Fußball als Teil der Poppenkultur

"Das ist ja das Schöne am Fußball, egal, wen man trifft, man hat immer ein Thema", sagte der Fußballtrainer Thomas Schaaf einmal im Interview mit dem Magazin "11 Freunde". Er könne zu jeder Tages- und Nachtzeit darüber reden, das erschöpfe sich nie. Und das Schöne am Reden über Fußball ist ja, um daran anzuschließen, dass man immer wieder jemanden findet, dem man die guten alten Geschichten erzählen kann. Vor allem im Fernsehen.

Wisst ihr noch, wie der spätere WM-Siegschütze Helmut Rahn im Trainingslager 1954 für eine Kneipentour ausbüxte? Wie die Nationalspieler 1982 am Schluchsee soffen? Wie Effe bei der WM 1994 den deutschen Fans den Mittelfinger zeigte? Am Mittwochabend in der ARD-Talkshow "Menschen bei Maischberger" wurden sie alle wieder aufgewärmt. Zwei der Gäste taten sich besonders dabei hervor, die ollen Kamellen unters Fernsehvolk zu bringen: Torwartlegende Toni Schumacher und Ex-Bayer-Funktionär Reiner Calmund.

Die Gastgeberin führte kurz ins Thema ein ("Wer glaubt an den WM-Titel?"), nur um die Form zu wahren. Denn die Sendung hatte im engeren Sinne kein Thema. Es ging um alles. WM-Chancen, Fitness, alle Trainingslager in der Geschichte des deutschen Fußballs, Leitwölfe, Spielsystem, Fifa, Zukunft des Bundestrainers, Geschlechtsverkehr vor und nach dem Spiel. Auf die Frage, ob Sex vor dem Match schade, sagte Moderator Jörg Pilawa: "Guter Sex beflügelt", was Maischberger erwiderte: "Aber das weiß man doch nicht vorher." Großes Gelächter. Auch Schumacher trug mit einer Zote zur allgemeinen Erheiterung bei: "Wir durften Frauen mit ins Trainingslager nehmen, die eigenen." Das reichte eigentlich schon, um das Gelächter im Studio gewaltig zu steigern. Doch doppelt hält besser, dachte sich wohl Jana Ina, eine in Rio de Janeiro geborene Moderatorin, und sprach die Pointe unumwunden aus: "Nicht die ausgeliehenen!" Für die ARD muss Fußball ein Teil der Poppenkultur sein.

Im November 2013 habe die Mehrheit der Deutschen an den Titelgewinn geglaubt, beruhigte sich Maischberger etwas, heute sei nur noch ein Drittel siegesgewiss. "Sind wir Deutschen zu kleinmütig?" Einer, der bei solchen Sendungen nicht fehlen darf, Oliver Pocher, im DFB-Trikot mit seinem Namen auf dem Rücken, preschte voran. "Wenn wir nur lange genug im Wettbewerb bleiben, können wir Weltmeister werden. Die Hoffnung stirbt zuletzt." Immerhin erklärte er sich sofort bereit, eine hohe Summe ins fehlende "Phrasenschwein" einzuzahlen, dann nahm er sich für einige Minuten selber aus dem Spiel.

Unsere Siegchancen liegen nicht höher als "bei 20, 25 Prozent", warf Schumacher ein. Den Grund dafür glaubte Alfred Draxler, Chefredakteur der "Sport-Bild", zu kennen: "Wir wissen bis heute nicht, mit welchem System wir überhaupt antreten werden", sagte er. Weiß es denn Jogi Löw? "Er hat sicherlich ein Konzept, aber er weiß nicht, ob er es umsetzen kann." Dafür wissen die Zuschauer jetzt, dass die "Bild" eine Kampagne gegen den Bundestrainer starten wird, falls die Mannschaft früh ausscheidet. Und dies mit 100-prozentiger Sicherheit.

Ob die Jungs von heute nicht hart genug sind, um den Pokal zu holen, fragte die rasende Gastgeberin: "Sind das alles Weicheier?" Davon ist sie offenbar überzeugt. Denn jetzt durfte Rambo Schumacher minutenlang seine stattliche Krankenakte ausbreiten, alle Knochenbrüche, Bänderrisse und Hirnerschütterungen seiner Karriere kamen auf den Tisch. Die gebrochene Mittelhand? "Ich fand, das war kein Grund, nicht zu spielen." Der Kreuzbandriss an einem Mittwochabend? "Am Donnerstag pausiert, Freitag punktiert, Samstag gespielt." Rechtes Knie? "Sechs Mal operiert." Man musste befürchten, dass der Fußball-Veteran die Hose herunterlässt, um uns seine vielen Narben zu zeigen.

Für wenige Augenblicke ließ Maischberger dann doch die Journalistin durchblicken, als es um die Macht der "Bild" im deutschen Fußball ging: "Mit welchem Recht ernennt die ‚Bild' den Teamchef?" Nach dem EM-Aus 1984 habe man Beckenbauer in einem Hotelzimmer gefragt, ob er nicht das Amt übernehmen will, erzählte Draxler. "Zur Not würde ich es machen", soll Beckenbauer geantwortet haben. Tags darauf titelte die Zeitung: "Derwall vorbei, Franz: "Bin bereit". Auch Berti Vogts wurde von "Bild" zum Rücktritt gedrängt. "Berti, bitte geh", lautete die Schlagzeile. "Wir haben die Aufgabe, die Gefühle der Fans aufzugreifen und zu verbreiten", rechtfertigte Draxler die Kampagne gegen Vogts.

Welche Aufgabe eigentlich Pocher erfüllt, ist nicht mehr so ganz klar. Jedenfalls machte er sich in der Sendung wichtig, indem er bemerkte, das Amt des Bundestrainers könne "nach acht, zehn Jahren neue Impulse" gebrauchen. "Bei Turnieren immer nur Zweiter oder Dritter zu werden, ist irgendwann zu wenig", meinte der junge Mann, dessen Rang unter den deutschen Unterhaltern nicht mehr zu beziffern ist.

Helmut Monkenbusch