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Charlize Theron in "Tully": Eine moderne Mary Poppins

Charlize Theron in Tully: Eine moderne Mary Poppins
Charlize Theron in "Tully" Verleih

Charlize Theron nahm für ihre Rolle als ­gestresste Familienmutti in "Tully" 25 Kilo ab. Mackenzie Davis greift ihr als modern-flippige Mary-Poppins-Variante unter die Arme.

Er bringt eine der schönsten Frauen Hollywoods dazu, sich mutig und uneitel weit aus ihrer Komfortzone zu wagen. Für Jason Reitmans Dramödie "Tully" hat sich Charlize Theron knapp 25 Kilo angefressen. Sie spielt die dreifache Mutter Marlo, die sich nach der Geburt ihrer Jüngsten ausgebrannt und heillos überfordert fühlt. Damit Marlo endlich wieder durchschlafen kann, engagiert ihr Bruder eine Night Nanny, die sich nachts ums Neugeborene kümmert. Für Theron ist es nach "Young Adult", in dem sie eine alkoholkranke ehemalige Schulschönheit spielte, schon die zweite Zusammenarbeit mit Reitman. Die Kanadierin Mackenzie Davis (31) übernimmt den Part der Babysitterin Tully.
Ein Interview mit Jason Reitman, Charlize Theron und Mackenzie Davis
Foto: Verleih, Mackenzie Davis in "Tully"
Mr. Reitman, warum haben Sie einen Film über den stressigen Alltag einer Mutter gedreht?
Jason Reitman: Haben Sie Kinder?
Nein.
Reitman: Okay, dann verstehe ich, warum Sie fragen.
Charlize Theron: (nickt lachend) Hätten Sie zwei Kinder, so wie ich, wüssten Sie es.
Reitman: Wir leben in Zeiten, in ­denen jeder öffentlich alles über sich erzählt. Auf Facebook, Twitter oder Instagram werden Urlaubsfotos ­gepostet, politische Diskussionen ­geführt, Einkaufslisten und Rezepte geteilt und sogar Erfahrungen über Medikamente und Arztbesuche ausgetauscht. Es gibt eigentlich nur noch ein großes Tabu, über das kein Mensch aufrichtig erzählen mag, weil er sonst wahlweise als Rabenmutter oder Rabenvater gilt: wie furchtbar stressig und erschöpfend das Leben mit Kindern sein kann.
Theron: Mein Wecker klingelt morgens um 5.45 Uhr. Das ist der Moment, in dem ich mich am liebsten erschießen würde. Seit mein Großer in die Schule gekommen ist, muss ich ihn um zehn vor sieben zum Schulbus bringen. Häufig habe ich nicht mal die Zeit, mir vorher die Zähne zu ­putzen, weil ich die Kinder anziehen, ihnen das Frühstück machen und die Pausenbrote schmieren muss. Ich springe im Schlabberlook und in ­Birkenstocks ins Auto. Um halb acht habe ich auch die Kleine im Kindergarten abgeliefert, dann beginnt mein Arbeitstag. Wenn ich abends um 20.45 Uhr das Licht ausmache, bin ich stehend k. o. Trotzdem liebe ich mein Leben und würde mit niemandem auf der Welt tauschen wollen.

Wie bei "Young Adult" hat Diablo Cody das Drehbuch geschrieben, und auch diesmal zeigt sie das Leben von einer bestürzend wahrhaftigen Seite.
Reitman: Ich schätze sie sehr, aber sie jagt mir mit ihrer Art zu arbeiten auch eine Heidenangst ein.

Warum?
Reitman: Sie beginnt mit zwei Sätzen und hat sechs Wochen später ein perfektes Manuskript fertig. Ich ­dagegen habe sieben Jahre lang am Drehbuch zu "Up in the Air" geschrieben.
Mackenzie Davis: Sicher hat ihr ­diesmal geholfen, dass sie einen Teil der Geschichte selbst erlebt hat. Nach der Geburt ihres dritten Kinds hat sie eine Night Nanny engagiert, weil sie fix und fertig war.

Hatten Sie vorher schon von Night Nannies gehört?
Davis: Nein. Und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass Menschen das wirklich machen, sich jemand Fremden ins Haus zu holen, der nachts für sie wach bleibt. Das ist doch die ­intimste Situation, in der man sich befinden kann. Schlafend ist man völlig ungeschützt; wenn man sich da den falschen Menschen ins Haus holt, ist das der Stoff, aus dem Horrorfilme gemacht werden.

Charlize, haben Sie je eine Night Nanny engagiert?
Theron: Yep.
Davis: Hattest du keine Angst, sie könnte dir im Schlaf etwas antun?
Theron: (schmunzelt) Musste ich nicht, Gott sei Dank, denn meine Night Nanny ist meine Mom.

Charlize, für Ihren mit dem Oscar ­belohnten Part in "Monster" haben Sie 2003 15 Kilo zugenommen, für "­Tully" jetzt sogar fast 25 Kilo. ­Warum tun Sie sich das an?
Theron: Weil ich das Gefühl hatte, ich wäre es allen Müttern schuldig. Ehrlich, Leute, Frauen, die schwanger sind, nehmen zu. Eine Geburt ist höllisch anstrengend, und in der ersten Zeit mit einem Neugeborenen ist an Schlaf nicht zu denken. Logisch, dass man da keine Zeit und auch ­keine Lust auf Sport und Diäten hat. Beim Dreh zu "Monster" war ich 27 und hatte nach zwei Wochen ohne ungesunde Snacks wieder mein ursprüngliches Gewicht. Dieses Mal habe ich anderthalb Jahre gebraucht, um die 25 Kilo wieder loszuwerden. Nach sechs Monaten habe ich völlig verzweifelt meinen Arzt angerufen, aber der hat nur lapidar gesagt: "Sie müssen Geduld haben. Sie sind 42. In diesem Alter dauert es lange, um so radikal abzunehmen."
Reitman: Ich weiß noch, als ich dich das erste Mal anrief, um mit dir über diese Rolle zu sprechen. Erinnerst du dich daran, was du zu mir gesagt hast?
Theron: Oh ja. Ich hatte gerade "Atomic Blonde" abgedreht und war in der Form meines Lebens. Ich konnte es kaum erwarten, mit diesem gestählten Körper einen Sommer am Strand zu verbringen. Aber uns beiden war schnell klar, dass ich für "Tully" würde zunehmen müssen. Also war es nix mit dem knackigen Beachbody. Stattdessen gab es Tag und Nacht Milchshakes, Pasta und meine heimliche Droge - Kartoffelchips.
Davis: Die hatte sie tütenweise dabei. Überall. Im Trailer, am Set, im Garderobenwagen, im Maskenmobil, im Auto.
Theron: Es gab sogar einen Vorrat im Badezimmer. Ich musste lernen, dass der Satz "Du bist, was du isst" tatsächlich stimmt. Ich habe noch nie in meinem Leben an Depressionen gelitten, aber in dieser Zeit des permanenten Fast-Food- und Zuckerfressens war ich echt depressiv.

Ihre Adoptivkinder sind sechs und drei. Wie stellen wir uns das Leben bei Ihnen zu Hause vor? Immer noch so harmonisch, wie Sie es vor zwei Jahren bei Ellen DeGeneres beschrieben haben?
Theron: Machen Sie Witze? Früher hat der Große die Richtung vorgegeben, und die Kleine hat begeistert alles mitgemacht. Selbst den größten Unfug. Heute verweigert sie sich, was ihn zutiefst empört. Seit sie das Wort Nein entdeckt hat, gebraucht sie es häufiger als jedes andere. Bei uns zu Hause herrscht Krieg, jeden Tag. Ich bin als Einzelkind aufgewachsen, für mich sind Rivalitäten unter Geschwistern absolutes Neuland. Manchmal frage ich mich, ob sie vielleicht schon in der Pubertät sind, denn wenn das so weitergeht, habe ich keine Ahnung, wie sie erst als Teenager miteinander umgehen werden.

Hatten Sie Ihre Kinder mit am Set?
Theron: Ja.
Davis: (lacht) Mein Wohnwagen stand direkt gegenüber dem von Charlize. Wenn wir in der Mittagspause zurück in den Trailer kamen, war meiner angenehm dunkel, kühl und still. Wenn Charlize ihre Tür aufgemacht hat, sah es drinnen aus wie im Karneval. Kinder lachten und kreischten, überall hingen bunte Bilder, und ich habe mich oft gefragt, wie sie es schafft, inmitten dieses Chaos noch so viel Kraft für ihre Rolle aufzubringen. Es kam mir vor wie eine Tür in eine andere Welt.
Theron: (feixt) Es war eine Tür in deine Zukunft - wart's nur ab.