situation, da wir so die Bedürfnisse, die wir auf dem deutschen Markt haben, auch mit einbringen können. Wichtig dabei sind eine hohe und zentrierte Kommunikationsbereitschaft und Respekt - um erfolgreich zu werden, muss das Programm authentisch sein und darf nicht zwischen unterschiedlichen nationalen Vorlieben zerrieben werden. Das Koproduktionsgeschäft ist deshalb mühsam und langwierig, aber der Einsatz lohnt sich, denn er macht Projekte dieser Größenordnung überhaupt erst möglich.

Jörg Graf, RTL-Bereichsleiter Produktionsmanagement & Programmeinkauf: Das Risiko bei Co-Produktionen ist eine zu hohe Kompromissbereitschaft, es jedem der Co-Produzenten oder Mitfinanziers in allen Details recht machen zu wollen. Wenn alle Teilnehmer bestimmte Orte im Film platzieren wollen, wenn jeder Co-Produzent einen heimischen Darsteller integrieren will, ist das oft nicht im Sinne des Projekts. Das Risiko ist dann, dass ein Pudding entsteht der nach nichts mehr richtig schmeckt. Die Chance liegt aber auch auf der Hand: Europäische Sender können Budgets von 3 Mio. US$ für eine Serienepisode niemals refinanzieren. Somit ist es für bestimmte europäische Formate schwierig, im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Hier können Co-Produktionen, bei denen sich mehrere Sender oder Finanzierungsbeteiligte das Investitionsrisiko teilen, ein Weg sein, Inhalte zu produzieren, die ansonsten in Europa nicht herstellbar wären.
(3) Werden Sie künftig verstärkt in diesem Bereich tätig sein?

Rola Bauer, Geschäftsführerin von "Tandem" (München), die "Crossing Lines" produziert hat: Im Jahr 2012 hat das Filmunternehmen STUDIOCANAL einen Mehrheitsanteil von Tandem übernommen. Ein Ziel des Zusammenschlusses war, gemeinsam eine Primetime-Serien-Strategie zu realisieren. Dank der Unterstützung von STUDIOCANAL konnten wir sehr schnell den Showrunner Ed Bernero verpflichten und mit den Dreharbeiten der deutsch-französischen Koproduktion "Crossing Lines" starten. Von Tag 1, als wir Ed die globale Krimiserienidee präsentierten bis zur Auslieferung der ersten Staffel mit 10 einstündigen Episoden an unsere weltweiten TV-Partner in 165 Ländern, sind nur 18 Monate vergangen! Ja, in Zukunft werden wir uns weiterhin treu bleiben und Event-Mehrteiler und Mini-Serien produzieren und jetzt auch einstündige Primetime-Serien.

Ulrich Krüger, für "Crossing Lines" verantwortlicher Redakteur bei ProSiebenSat.1: Unser Engagement folgt weniger der Frage, ob Koproduktion oder nicht, sondern vielmehr der, über welche Art des Programmerwerbs wir unser Portfolio inhaltlich sowie wirtschaftlich sinnvoll ausbauen können. Bei Fiktion und Dokumentationen wird klassischer Lizenzeinkauf sicher auch langfristig die Nummer 1 sein. Aber europäische Koproduktionen werden immer eine Chance haben, gerade wenn sie eine erfolgreiche Programmfarbe stärken können.

Susanne Müller, Leiterin der Redaktion Spielfilm beim ZDF, und Wolfgang Feindt, beim ZDF zuständig für internationale Koproduktionen: Das ZDF ist in seiner Aktivität im Bereich der europäischen Koproduktion gut aufgestellt und bleibt auch in Zukunft bei seinem Engagement. Der Markt boomt derzeit in besonderer Weise, was sich an einer enorm breitgefächerten Angebotslage ablesen lässt. Vom Ausgangspunkt sicherlich ein Resultat knapper werdender Finanzmittel in allen europäischen Partnerländern, aber auch Ausdruck, Bereitschaft und Interesse daran, dem zusammenwachsenden Europa auch filmisch gerecht zu werden. Gerade im Bereich Serie und Mehrteiler kommen die stärksten Impulse, dort, wo am stärksten die Vernetzung der Kreativszene zu beobachten ist.

Jörg Graf, RTL-Bereichsleiter Produktionsmanagement & Programmeinkauf: Wir erhalten nahezu täglich Ideen für Co-Produktionen insbesondere im Serienbereich. Wir prüfen jede davon, und in einigen Fällen steigen wir auch in den nächsten Schritt der Drehbuchentwicklung ein. Aber eine passende Co-Produktion anzugehen ist ein bisschen wie die Nadel im Heuhaufen finden. Neben der Tatsache, dass sie beispielsweise für einen Sender wie RTL geeignet sein muss, müssen ja weitere TV Sender beispielsweise in Frankreich die gleiche Einschätzung über ein Erfolgspotenzial haben. Wenn dies jedoch gelingt, kann eine Co-Produktion eine gute Möglichkeit sein, dem Zuschauer eine spannende Serie außerhalb der rein deutschen Produktion oder der Serien, die direkt von den US Studios oder Networks kommen, anzubieten. Wir denken, die Mühe lohnt sich, weiter nach geeigneten Stoffen zu suchen und sind dazu mit vielen internationalen Produzenten im Gespräch.
(4) Zurzeit setzen US-Serien weltweit den Maßstab für innovatives und attraktives Fernsehen. Trauen Sie der europäischen Film- und Fernsehindustrie zu, mit den Amerikanern gleichzuziehen?

Rola Bauer, Geschäftsführerin von "Tandem" (München), die "Crossing Lines" produziert hat: Es ist nicht einfach, aber möglich ist es. Ich glaube, dass wir das auch bereits geschafft haben, nachdem unsere Produktionen bisher auch in die USA verkauft worden sind und sich behaupten konnten. Neben den positiven Kritiken sind wir sehr stolz auf unsere Emmy + Golden Globe-Nominierungen, zum Beispiel für ‚Die Säulen der Erde‘.

Das Geheimnis ist, die richtige Balance zu finden zwischen Tempo und Charaktertiefgang der amerikanischen Erzählweise ohne die Sensibilitäten, die das Programm für internationale Zuschauer zugänglich macht, außer Acht zu lassen. Keine einfache Herausforderung, aber wenn es einfach wäre, würden es ja alle machen!

Ulrich Krüger, für "Crossing Lines" verantwortlicher Redakteur bei ProSiebenSat.1: Was die Kreativität angeht, steht Europa den USA nicht nach. Die Amerikaner haben ja schon eine Reihe europäischer Projekte für ihren Markt adaptiert (The Bridge, The Killing, Being Human). Andererseits ist amerikanisches Erzähltempo und Storytelling bisher auch in Europa der wichtigste grenzüberschreitende Faktor, gerade bei Serien. In dem Maß, wie die Umsetzung dieses 'Grundtons' in Verbindung mit der europäischen 'Melodie' gelingt, kann die europäische TV-Industrie sehr viel erreichen.

Susanne Müller, Leiterin der Redaktion Spielfilm beim ZDF, und Wolfgang Feindt, beim ZDF zuständig für internationale Koproduktionen: Auch perspektivisch wird ein sich weiter vernetzender europäischer Film- und Fernsehmarkt nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, die in Amerika auch für die Zukunft gewährleistet scheinen. Ein Blick auf die internationale Festivalszene zeigt aber deutlich, dass dort verstärkt europäische Koproduktionen präsentiert und in ihrer kreativen und künstlerischen Qualität wahrgenommen werden. So hat sich " Scandinavian Crime" auf den internationalen Märkten seit einigen Jahren zur festen Größe entwickelt. Amerikanische Produzenten scannen den europäischen Markt und erwerben dort Remake-Rechte. ZDF-Koproduktionen wie "Kommissarin Lund" und "Die Brücke" waren Wegbereiter für diese Entwicklung und haben das Bewusstsein für europäische Koproduktionen gestärkt. Wir machen Fortschritte!

Jörg Graf, RTL-Bereichsleiter Produktionsmanagement & Programmeinkauf: Wir haben in Deutschland oder im gesamten Europa natürlich eine selektive Wahrnehmung. Das bedeutet, wir sehen für gewöhnlich nur die erfolgreiche Spitze des TV-Eisbergs aus den USA. Die Mehrzahl der Zuschauer bekommt ja meist nur die Serien zu sehen, die Erfolgspotenzial haben oder bereits erfolgreich in den USA waren. Wer den Gesamtmarkt kennt, weiß, dass die Studios jedes Jahr im Mai alle ihre neuen Projekte vorstellen und viele davon weder attraktiv noch innovativ sind, und ein großer Teil davon nach einigen Ausstrahlungen bereits abgesetzt wird. Dies ist für einen deutschen Zuschauer jedoch selten offensichtlich, weil diese Serien es ja meist dann auch gar nicht bis nach Europa schaffen.

Richtig ist aber auch: Die Qualität mancher US Sitcom ist schlichtweg unglaublich. Figuren und die Gagdichte sind großartig. Manche Serien sind fantastisch konzeptioniert und toll produziert. Insbesondere der US amerikanische Markt bietet unglaublich viele Talente, ob es um Autoren, Schauspieler oder Executive Producer geht. Aus europäischer Sicht liegt die Latte da schon sehr hoch. Ich denke, wir sollten nicht versuchen, dies einfach 1:1 zu kopieren. Man kann nicht einfach eine deutsche CSI oder Grey‘s Anatomy Variante produzieren. Das nehmen einem die Zuschauer meist als schlechte Kopie übel und dies m.E. auch zurecht. Wir müssen uns auf Stoffe und Inhalte konzentrieren, die wir überzeugend mit unseren Mitteln umsetzen können. Auch wir haben sehr gute Autoren und tolle Schauspieler. Wir müssen aber eigene Themen bespielen, die keine simple Kopie sind. RTL ist dies beispielsweise vor einiger Zeit mit Doctor‘s Diary fantastisch gelungen. Wir haben in den vergangenen Monaten weitere Serien produziert, die genau diese Ausrichtung haben, und ich kann den Zuschauern versichern, dass wir nach den Sommerferien mit einigen neuen und tollen Programmen an den Start gehen werden.

Crossing Lines
DO 22.8. Sat.1 21.15 Uhr

Borgia (Staffel 2)
FR 30.9. ZDF 20.15